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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Buche nun die ersten Seiten der Reder'schen Darstellung aufschlagen. Was
Reder schildert, ist ja im Allgemeinen dieselbe Periode, die Riegel vorführt;
aber wie viel großartiger ist die Sache hier angefaßt! Erstens greift Reder,
voas zum Verständniß des Folgenden durchaus nothwendig ist, viel weiter
zurück und schildert in seiner Einleitung zunächst eingehend den Zustand der
Kunst im 17. Jahrhundert, also den Ausgang der Renaissance; sodann be¬
schränkt er sich nicht auf die deutsche und allenfalls die französische Kunst,
sondern blickt, was eben so wichtig ist, stets auch hinaus nach allen außer¬
deutschen Stätten der Kunstübung; auch schreibt er wirklich Kunstgeschichte,
rvas man von Riegel angesichts seiner weitschweifigen Auseinandersetzungen
über das, was "die Weltgeschichte liebt", durchaus nicht sagen kann; endlich
aber ist seine Darstellung so erfüllt von dem reichhaltigsten Detail, und in
diesem Detail offenbart sich so viel überraschende Sachkenntniß, eigenthümliche
Anschauungsweise und selbständiges, treffendes Urtheil, daß man nun erst
ein wirkliches Bild von jener Zeit bekommen zu haben meint, während man
vorher nur ein Schattenbild vor sich hatte. Man könnte fürchten, daß unter
solchem Reichthum des Details -- während Riegel kaum dreißig Künstler
vorführt, charakterisirt uns Reder deren fast anderthalbhundert! -- die klare
Uebersicht über das Ganze verloren gehe. Dies ist nicht der Fall. Reder ist
so vollständig in seinem Stoffe zu Hause und beherrscht ihn in solchem
Maaße, daß es ihm allerdings gelungen ist, trotz alles Eingehens ins Detail
dennoch eine übersichtlich gruppirte Darstellung in großen Zügen zu geben.
Dazu kommt aber die geiht- und schönheitsvolle, überall poetisch angehauchte
Darstellungsweise. Reder ist Meister in der Handhabung der Bilder und
Gleichnisse. Hier und da gefällt er sich vielleicht etwas zu sehr darin; die
Bilder sind dann und wann forcirt und sitzen manchmal so dicht bei ein¬
ander, wie die Beeren an der Traube, und dann bekommt der Ausdruck
leicht etwas überladenes; auch billigen wir es nicht, daß seine Bildersprache
sich sogar bis in die Capitelüberschriften -- Nacht, Dämmerung. Morgen --
hineingedrängt hat, was sich schwerlich consequent wird durchführen lassen.
Aber vieles andere, wie z. B. die liebenswürdige Schilderung der deutschen
Frührenaissance, die mit einem bei heiterm Spiele in der Stube aufwachsenden
und allmählich ins Freie sich wägenden Knaben verglichen wird, ist aufs
glücklichste inspirirt.

Endlich sind uns zur Anzeige für diesmal noch zugegangen die ersten
vier Lieferungen eines "Jllustr irren Archäologi s es en Wörterbuches
der Kunst des germanischen Alterthums, des Mittelalters sowie der Renaissance"
von Müller und Mothes (Leipzig, Spamer). Wir haben die Besprechung
dieses Opus bis an den Schluß verschoben aus einer -- vielleicht unberech.
tigem -- Abneigung gegen alles, was nach "Conversationslexicon" aussieht.


Grenzboten III, 1874. 30

Buche nun die ersten Seiten der Reder'schen Darstellung aufschlagen. Was
Reder schildert, ist ja im Allgemeinen dieselbe Periode, die Riegel vorführt;
aber wie viel großartiger ist die Sache hier angefaßt! Erstens greift Reder,
voas zum Verständniß des Folgenden durchaus nothwendig ist, viel weiter
zurück und schildert in seiner Einleitung zunächst eingehend den Zustand der
Kunst im 17. Jahrhundert, also den Ausgang der Renaissance; sodann be¬
schränkt er sich nicht auf die deutsche und allenfalls die französische Kunst,
sondern blickt, was eben so wichtig ist, stets auch hinaus nach allen außer¬
deutschen Stätten der Kunstübung; auch schreibt er wirklich Kunstgeschichte,
rvas man von Riegel angesichts seiner weitschweifigen Auseinandersetzungen
über das, was „die Weltgeschichte liebt", durchaus nicht sagen kann; endlich
aber ist seine Darstellung so erfüllt von dem reichhaltigsten Detail, und in
diesem Detail offenbart sich so viel überraschende Sachkenntniß, eigenthümliche
Anschauungsweise und selbständiges, treffendes Urtheil, daß man nun erst
ein wirkliches Bild von jener Zeit bekommen zu haben meint, während man
vorher nur ein Schattenbild vor sich hatte. Man könnte fürchten, daß unter
solchem Reichthum des Details — während Riegel kaum dreißig Künstler
vorführt, charakterisirt uns Reder deren fast anderthalbhundert! — die klare
Uebersicht über das Ganze verloren gehe. Dies ist nicht der Fall. Reder ist
so vollständig in seinem Stoffe zu Hause und beherrscht ihn in solchem
Maaße, daß es ihm allerdings gelungen ist, trotz alles Eingehens ins Detail
dennoch eine übersichtlich gruppirte Darstellung in großen Zügen zu geben.
Dazu kommt aber die geiht- und schönheitsvolle, überall poetisch angehauchte
Darstellungsweise. Reder ist Meister in der Handhabung der Bilder und
Gleichnisse. Hier und da gefällt er sich vielleicht etwas zu sehr darin; die
Bilder sind dann und wann forcirt und sitzen manchmal so dicht bei ein¬
ander, wie die Beeren an der Traube, und dann bekommt der Ausdruck
leicht etwas überladenes; auch billigen wir es nicht, daß seine Bildersprache
sich sogar bis in die Capitelüberschriften — Nacht, Dämmerung. Morgen —
hineingedrängt hat, was sich schwerlich consequent wird durchführen lassen.
Aber vieles andere, wie z. B. die liebenswürdige Schilderung der deutschen
Frührenaissance, die mit einem bei heiterm Spiele in der Stube aufwachsenden
und allmählich ins Freie sich wägenden Knaben verglichen wird, ist aufs
glücklichste inspirirt.

Endlich sind uns zur Anzeige für diesmal noch zugegangen die ersten
vier Lieferungen eines „Jllustr irren Archäologi s es en Wörterbuches
der Kunst des germanischen Alterthums, des Mittelalters sowie der Renaissance"
von Müller und Mothes (Leipzig, Spamer). Wir haben die Besprechung
dieses Opus bis an den Schluß verschoben aus einer — vielleicht unberech.
tigem — Abneigung gegen alles, was nach „Conversationslexicon" aussieht.


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[0241] Buche nun die ersten Seiten der Reder'schen Darstellung aufschlagen. Was Reder schildert, ist ja im Allgemeinen dieselbe Periode, die Riegel vorführt; aber wie viel großartiger ist die Sache hier angefaßt! Erstens greift Reder, voas zum Verständniß des Folgenden durchaus nothwendig ist, viel weiter zurück und schildert in seiner Einleitung zunächst eingehend den Zustand der Kunst im 17. Jahrhundert, also den Ausgang der Renaissance; sodann be¬ schränkt er sich nicht auf die deutsche und allenfalls die französische Kunst, sondern blickt, was eben so wichtig ist, stets auch hinaus nach allen außer¬ deutschen Stätten der Kunstübung; auch schreibt er wirklich Kunstgeschichte, rvas man von Riegel angesichts seiner weitschweifigen Auseinandersetzungen über das, was „die Weltgeschichte liebt", durchaus nicht sagen kann; endlich aber ist seine Darstellung so erfüllt von dem reichhaltigsten Detail, und in diesem Detail offenbart sich so viel überraschende Sachkenntniß, eigenthümliche Anschauungsweise und selbständiges, treffendes Urtheil, daß man nun erst ein wirkliches Bild von jener Zeit bekommen zu haben meint, während man vorher nur ein Schattenbild vor sich hatte. Man könnte fürchten, daß unter solchem Reichthum des Details — während Riegel kaum dreißig Künstler vorführt, charakterisirt uns Reder deren fast anderthalbhundert! — die klare Uebersicht über das Ganze verloren gehe. Dies ist nicht der Fall. Reder ist so vollständig in seinem Stoffe zu Hause und beherrscht ihn in solchem Maaße, daß es ihm allerdings gelungen ist, trotz alles Eingehens ins Detail dennoch eine übersichtlich gruppirte Darstellung in großen Zügen zu geben. Dazu kommt aber die geiht- und schönheitsvolle, überall poetisch angehauchte Darstellungsweise. Reder ist Meister in der Handhabung der Bilder und Gleichnisse. Hier und da gefällt er sich vielleicht etwas zu sehr darin; die Bilder sind dann und wann forcirt und sitzen manchmal so dicht bei ein¬ ander, wie die Beeren an der Traube, und dann bekommt der Ausdruck leicht etwas überladenes; auch billigen wir es nicht, daß seine Bildersprache sich sogar bis in die Capitelüberschriften — Nacht, Dämmerung. Morgen — hineingedrängt hat, was sich schwerlich consequent wird durchführen lassen. Aber vieles andere, wie z. B. die liebenswürdige Schilderung der deutschen Frührenaissance, die mit einem bei heiterm Spiele in der Stube aufwachsenden und allmählich ins Freie sich wägenden Knaben verglichen wird, ist aufs glücklichste inspirirt. Endlich sind uns zur Anzeige für diesmal noch zugegangen die ersten vier Lieferungen eines „Jllustr irren Archäologi s es en Wörterbuches der Kunst des germanischen Alterthums, des Mittelalters sowie der Renaissance" von Müller und Mothes (Leipzig, Spamer). Wir haben die Besprechung dieses Opus bis an den Schluß verschoben aus einer — vielleicht unberech. tigem — Abneigung gegen alles, was nach „Conversationslexicon" aussieht. Grenzboten III, 1874. 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/241>, abgerufen am 03.07.2024.