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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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daß man im 18. Jahrhundert "den tiefern Geist der Kunst verloren hatte",
daß die Kunstschätze der Villa Albant "noch heute den empfänglichen Besucher
Roms erfreuen", klingen überhaupt nicht, als ob sie ein Professor der Kunst¬
geschichte, sondern als ob sie ein Schüler in irgend einem "Deutschen Aufsatze"
geschrieben hätte. Am auffälligsten tritt dieser Mangel an Darstellungstalent da
hervor, wo es sich um die geschichtliche Bedeutung von Persönlichkeiten handelt;
hier ist dem Leser mit allgemeinen Redensarten am wenigsten gedient, hier erwartet
und verlangt er eine scharfe Individualisirung, und gerade daran fehlt es bei
Riegel gänzlich. Ein paar Proben mögen zeigen, was wir meinen. Da heißt
es z. B. von Klopstock: "Er legte den Grund zur künstlerischen Behandlung der
Sprache und ist in Gemeinschaft mit Wieland, Voß und Herder die geschichtliche
Voraussetzung für das leuchtende Dreigestirn unserer klassischen Dichtung: Les¬
sing, Goethe, und Schiller. " Wer erinnerte sich nicht aus seiner Gymnasiastenzeit,
als er in Prima das landesübliche Thema "Klopstock als Odendichter" behan¬
delte, ganz ähnliche Sätze geleistet zu haben? Von Winckelmann schreibt Riegel,
daß sein Geist noch immer lebendig fortwirke, "durch seine Schriften reine
Begriffe vom Wesen der Kunst und bewährte Grundsätze echter Kunstan¬
schauung fördernd", von Chodowiecki, daß er ein "wahrhaft seltenes Talent",
von Canova, daß er ein "verhältnißmäßiges Talent" gehabt habe, von Mengs,
daß einige seiner Portraits "stets auf das Rühmlichste werden anerkannt
werden", von Angelika Kauffmann, daß sie "die Achtung und Neigung aller
Wohlgesinnten" (!) besessen habe, von Graff, daß "die reifsten seiner Werke in
mancher Hinsicht als treffliche Vorbilder stets werden gelten können", und von
Friedrich dem Großen gar, daß er "durch hervorragende (!) Thaten die Begeiste¬
rung der Nation erweckte". Wie kann man solche Trivialitäten überhaupt zu
Papiere bringen! Aber noch in anderm Sinne hat Riegel mit seiner Aus¬
drucksweise entschiedenes Unglück, darin nämlich, daß sie vielfach unbeholfen
und bisweilen geradezu incorrect ist. Sätze wie die: "Wir haben gewiß das
Recht, nicht loben zu brauchen" oder "die schwächliche-Leitung Ludwig's XVI.
bewirkte, jedem die Ueberzeugung aufzudrängen" oder "Füger, dessen Compo-
sitionen ihm seiner Zeit einen erheblichen Ruf verschafften" (anstatt "dem seine
Compositionen") stehen nicht vereinzelt da und sind doch noch lange nicht das
schlimmste von dem, was uns aufgestoßen ist. Es ist für den Berichterstatter
gewiß eben fo unerquicklich wie für den Leser dieser Blätter, derartige Dinge
auszustechen, aber es muß geschehen, wo ein ganzes Buch von ihnen durch¬
zogen ist. Von einem vereinzelten lapsus cal^ini, der jedem entschlüpfen kann,
wird kein vernünftiger Mensch Aufhebens machen.

"Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein! -- Ich fühl's, du schwebst
um mich, erflehter Geist!" so möchten wir -- und zwar mit nachdrücklichster
Betonung des letzten Wortes -- mit Faust ausrufen, wenn wir nach Riegel's


daß man im 18. Jahrhundert „den tiefern Geist der Kunst verloren hatte",
daß die Kunstschätze der Villa Albant „noch heute den empfänglichen Besucher
Roms erfreuen", klingen überhaupt nicht, als ob sie ein Professor der Kunst¬
geschichte, sondern als ob sie ein Schüler in irgend einem „Deutschen Aufsatze"
geschrieben hätte. Am auffälligsten tritt dieser Mangel an Darstellungstalent da
hervor, wo es sich um die geschichtliche Bedeutung von Persönlichkeiten handelt;
hier ist dem Leser mit allgemeinen Redensarten am wenigsten gedient, hier erwartet
und verlangt er eine scharfe Individualisirung, und gerade daran fehlt es bei
Riegel gänzlich. Ein paar Proben mögen zeigen, was wir meinen. Da heißt
es z. B. von Klopstock: „Er legte den Grund zur künstlerischen Behandlung der
Sprache und ist in Gemeinschaft mit Wieland, Voß und Herder die geschichtliche
Voraussetzung für das leuchtende Dreigestirn unserer klassischen Dichtung: Les¬
sing, Goethe, und Schiller. " Wer erinnerte sich nicht aus seiner Gymnasiastenzeit,
als er in Prima das landesübliche Thema „Klopstock als Odendichter" behan¬
delte, ganz ähnliche Sätze geleistet zu haben? Von Winckelmann schreibt Riegel,
daß sein Geist noch immer lebendig fortwirke, „durch seine Schriften reine
Begriffe vom Wesen der Kunst und bewährte Grundsätze echter Kunstan¬
schauung fördernd", von Chodowiecki, daß er ein „wahrhaft seltenes Talent",
von Canova, daß er ein „verhältnißmäßiges Talent" gehabt habe, von Mengs,
daß einige seiner Portraits „stets auf das Rühmlichste werden anerkannt
werden", von Angelika Kauffmann, daß sie „die Achtung und Neigung aller
Wohlgesinnten" (!) besessen habe, von Graff, daß „die reifsten seiner Werke in
mancher Hinsicht als treffliche Vorbilder stets werden gelten können", und von
Friedrich dem Großen gar, daß er „durch hervorragende (!) Thaten die Begeiste¬
rung der Nation erweckte". Wie kann man solche Trivialitäten überhaupt zu
Papiere bringen! Aber noch in anderm Sinne hat Riegel mit seiner Aus¬
drucksweise entschiedenes Unglück, darin nämlich, daß sie vielfach unbeholfen
und bisweilen geradezu incorrect ist. Sätze wie die: „Wir haben gewiß das
Recht, nicht loben zu brauchen" oder „die schwächliche-Leitung Ludwig's XVI.
bewirkte, jedem die Ueberzeugung aufzudrängen" oder „Füger, dessen Compo-
sitionen ihm seiner Zeit einen erheblichen Ruf verschafften" (anstatt „dem seine
Compositionen") stehen nicht vereinzelt da und sind doch noch lange nicht das
schlimmste von dem, was uns aufgestoßen ist. Es ist für den Berichterstatter
gewiß eben fo unerquicklich wie für den Leser dieser Blätter, derartige Dinge
auszustechen, aber es muß geschehen, wo ein ganzes Buch von ihnen durch¬
zogen ist. Von einem vereinzelten lapsus cal^ini, der jedem entschlüpfen kann,
wird kein vernünftiger Mensch Aufhebens machen.

„Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein! — Ich fühl's, du schwebst
um mich, erflehter Geist!" so möchten wir — und zwar mit nachdrücklichster
Betonung des letzten Wortes — mit Faust ausrufen, wenn wir nach Riegel's


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/240>, abgerufen am 03.07.2024.