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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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nicht sein konnten, in einer Ecke ihres Eßzimmers eingepfercht hatte. Um
dieser brutalen Behandlung willen verwandten wir Alle uns beim Capitain,
der auch gestattete, daß jene Passagiere in der ersten Cajüte schliefen und aßen.
--- So näherten wir uns denn unsrem Ziele und schon glaubten wir sagen
zu können, morgen sind wir da, als leider die Luft sich wieder verfinsterte und
starker Nebel mit Regen eintrat. Der Capitain ließ die Maschine stoppen
und zog alle Segel ein, da der Wind ungünstig wurde und obgleich nur
etwa 60 Meilen von Madeira entfernt, mußten wir uns von Wind und
Wellen westwärts treiben lassen, da bei solchem Nebel die Fahrt auf die
Insel zu gefährlich war.

Einen Tag lang trieben wir und erst Abends um 6 Uhr fühlte man
wieder das unangenehme und doch so erwünschte Arbeiten der Schraube unter
sich. Das Wetter hatte sich wieder aufgehellt und man sah einzelne Sterne
am Himmel. Wir legten uns schlafen in der festen Hoffnung beim Erwachen
die Insel vor uns zu sehen. Und unsere Hoffnung und das Wort des Ca-
pitains hatten uns nicht betrogen. Als ich früher als gewöhnlich auf Deck
kam, fah ich die kahlen Felsmassen in der Ferne vor mir liegen. Wir gingen
um die Ostseite der Insel herum; links blieb uns Porto Santo und später
die Desertas liegen; zur Rechten erkannte man mehr und mehr von Madeira
Anfangs kahles zerklüftetes wildes Gestein, gegen welches die Wogen anbran¬
deten; dann, je mehr wir um die Ostspitze nach der Südseite herumsteuerten,
wurden die Wände der Insel bewachsener und bewohnter. Man unterschied das
Grün der Bäume und Felder und sah kleine Hütten mit Strohdächern, auch
steinerne Häuser und Alles im klarsten milden Sonnenglanze. Die See war
ruhiger und wurde es mehr und mehr, bis das Schiff fast eben hinglitt.
Nach einigen Stunden erblickte man endlich Funchal mit seinen weißen Häu¬
sern und Kirchen wie hingelagert in einem sonnigen Thalgrund.

Die Unbequemlichkeiten der vergangenen Tage waren bei solchem Anblick
vergessen; die Gegenwart mußte ihr Recht geltend machen und höchstens das
ungewisse Gefühl, wie die Zukunft sich auf diesem unbekannten, so fremden
Eiland gestalten würde, vermochte den innern Jubel zu dämpfen. Das Schiff
hatte jetzt das letzte Cap passirt und näherte sich den ersten Häusern der weit¬
läufig gebauten Stadt, die längs dem Strande und gegen die Abhänge ohne
sichtbare Grenzen sich ausdehnte. Ein Passagier, der schon dort gewesen, zeigte
uns verschiedene boaräinA Kouses, namentlich das von Hollway, welches hoch¬
gelegen deutlich erkennbar war und den Meisten empfohlen war. Gegen 11
Uhr warf das Schiff Anker und löste 1 Kanonenschuß um die sog. Visite an
Bord zu laden, vor deren Eintreffen Niemand das Schiff verlassen oder Nie¬
mand vom Lande das Schiff betreten durfte. Eine Menge größerer und
kleinerer Boote näherten sich dem Schiffe und man sah noch immer neue den


nicht sein konnten, in einer Ecke ihres Eßzimmers eingepfercht hatte. Um
dieser brutalen Behandlung willen verwandten wir Alle uns beim Capitain,
der auch gestattete, daß jene Passagiere in der ersten Cajüte schliefen und aßen.
-— So näherten wir uns denn unsrem Ziele und schon glaubten wir sagen
zu können, morgen sind wir da, als leider die Luft sich wieder verfinsterte und
starker Nebel mit Regen eintrat. Der Capitain ließ die Maschine stoppen
und zog alle Segel ein, da der Wind ungünstig wurde und obgleich nur
etwa 60 Meilen von Madeira entfernt, mußten wir uns von Wind und
Wellen westwärts treiben lassen, da bei solchem Nebel die Fahrt auf die
Insel zu gefährlich war.

Einen Tag lang trieben wir und erst Abends um 6 Uhr fühlte man
wieder das unangenehme und doch so erwünschte Arbeiten der Schraube unter
sich. Das Wetter hatte sich wieder aufgehellt und man sah einzelne Sterne
am Himmel. Wir legten uns schlafen in der festen Hoffnung beim Erwachen
die Insel vor uns zu sehen. Und unsere Hoffnung und das Wort des Ca-
pitains hatten uns nicht betrogen. Als ich früher als gewöhnlich auf Deck
kam, fah ich die kahlen Felsmassen in der Ferne vor mir liegen. Wir gingen
um die Ostseite der Insel herum; links blieb uns Porto Santo und später
die Desertas liegen; zur Rechten erkannte man mehr und mehr von Madeira
Anfangs kahles zerklüftetes wildes Gestein, gegen welches die Wogen anbran¬
deten; dann, je mehr wir um die Ostspitze nach der Südseite herumsteuerten,
wurden die Wände der Insel bewachsener und bewohnter. Man unterschied das
Grün der Bäume und Felder und sah kleine Hütten mit Strohdächern, auch
steinerne Häuser und Alles im klarsten milden Sonnenglanze. Die See war
ruhiger und wurde es mehr und mehr, bis das Schiff fast eben hinglitt.
Nach einigen Stunden erblickte man endlich Funchal mit seinen weißen Häu¬
sern und Kirchen wie hingelagert in einem sonnigen Thalgrund.

Die Unbequemlichkeiten der vergangenen Tage waren bei solchem Anblick
vergessen; die Gegenwart mußte ihr Recht geltend machen und höchstens das
ungewisse Gefühl, wie die Zukunft sich auf diesem unbekannten, so fremden
Eiland gestalten würde, vermochte den innern Jubel zu dämpfen. Das Schiff
hatte jetzt das letzte Cap passirt und näherte sich den ersten Häusern der weit¬
läufig gebauten Stadt, die längs dem Strande und gegen die Abhänge ohne
sichtbare Grenzen sich ausdehnte. Ein Passagier, der schon dort gewesen, zeigte
uns verschiedene boaräinA Kouses, namentlich das von Hollway, welches hoch¬
gelegen deutlich erkennbar war und den Meisten empfohlen war. Gegen 11
Uhr warf das Schiff Anker und löste 1 Kanonenschuß um die sog. Visite an
Bord zu laden, vor deren Eintreffen Niemand das Schiff verlassen oder Nie¬
mand vom Lande das Schiff betreten durfte. Eine Menge größerer und
kleinerer Boote näherten sich dem Schiffe und man sah noch immer neue den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/184>, abgerufen am 22.07.2024.