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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Herzog Sforza entfloh zu den Franzosen; sein Kanzler wirkte bei der Bürger¬
schaft zu des Königs Gunsten, und überdies herrschte die Pest in der Stadt.
Launoy begnügte sich. 700 Spanier in die starke Citadelle zu werfen und
räumte Mailand. -- Die gewaltige Kriegsmacht, die noch vor wenig Monden
den Kaiser zum Herrn der Welt machen zu wollen schien. war plötzlich aus
dem Felde verschwunden. Pasquino, der bekannte Witzbold in Rom, der den
"Pasquillen" den Namen gegeben, ließ sich vernehmen: Es sei ein kaiser¬
liches Heer in den Alpen verloren gegangen: der ehrliche Finder werde ge¬
beten, es gegen eine gute Belohnung zu Madrid abzugeben.

Die einzige Quelle für ein neues Heer, aus der man schöpfen konnte,
war Deutschland; der Mann, mit dessen Beistand man gewiß sein durfte,
bald eine bedeutende Macht ins Feld stellen zu können, war Georg
von Frundsberg. -- Noch während des Rückzuges sandte daher der Vicekönig
seinen Hofmeister, Cornelius von der Spangen, nach Oestreich zum Erzherzoge
Ferdinand, dem Bruder des Kaisers, und zu Frundsberg, der kriegesmüde still
auf seinem Schlosse Mindelheim in Schwaben hauste.

Pescara war indessen mit der Hauptmacht der von ihm zurückgeführten
Armee nach Lodi, Trezzo und Como marschirt, um sich hinter der Adda, die
schon so oftmals weichenden Heeren Schutz gewährt, zu sammeln. Bourbon
und Launoy standen mit der Reiterei am Oglio bei Soncino. In Pizzig-
hettone befand sich der Herzog Sforza. Eine starke Truppenabtheilung
wurde nach Cremona gelegt. Dadurch waren die rückwärtigen Straßen, auf
welchen Verstärkungen aus Deutschland kommen sollten, vollkommen gedeckt.
Franz I. besetzte Mailand und ernannte den Marschall Tremouille zu seinem
dortigen Statthalter. Dieser alte erfahrene Krieger rieth, mit ungeschwächter
Kraft dem weichenden Feinde auf den Leib zu rücken, ihn zur Schlacht zu
zwingen und auf diese Art den Krystallisationskern einer künftigen kaiserlichen
Armee im Po-Gebiete von vornherein zu vernichten; wenn das gelungen sei.
so würden die festen Plätze, jeder Hoffnung auf Hilfe beraubt, von selbst
fallen. Viel wichtiger als der Besitz Pavias sei jedenfalls der von Lodi und
Como; denn mit Lodi würde die Addalinie gewonnen, Mailand gegen jede
Unternehmung der Kaiserlichen gedeckt und die Belagerung der dortigen
Citadelle gesichert; die Einnahme Convs aber würde die nächste Verbindung
mit der Schweiz eröffnen. -- Der König vermochte sich der Richtigkett dieser
Ansicht nicht ganz zu verschließen; sein Sinn stand jedoch, vielleicht aus per¬
sönlichen Rücksichten, auf dem Angriffe von Pavia. und die Höflinge in seinem
Lager, deren Wortführer Bonnivet war, bestätigten ihn in der Ansicht, daß
es vor allem gelte, keine Gegner im Rücken zu behalten, und daß es nicht
schicklich sei für einen König von Frankreich, in der Ferne nach Feinden zu
suchen, solange man deren noch in der Nähe habe. -- Während Franz noch


Herzog Sforza entfloh zu den Franzosen; sein Kanzler wirkte bei der Bürger¬
schaft zu des Königs Gunsten, und überdies herrschte die Pest in der Stadt.
Launoy begnügte sich. 700 Spanier in die starke Citadelle zu werfen und
räumte Mailand. — Die gewaltige Kriegsmacht, die noch vor wenig Monden
den Kaiser zum Herrn der Welt machen zu wollen schien. war plötzlich aus
dem Felde verschwunden. Pasquino, der bekannte Witzbold in Rom, der den
„Pasquillen" den Namen gegeben, ließ sich vernehmen: Es sei ein kaiser¬
liches Heer in den Alpen verloren gegangen: der ehrliche Finder werde ge¬
beten, es gegen eine gute Belohnung zu Madrid abzugeben.

Die einzige Quelle für ein neues Heer, aus der man schöpfen konnte,
war Deutschland; der Mann, mit dessen Beistand man gewiß sein durfte,
bald eine bedeutende Macht ins Feld stellen zu können, war Georg
von Frundsberg. — Noch während des Rückzuges sandte daher der Vicekönig
seinen Hofmeister, Cornelius von der Spangen, nach Oestreich zum Erzherzoge
Ferdinand, dem Bruder des Kaisers, und zu Frundsberg, der kriegesmüde still
auf seinem Schlosse Mindelheim in Schwaben hauste.

Pescara war indessen mit der Hauptmacht der von ihm zurückgeführten
Armee nach Lodi, Trezzo und Como marschirt, um sich hinter der Adda, die
schon so oftmals weichenden Heeren Schutz gewährt, zu sammeln. Bourbon
und Launoy standen mit der Reiterei am Oglio bei Soncino. In Pizzig-
hettone befand sich der Herzog Sforza. Eine starke Truppenabtheilung
wurde nach Cremona gelegt. Dadurch waren die rückwärtigen Straßen, auf
welchen Verstärkungen aus Deutschland kommen sollten, vollkommen gedeckt.
Franz I. besetzte Mailand und ernannte den Marschall Tremouille zu seinem
dortigen Statthalter. Dieser alte erfahrene Krieger rieth, mit ungeschwächter
Kraft dem weichenden Feinde auf den Leib zu rücken, ihn zur Schlacht zu
zwingen und auf diese Art den Krystallisationskern einer künftigen kaiserlichen
Armee im Po-Gebiete von vornherein zu vernichten; wenn das gelungen sei.
so würden die festen Plätze, jeder Hoffnung auf Hilfe beraubt, von selbst
fallen. Viel wichtiger als der Besitz Pavias sei jedenfalls der von Lodi und
Como; denn mit Lodi würde die Addalinie gewonnen, Mailand gegen jede
Unternehmung der Kaiserlichen gedeckt und die Belagerung der dortigen
Citadelle gesichert; die Einnahme Convs aber würde die nächste Verbindung
mit der Schweiz eröffnen. — Der König vermochte sich der Richtigkett dieser
Ansicht nicht ganz zu verschließen; sein Sinn stand jedoch, vielleicht aus per¬
sönlichen Rücksichten, auf dem Angriffe von Pavia. und die Höflinge in seinem
Lager, deren Wortführer Bonnivet war, bestätigten ihn in der Ansicht, daß
es vor allem gelte, keine Gegner im Rücken zu behalten, und daß es nicht
schicklich sei für einen König von Frankreich, in der Ferne nach Feinden zu
suchen, solange man deren noch in der Nähe habe. — Während Franz noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/20>, abgerufen am 22.07.2024.