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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Da dieses letzte Stück, trotzdem daß es sich auf einem vom Verfasser so zu
sagen gepachteten kunstwissenschaftlicher Gebiete bewegt, schlechterdings nichts
neues enthält, so haben wir es hier lediglich mit der Einleitung zu thun.
In dieser versucht es Riegel, die Wiedergeburt des deutschen Geistes zu schil¬
dern, die sich im vorigen Jahrhundert vollzog, und in ihren wesentlichen Er¬
scheinungen vor Augen zu führen. Als die Haupteigenthümlichkeiten dieser
Wiedergeburt bezeichnet er die Rückkehr zur Natur, das Wiederanknüpfen an
die Antike und -- den revolutionären Geist, eine seltsame Scheidung, in¬
sofern der "revolutionäre Geist" doch jedenfalls das Allgemeinere ist, von
dem die beiden andern nur Aeußerungen oder Symptome sind. Dann folgt
ein Rückblick auf die von Frankreich aus beherrschte Kunst des vorigen Jahr¬
hunderts, welche kurzweg als die der "Unnatur" hingestellt wird, worauf
dann die Apostel und Vorkämpfer der neuen Zeit: Winckelmann und Diderot
unter den Gelehrten, unter den Künstlern Mengs, Greuze, Chodowiecki,
Canova, Flaxman, David u. a. und die mannigfachen Umstände, die die
neue Zeit heraufführen halfen, einzeln vorgeführt werden.

Mit dieser letzten Uebersicht kann man sich im Ganzen einverstanden er¬
klären, wenn man auch im Einzelnen manches anders wünschte. Dahin ge¬
hört es z. B., daß Lessing auf sieben Zeilen abgethan wird, während Winckel-
Mann sieben volle Seiten gewidmet sind, vier davon allein der Darstellung
seines Lebens, und darunter wieder anderthalbe seinem Uebertritt zur katho¬
lischen Religion! Was soll das in dieser Einleitung? Für den Kunstwissen,
Schafter hat Riegel nicht geschrieben, dazu ist seine Darstellung zu mager und
farblos und streift zu sehr nur die Höhenpunkte; für einen Laien aber, der
roenig Ansprüche macht, der sich nur einigermaßen orientiren und sich ein paar
Hauptraum einprägen will, dürfte das Buch genügen.

Nicht ganz so schnell sind wir mit Riegel's Darstellungsweise fertig.
Es ist wunderbar, aber es ist eine Thatsache, daß man bei allem, was
Riegel schreibt, den fatalen Eindruck nicht los wird, als ob er von dem,
worüber er schreibt, selber nicht recht unterrichtet wäre. Die Schuld davon
trägt einerseits der Mangel an Originalität -- es klingt bei ihm alles so
angelernt -- andrerseits die unglückliche, aber wirklich sehr unglückliche Aus-
drucksweise. Es kommt ihm eben nicht, wie man zu sagen pflegt. Vor
allen Dingen entbehrt der Ausdruck aller Schärfe und bewegt sich viel zu sehr
in verschwommenen Allgemeinheiten. Ausdrücke wie die "reine Kunst", die
"wahre Kunst", die "neu belebte Kunst", Epitheta wie "vollkommen, voll¬
endet, bedeutend, hervorragend, nachhaltig, großartig, nie geahnt" u. a.
kehren von Seite zu Seite wieder, ohne daß wir irgendwo eine concrete Vor¬
stellung damit verbinden könnten, und Wendungen wie die, daß im Mittel-
alter "in Italien die Kunst mit bewundernswerthem Glänze strahlen konnte".


Da dieses letzte Stück, trotzdem daß es sich auf einem vom Verfasser so zu
sagen gepachteten kunstwissenschaftlicher Gebiete bewegt, schlechterdings nichts
neues enthält, so haben wir es hier lediglich mit der Einleitung zu thun.
In dieser versucht es Riegel, die Wiedergeburt des deutschen Geistes zu schil¬
dern, die sich im vorigen Jahrhundert vollzog, und in ihren wesentlichen Er¬
scheinungen vor Augen zu führen. Als die Haupteigenthümlichkeiten dieser
Wiedergeburt bezeichnet er die Rückkehr zur Natur, das Wiederanknüpfen an
die Antike und — den revolutionären Geist, eine seltsame Scheidung, in¬
sofern der „revolutionäre Geist" doch jedenfalls das Allgemeinere ist, von
dem die beiden andern nur Aeußerungen oder Symptome sind. Dann folgt
ein Rückblick auf die von Frankreich aus beherrschte Kunst des vorigen Jahr¬
hunderts, welche kurzweg als die der „Unnatur" hingestellt wird, worauf
dann die Apostel und Vorkämpfer der neuen Zeit: Winckelmann und Diderot
unter den Gelehrten, unter den Künstlern Mengs, Greuze, Chodowiecki,
Canova, Flaxman, David u. a. und die mannigfachen Umstände, die die
neue Zeit heraufführen halfen, einzeln vorgeführt werden.

Mit dieser letzten Uebersicht kann man sich im Ganzen einverstanden er¬
klären, wenn man auch im Einzelnen manches anders wünschte. Dahin ge¬
hört es z. B., daß Lessing auf sieben Zeilen abgethan wird, während Winckel-
Mann sieben volle Seiten gewidmet sind, vier davon allein der Darstellung
seines Lebens, und darunter wieder anderthalbe seinem Uebertritt zur katho¬
lischen Religion! Was soll das in dieser Einleitung? Für den Kunstwissen,
Schafter hat Riegel nicht geschrieben, dazu ist seine Darstellung zu mager und
farblos und streift zu sehr nur die Höhenpunkte; für einen Laien aber, der
roenig Ansprüche macht, der sich nur einigermaßen orientiren und sich ein paar
Hauptraum einprägen will, dürfte das Buch genügen.

Nicht ganz so schnell sind wir mit Riegel's Darstellungsweise fertig.
Es ist wunderbar, aber es ist eine Thatsache, daß man bei allem, was
Riegel schreibt, den fatalen Eindruck nicht los wird, als ob er von dem,
worüber er schreibt, selber nicht recht unterrichtet wäre. Die Schuld davon
trägt einerseits der Mangel an Originalität — es klingt bei ihm alles so
angelernt — andrerseits die unglückliche, aber wirklich sehr unglückliche Aus-
drucksweise. Es kommt ihm eben nicht, wie man zu sagen pflegt. Vor
allen Dingen entbehrt der Ausdruck aller Schärfe und bewegt sich viel zu sehr
in verschwommenen Allgemeinheiten. Ausdrücke wie die „reine Kunst", die
„wahre Kunst", die „neu belebte Kunst", Epitheta wie „vollkommen, voll¬
endet, bedeutend, hervorragend, nachhaltig, großartig, nie geahnt" u. a.
kehren von Seite zu Seite wieder, ohne daß wir irgendwo eine concrete Vor¬
stellung damit verbinden könnten, und Wendungen wie die, daß im Mittel-
alter „in Italien die Kunst mit bewundernswerthem Glänze strahlen konnte".


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[0239] Da dieses letzte Stück, trotzdem daß es sich auf einem vom Verfasser so zu sagen gepachteten kunstwissenschaftlicher Gebiete bewegt, schlechterdings nichts neues enthält, so haben wir es hier lediglich mit der Einleitung zu thun. In dieser versucht es Riegel, die Wiedergeburt des deutschen Geistes zu schil¬ dern, die sich im vorigen Jahrhundert vollzog, und in ihren wesentlichen Er¬ scheinungen vor Augen zu führen. Als die Haupteigenthümlichkeiten dieser Wiedergeburt bezeichnet er die Rückkehr zur Natur, das Wiederanknüpfen an die Antike und — den revolutionären Geist, eine seltsame Scheidung, in¬ sofern der „revolutionäre Geist" doch jedenfalls das Allgemeinere ist, von dem die beiden andern nur Aeußerungen oder Symptome sind. Dann folgt ein Rückblick auf die von Frankreich aus beherrschte Kunst des vorigen Jahr¬ hunderts, welche kurzweg als die der „Unnatur" hingestellt wird, worauf dann die Apostel und Vorkämpfer der neuen Zeit: Winckelmann und Diderot unter den Gelehrten, unter den Künstlern Mengs, Greuze, Chodowiecki, Canova, Flaxman, David u. a. und die mannigfachen Umstände, die die neue Zeit heraufführen halfen, einzeln vorgeführt werden. Mit dieser letzten Uebersicht kann man sich im Ganzen einverstanden er¬ klären, wenn man auch im Einzelnen manches anders wünschte. Dahin ge¬ hört es z. B., daß Lessing auf sieben Zeilen abgethan wird, während Winckel- Mann sieben volle Seiten gewidmet sind, vier davon allein der Darstellung seines Lebens, und darunter wieder anderthalbe seinem Uebertritt zur katho¬ lischen Religion! Was soll das in dieser Einleitung? Für den Kunstwissen, Schafter hat Riegel nicht geschrieben, dazu ist seine Darstellung zu mager und farblos und streift zu sehr nur die Höhenpunkte; für einen Laien aber, der roenig Ansprüche macht, der sich nur einigermaßen orientiren und sich ein paar Hauptraum einprägen will, dürfte das Buch genügen. Nicht ganz so schnell sind wir mit Riegel's Darstellungsweise fertig. Es ist wunderbar, aber es ist eine Thatsache, daß man bei allem, was Riegel schreibt, den fatalen Eindruck nicht los wird, als ob er von dem, worüber er schreibt, selber nicht recht unterrichtet wäre. Die Schuld davon trägt einerseits der Mangel an Originalität — es klingt bei ihm alles so angelernt — andrerseits die unglückliche, aber wirklich sehr unglückliche Aus- drucksweise. Es kommt ihm eben nicht, wie man zu sagen pflegt. Vor allen Dingen entbehrt der Ausdruck aller Schärfe und bewegt sich viel zu sehr in verschwommenen Allgemeinheiten. Ausdrücke wie die „reine Kunst", die „wahre Kunst", die „neu belebte Kunst", Epitheta wie „vollkommen, voll¬ endet, bedeutend, hervorragend, nachhaltig, großartig, nie geahnt" u. a. kehren von Seite zu Seite wieder, ohne daß wir irgendwo eine concrete Vor¬ stellung damit verbinden könnten, und Wendungen wie die, daß im Mittel- alter „in Italien die Kunst mit bewundernswerthem Glänze strahlen konnte".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/239>, abgerufen am 22.07.2024.