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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Verbindung zu erhalten, waren drei weite Mauerlücken in die Umfassung
des Thiergartens gebrochen. Zwischen Park und Tessin breiteten sich Wein¬
hügel und lagen fünf reiche Klöster, in deren einem König Franz seinen
Hof aufgeschlagen hatte. -- Das Belagerungsheer zählte anfangs fast 36,000
Mann, nämlich 1700 französische Lanzen (d. h. nahezu 10,000 Reiter) und
an Fußvolk 8000 Franzosen, 8000 Deutsche, 6000 Schweizer und 4000 Ita¬
liener. Franz versuchte es zuerst mit einem brüsten Angriff auf Pavia. Er
ließ in den Hauptthurm des Schlosses Bresche legen; doch der 13 mal ver¬
suchte Sturm mißglückte total. Leyva hatte hinter der Bresche Abschnitte
einrichten und die ihr benachbarten Häuser creneliren lassen. Das Feuer,
welches die stürmenden empfing, war so gewaltig, der Gegenstoß, den die
Landsknechte unter Schaft. Schärtlin und Caspar Frundsberg, des alten
Georgs tapfrem Sohn gegen die Weichenden ausführten, war so nachdrücklich,
daß sich der König zur förmlichen Belagerung entschloß. Nun wurde Pavia
von allen Seiten mit Circumvallations- und Contravallationslinien einge¬
schlossen.*) So eng als möglich umspannen die Stadt Schanzen und Lauf¬
gräben, und zugleich ward der Versuch gemacht, den Hauptarm des Tes-
sinstromes in den Gravellone, den südlichen Nebenarm, abzuleiten, um die
Stadt von dieser, fortifikatorisch schwächsten Seite anzugreifen, indem die hier
nur ganz einfache Umschließungsmauer durch zahlreiche Batterien niedergelegt
und der Sturm in dem wasserfreien Flußbett versucht werden sollte.

Die italienischen Fürsten waren der Meinung, daß mit dem Fall von Pavia
des Kaisers Sache in der Halbinsel verloren sein werde, und da die damalige
Lage sehr hoffnungsvoll für Franz schien, so näherten sie sich ihm augenscheinlich.
Papst Clemens VII. war der erste, welcher die Partei Karl's V. verließ.

Das außerordentliche Unternehmen der Stromableitung hatte indessen
bereits eine wochenlange Arbeit gekostet; Tausende von Landleuten hatten
Tag und Nacht an den ungeheueren Dämmen geschanzt, welche den Tessin
oberhalb der Stadt sperren sollten, ebensoviele waren mit der Erweiterung des
Gravellone beschäftigt, als der unaufhörlich vom Himmel strömende Herbst¬
regen den Fluß so stark anschwellte, daß alle bisher ausgeführten Werke in
sehr kurzer Zeit wieder verschwemmt und vernichtet wurden. Es blieb nichts
übrig, als zum langsamen Sappen? und Minenkriege überzugehn und die
Schrecken des Hungers wirken zu lassen. Auf jener Seite der Stadt, wo der
Angriff schon früher gescheitert war, wurden auch die Laufgrabenarbetten
aufs neue ausgenommen und thätig fortgesetzt. -- Ebenso rührig wie die Fran¬
zosen war aber die Besatzung, deren Häupter der Spanier Leyva und der
deutsche Oberst, Graf Eitel Friedrich von Hohenzollern, an Ausdauer und



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Verbindung zu erhalten, waren drei weite Mauerlücken in die Umfassung
des Thiergartens gebrochen. Zwischen Park und Tessin breiteten sich Wein¬
hügel und lagen fünf reiche Klöster, in deren einem König Franz seinen
Hof aufgeschlagen hatte. — Das Belagerungsheer zählte anfangs fast 36,000
Mann, nämlich 1700 französische Lanzen (d. h. nahezu 10,000 Reiter) und
an Fußvolk 8000 Franzosen, 8000 Deutsche, 6000 Schweizer und 4000 Ita¬
liener. Franz versuchte es zuerst mit einem brüsten Angriff auf Pavia. Er
ließ in den Hauptthurm des Schlosses Bresche legen; doch der 13 mal ver¬
suchte Sturm mißglückte total. Leyva hatte hinter der Bresche Abschnitte
einrichten und die ihr benachbarten Häuser creneliren lassen. Das Feuer,
welches die stürmenden empfing, war so gewaltig, der Gegenstoß, den die
Landsknechte unter Schaft. Schärtlin und Caspar Frundsberg, des alten
Georgs tapfrem Sohn gegen die Weichenden ausführten, war so nachdrücklich,
daß sich der König zur förmlichen Belagerung entschloß. Nun wurde Pavia
von allen Seiten mit Circumvallations- und Contravallationslinien einge¬
schlossen.*) So eng als möglich umspannen die Stadt Schanzen und Lauf¬
gräben, und zugleich ward der Versuch gemacht, den Hauptarm des Tes-
sinstromes in den Gravellone, den südlichen Nebenarm, abzuleiten, um die
Stadt von dieser, fortifikatorisch schwächsten Seite anzugreifen, indem die hier
nur ganz einfache Umschließungsmauer durch zahlreiche Batterien niedergelegt
und der Sturm in dem wasserfreien Flußbett versucht werden sollte.

Die italienischen Fürsten waren der Meinung, daß mit dem Fall von Pavia
des Kaisers Sache in der Halbinsel verloren sein werde, und da die damalige
Lage sehr hoffnungsvoll für Franz schien, so näherten sie sich ihm augenscheinlich.
Papst Clemens VII. war der erste, welcher die Partei Karl's V. verließ.

Das außerordentliche Unternehmen der Stromableitung hatte indessen
bereits eine wochenlange Arbeit gekostet; Tausende von Landleuten hatten
Tag und Nacht an den ungeheueren Dämmen geschanzt, welche den Tessin
oberhalb der Stadt sperren sollten, ebensoviele waren mit der Erweiterung des
Gravellone beschäftigt, als der unaufhörlich vom Himmel strömende Herbst¬
regen den Fluß so stark anschwellte, daß alle bisher ausgeführten Werke in
sehr kurzer Zeit wieder verschwemmt und vernichtet wurden. Es blieb nichts
übrig, als zum langsamen Sappen? und Minenkriege überzugehn und die
Schrecken des Hungers wirken zu lassen. Auf jener Seite der Stadt, wo der
Angriff schon früher gescheitert war, wurden auch die Laufgrabenarbetten
aufs neue ausgenommen und thätig fortgesetzt. — Ebenso rührig wie die Fran¬
zosen war aber die Besatzung, deren Häupter der Spanier Leyva und der
deutsche Oberst, Graf Eitel Friedrich von Hohenzollern, an Ausdauer und



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/23>, abgerufen am 24.08.2024.