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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Kaum war der Reichstag geschlossen, als der württembergische Landtag
seine Thätigkeit begann: nun ist auch dieser nach glücklich vollbrachter Arbeit
heimgegangen. So hätten wir denn einen passenden Ruhepunkt, um auf den
Gang der politischen Bewegung in Schwaben während des letzten halben
Jahres einen Rückblick zu werfen. Da tritt uns natürlich zunächst der Reichs¬
tag und seine Thätigkeit aus der diesseitigen Perspective entgegen. Daß
unsere Wahlen nicht gerade reichsfeindlich ausgefallen waren, ist bekannt:
selbst die 3 Klerikalen, welche Württemberg nach Berlin entsendet hat. sind
keine gefährlichen Eiferer, wenn sie auch unbedingt dem Commando der
Jesuitenpartei folgen. Während aber Schwaben auf dem letzten Reichstag
in der nationalliberalen Partei durch 12, ist es jetzt nur noch durch 8 Mit¬
glieder in derselben vertreten: zur deutschen Reichspartei aber, welche 1870
bis 1873 nur aus nationalgesinnten Elementen bestand, und jetzt seit der
Auflösung der liberalen Reichspartei einen partieularistisch - gouvernementalen
Flügel sich angegliedert hat, stellten Württemberg 4, darunter zwei der letzt¬
genannten Kategorie ungehörige Mitglieder Schmid und Sarwey. Der erstere
hatte, seit seiner Berufung in den württembergischen Staatsdienst, die national¬
liberale Partei, welcher er bis dahin im Reichstag angehört hatte, verlassen.
Sarwey aber, der württembergische Staatsrath, hier zu Lande auf allen
Landtagen und unter allen Ministerien und als der Gouvernementale um
jeden Preis bekannt, war von unsern verschämten Particularisten, welch"
Herrn v. Mittnacht mit einem gewissen Mißtrauen betrachten, nach Berlin
entsendet worden, um über letztern zu vigiliren, insbesondere seine Collegen
im Ministerium an kalt zu halten. Man will eben die eminente politische
Befähigung Mittnacht's, seine Ueberlegenheit und Unentbehrlichst nur ungern
anerkennen; ihm einen Collegen im Bundesrath zur Seite zu setzen, ging aus
verschiedenen Gründen nicht an, und wäre es auch nur, weil jeder sich sagen
wußte, daß er der ruhigen, nur mit der Thatsache rechnenden Besonnenheit
unseres Premier gegenüber auf dem Berliner Boden keine Rolle spielen könne:
so begnügte man sich denn mit der mehr untergeordneten Thätigkeit eines
Reporters, der die Weisung erhielt, mit den Herren v. Nosttz, v. Könneritz,
Günther, kurz mit Ihren bekannten sächsischen Landsleuten Fühlung zu er¬
halten. Schwaben und Sachsen bilden demnach zusammen jenes sonderbare
Anhängsel der deutschen Reichspartei, das schon auf dem letzten Reichstag --
Ku'r erinnern nur an das Militärgesetz und den Volk-Hinschius'schen Antrag
namentlich aber durch die Vorgänge im sächsischen Landtag die große
Nationalgesinnte Mehrheit jener Partei in auffallender Weise blosgestellt hat.


Grenzboten HI,. 1874. 28

Kaum war der Reichstag geschlossen, als der württembergische Landtag
seine Thätigkeit begann: nun ist auch dieser nach glücklich vollbrachter Arbeit
heimgegangen. So hätten wir denn einen passenden Ruhepunkt, um auf den
Gang der politischen Bewegung in Schwaben während des letzten halben
Jahres einen Rückblick zu werfen. Da tritt uns natürlich zunächst der Reichs¬
tag und seine Thätigkeit aus der diesseitigen Perspective entgegen. Daß
unsere Wahlen nicht gerade reichsfeindlich ausgefallen waren, ist bekannt:
selbst die 3 Klerikalen, welche Württemberg nach Berlin entsendet hat. sind
keine gefährlichen Eiferer, wenn sie auch unbedingt dem Commando der
Jesuitenpartei folgen. Während aber Schwaben auf dem letzten Reichstag
in der nationalliberalen Partei durch 12, ist es jetzt nur noch durch 8 Mit¬
glieder in derselben vertreten: zur deutschen Reichspartei aber, welche 1870
bis 1873 nur aus nationalgesinnten Elementen bestand, und jetzt seit der
Auflösung der liberalen Reichspartei einen partieularistisch - gouvernementalen
Flügel sich angegliedert hat, stellten Württemberg 4, darunter zwei der letzt¬
genannten Kategorie ungehörige Mitglieder Schmid und Sarwey. Der erstere
hatte, seit seiner Berufung in den württembergischen Staatsdienst, die national¬
liberale Partei, welcher er bis dahin im Reichstag angehört hatte, verlassen.
Sarwey aber, der württembergische Staatsrath, hier zu Lande auf allen
Landtagen und unter allen Ministerien und als der Gouvernementale um
jeden Preis bekannt, war von unsern verschämten Particularisten, welch«
Herrn v. Mittnacht mit einem gewissen Mißtrauen betrachten, nach Berlin
entsendet worden, um über letztern zu vigiliren, insbesondere seine Collegen
im Ministerium an kalt zu halten. Man will eben die eminente politische
Befähigung Mittnacht's, seine Ueberlegenheit und Unentbehrlichst nur ungern
anerkennen; ihm einen Collegen im Bundesrath zur Seite zu setzen, ging aus
verschiedenen Gründen nicht an, und wäre es auch nur, weil jeder sich sagen
wußte, daß er der ruhigen, nur mit der Thatsache rechnenden Besonnenheit
unseres Premier gegenüber auf dem Berliner Boden keine Rolle spielen könne:
so begnügte man sich denn mit der mehr untergeordneten Thätigkeit eines
Reporters, der die Weisung erhielt, mit den Herren v. Nosttz, v. Könneritz,
Günther, kurz mit Ihren bekannten sächsischen Landsleuten Fühlung zu er¬
halten. Schwaben und Sachsen bilden demnach zusammen jenes sonderbare
Anhängsel der deutschen Reichspartei, das schon auf dem letzten Reichstag —
Ku'r erinnern nur an das Militärgesetz und den Volk-Hinschius'schen Antrag
namentlich aber durch die Vorgänge im sächsischen Landtag die große
Nationalgesinnte Mehrheit jener Partei in auffallender Weise blosgestellt hat.


Grenzboten HI,. 1874. 28
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/225>, abgerufen am 22.07.2024.