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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Ebendeßhalb folgte man auch bei uns mit besonderem Interesse den Expeeto-
rationen des Herrn v. Nostiz und der andern Frondeurs in der sächsischen
Kammer: unsere Ultramontanen sammt der Volkspartei wieherten lauten
Beifall: im Allgemeinen aber herrschte hier zu Lande ein gewisses Gefühl der
Befriedigung, indem wir mit Freude sagen können: solche Vorgänge sind
heutzutage -- soweit uns sonst die Sachsen voraus sein mögen -- in Württem¬
berg unmöglich. Ganz abgesehen von dem Umschwung, der seit einiger Zeit
in unseren Hofkreisen sich bemerklich gemacht hat, und von der Haltung
unserer Kammermehrheit, wäre den thatsächlichen Verhältnissen im Reich
gegenüber keinem unserer Minister, am wenigsten Herrn v. Mittnacht eine so
unbesonnene Leidenschaftlichkeit zuzutrauen, wie sie Herr v. Nostiz zum Wohl¬
gefallen Ihrer Particularisten und Fortschrittsmänner an den Tag gelegt hat.

Die Beschlüsse des Reichstags haben bei der großen Mehrheit unserer
Bevölkerung die vollste Befriedigung erregt. Hätte auch vielleicht die Mehr¬
zahl der activen Politiker der nationalen Partei unseres Landes die endgiltige
Feststellung der Heeresgrößenziffer im Militärgesetz vorgezogen, da man gerade
in Schwaben in allen Kreisen die langweilige Agitation gegen das Militär¬
wesen herzlich satt bekommen hat, so erkannte man doch gern vom höheren
politischen Standpunkt aus die Vortheile derjenigen Lösung an. welche der
Reichstag mit so großer Mehrheit gefunden hat. Auch das Preßgesetz war
für Schwaben eine große Errungenschaft, denn wir lebten bisher unter einem
Preßgesetz vom Jahre 1817, welches zwar die Preßfreiheit äußerlich an der
Stirne trug, im Uebrigen aber die Allmacht der Polizei namentlich auf dem
Gebiet der Concessionsertheilung und der Confiscation von Druckschriften im
weitesten Umfang anerkannte, sogar die Einführung der Censur für außer¬
ordentliche Fälle vorbehalten hatte: was freilich den Herren Sonnemann und
Genossen in Folge der milden Praxis der letzten Jahre gänzlich aus der Er¬
innerung gekommen war. neuestens hat nun unsere Ständekammer -- mit
großer Mehrheit übereinstimmend mit der Vorlage der Regierung den bei
der dritten Lesung des Preßgesetzes im Reichstag -- angeblich mit Rücksicht
auf die besonderen Verhältnisse Süddeutschlands! -- eliminirten Paragraphen
über das Placatwesen nach der in der II. Lesung des Reichstags angenom¬
menen Fassung zum Landesgesetz erhoben.

Der Volk-Hinschius'sche Antrag bezüglich der Civilehe hat wenigstens
seinen wichtigsten Zweck erreicht, als Drücker aus die Entschließungen der
bayrischen Regierung zu dienen: außerdem hat die Debatte über denselben
wesentlich dazu beigetragen, das Vorurtheil unserer Bevölkerung gegen die
Civilehe zu beseitigen und das wichtige politische Verständniß für die Be¬
urtheilung dieser Frage anzubahnen. Auch in Württemberg ist nämlich die
Einführung der obligatorischen Civilehe, wie jeder Sachkundige zugeben muß,


Ebendeßhalb folgte man auch bei uns mit besonderem Interesse den Expeeto-
rationen des Herrn v. Nostiz und der andern Frondeurs in der sächsischen
Kammer: unsere Ultramontanen sammt der Volkspartei wieherten lauten
Beifall: im Allgemeinen aber herrschte hier zu Lande ein gewisses Gefühl der
Befriedigung, indem wir mit Freude sagen können: solche Vorgänge sind
heutzutage — soweit uns sonst die Sachsen voraus sein mögen — in Württem¬
berg unmöglich. Ganz abgesehen von dem Umschwung, der seit einiger Zeit
in unseren Hofkreisen sich bemerklich gemacht hat, und von der Haltung
unserer Kammermehrheit, wäre den thatsächlichen Verhältnissen im Reich
gegenüber keinem unserer Minister, am wenigsten Herrn v. Mittnacht eine so
unbesonnene Leidenschaftlichkeit zuzutrauen, wie sie Herr v. Nostiz zum Wohl¬
gefallen Ihrer Particularisten und Fortschrittsmänner an den Tag gelegt hat.

Die Beschlüsse des Reichstags haben bei der großen Mehrheit unserer
Bevölkerung die vollste Befriedigung erregt. Hätte auch vielleicht die Mehr¬
zahl der activen Politiker der nationalen Partei unseres Landes die endgiltige
Feststellung der Heeresgrößenziffer im Militärgesetz vorgezogen, da man gerade
in Schwaben in allen Kreisen die langweilige Agitation gegen das Militär¬
wesen herzlich satt bekommen hat, so erkannte man doch gern vom höheren
politischen Standpunkt aus die Vortheile derjenigen Lösung an. welche der
Reichstag mit so großer Mehrheit gefunden hat. Auch das Preßgesetz war
für Schwaben eine große Errungenschaft, denn wir lebten bisher unter einem
Preßgesetz vom Jahre 1817, welches zwar die Preßfreiheit äußerlich an der
Stirne trug, im Uebrigen aber die Allmacht der Polizei namentlich auf dem
Gebiet der Concessionsertheilung und der Confiscation von Druckschriften im
weitesten Umfang anerkannte, sogar die Einführung der Censur für außer¬
ordentliche Fälle vorbehalten hatte: was freilich den Herren Sonnemann und
Genossen in Folge der milden Praxis der letzten Jahre gänzlich aus der Er¬
innerung gekommen war. neuestens hat nun unsere Ständekammer — mit
großer Mehrheit übereinstimmend mit der Vorlage der Regierung den bei
der dritten Lesung des Preßgesetzes im Reichstag — angeblich mit Rücksicht
auf die besonderen Verhältnisse Süddeutschlands! — eliminirten Paragraphen
über das Placatwesen nach der in der II. Lesung des Reichstags angenom¬
menen Fassung zum Landesgesetz erhoben.

Der Volk-Hinschius'sche Antrag bezüglich der Civilehe hat wenigstens
seinen wichtigsten Zweck erreicht, als Drücker aus die Entschließungen der
bayrischen Regierung zu dienen: außerdem hat die Debatte über denselben
wesentlich dazu beigetragen, das Vorurtheil unserer Bevölkerung gegen die
Civilehe zu beseitigen und das wichtige politische Verständniß für die Be¬
urtheilung dieser Frage anzubahnen. Auch in Württemberg ist nämlich die
Einführung der obligatorischen Civilehe, wie jeder Sachkundige zugeben muß,


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[0226] Ebendeßhalb folgte man auch bei uns mit besonderem Interesse den Expeeto- rationen des Herrn v. Nostiz und der andern Frondeurs in der sächsischen Kammer: unsere Ultramontanen sammt der Volkspartei wieherten lauten Beifall: im Allgemeinen aber herrschte hier zu Lande ein gewisses Gefühl der Befriedigung, indem wir mit Freude sagen können: solche Vorgänge sind heutzutage — soweit uns sonst die Sachsen voraus sein mögen — in Württem¬ berg unmöglich. Ganz abgesehen von dem Umschwung, der seit einiger Zeit in unseren Hofkreisen sich bemerklich gemacht hat, und von der Haltung unserer Kammermehrheit, wäre den thatsächlichen Verhältnissen im Reich gegenüber keinem unserer Minister, am wenigsten Herrn v. Mittnacht eine so unbesonnene Leidenschaftlichkeit zuzutrauen, wie sie Herr v. Nostiz zum Wohl¬ gefallen Ihrer Particularisten und Fortschrittsmänner an den Tag gelegt hat. Die Beschlüsse des Reichstags haben bei der großen Mehrheit unserer Bevölkerung die vollste Befriedigung erregt. Hätte auch vielleicht die Mehr¬ zahl der activen Politiker der nationalen Partei unseres Landes die endgiltige Feststellung der Heeresgrößenziffer im Militärgesetz vorgezogen, da man gerade in Schwaben in allen Kreisen die langweilige Agitation gegen das Militär¬ wesen herzlich satt bekommen hat, so erkannte man doch gern vom höheren politischen Standpunkt aus die Vortheile derjenigen Lösung an. welche der Reichstag mit so großer Mehrheit gefunden hat. Auch das Preßgesetz war für Schwaben eine große Errungenschaft, denn wir lebten bisher unter einem Preßgesetz vom Jahre 1817, welches zwar die Preßfreiheit äußerlich an der Stirne trug, im Uebrigen aber die Allmacht der Polizei namentlich auf dem Gebiet der Concessionsertheilung und der Confiscation von Druckschriften im weitesten Umfang anerkannte, sogar die Einführung der Censur für außer¬ ordentliche Fälle vorbehalten hatte: was freilich den Herren Sonnemann und Genossen in Folge der milden Praxis der letzten Jahre gänzlich aus der Er¬ innerung gekommen war. neuestens hat nun unsere Ständekammer — mit großer Mehrheit übereinstimmend mit der Vorlage der Regierung den bei der dritten Lesung des Preßgesetzes im Reichstag — angeblich mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse Süddeutschlands! — eliminirten Paragraphen über das Placatwesen nach der in der II. Lesung des Reichstags angenom¬ menen Fassung zum Landesgesetz erhoben. Der Volk-Hinschius'sche Antrag bezüglich der Civilehe hat wenigstens seinen wichtigsten Zweck erreicht, als Drücker aus die Entschließungen der bayrischen Regierung zu dienen: außerdem hat die Debatte über denselben wesentlich dazu beigetragen, das Vorurtheil unserer Bevölkerung gegen die Civilehe zu beseitigen und das wichtige politische Verständniß für die Be¬ urtheilung dieser Frage anzubahnen. Auch in Württemberg ist nämlich die Einführung der obligatorischen Civilehe, wie jeder Sachkundige zugeben muß,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/226>, abgerufen am 22.07.2024.