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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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so ungeheuchelt und wahr, daß auch nicht der leiseste Zweifel aufkommen
konnte, ob sie das Flackerfeuer schwärmerischer Erregung sei; dazu war er
sammt seinem Begleiter zu nüchtern. Wenn meine Erzählung bei diesen
beiden Menschen etwas länger verweilt, so kommt es, weil sie mir die an¬
ziehendsten und bei aller Unscheinbarkeit die hervorragendsten waren. Wäre
die Fahrt eine angenehmere gewesen, würden wir wohl manche trauliche
Unterhaltung mehr gehabt haben. Leider wurde der Sturm in der Biscayischen
See immer heftiger; einen Tag lang war es unmöglich auf dem Deck zu sein,
da die See selbst über das Quaterdeck ging und entr genöthigt war, zwei
Steuerleute, da einer es nicht regieren konnte, beim Ruder festzubinden, damit
sie nicht über Bord gespült wurden. Der Capitän erzählte uns, er habe sich
schon 5 mal trocken angezogen; dabei blieb er aber immer guter Dinge und
war namentlich sehr liebenswürdig gegen die Damen. Für mich war das
Sein in der Cajüte sehr unangenehm; die fortwährend gewaltsame Bewegung,
der man in keiner Lage entgehen konnte, die Unfähigkeit selbst zum Lesen,
die beklommene Luft brachten mich auf einen hohen Grad nervöser Erregtheit,
in welchem ich auch vielleicht mehr Gefahr für uns sah, als wirklich der Fall
war. Selbst mit dem Schlafe des Nachts wollte es nicht recht glücken, da
an eine ruhige Lage im Bette nicht zu denken war. Glücklicher Weise war
die Seekrankheit schon auf der Reise nach England abgemacht. Luise war in
Allem viel glücklicher daran als ich; sie konnte lesen und vortrefflich schlafen
und war in Bezug auf das Schiff und etwaige Gefahr ganz unbefangen.
Von unsern Reisegefährten litten Manche heftig an der Seekrankheit. Wir
Uebrigen hatten durch ihre Abwesenheit bei den Mahlzeiten wenigstens hin¬
reichend Platz, was wünschenswerth war, da die Speisen wiederholt über den
Tisch den Gästen in den Schooß fielen, ein Unglück, welches mich ganz be¬
sonders betraf. Einmal fiel sogar unser Capitain, welcher bei Tische präsi-
dirte, mit seinem Stuhle um. Auch wurden wir Gäste um Nachsicht wegen
der Speisen, die übrigens sehr reichlich und gut waren, gebeten, da der Koch
sich durch das heftige Schwanken mit heißem Wasser begossen habe. Als der
Sturm eines Nachmittags etwas nachließ, und man der See wegen wieder
auf Deck konnte, war es ein schauerlich schöner Anblick, das bewegte Meer zu
sehen. Solche Wogen hatte ich nie gesehen. Man konnte nur an Tauen
sich haltend auf dem Deck zubringen. Ab und an gab es noch etwas Spritz-
wasser. Die unglücklichen Bewohner der zweiten Cajüte waren aber gänzlich
in die erste geflüchtet, da ihre Thüren dem Wasserdrange nicht mehr Stand
hielten und sie genöthigt waren mit aller Körperkraft sich gegenzustemmen,
wodurch sie natürlich um ihre Nachtruhe gekommen waren. Auch das Essen
hatte man ihnen sehr unregelmäßig und schlecht gereicht. Was sie aber aufs
Höchste empörte war der Umstand, daß man Ferkel, die in ihrer Behausung


so ungeheuchelt und wahr, daß auch nicht der leiseste Zweifel aufkommen
konnte, ob sie das Flackerfeuer schwärmerischer Erregung sei; dazu war er
sammt seinem Begleiter zu nüchtern. Wenn meine Erzählung bei diesen
beiden Menschen etwas länger verweilt, so kommt es, weil sie mir die an¬
ziehendsten und bei aller Unscheinbarkeit die hervorragendsten waren. Wäre
die Fahrt eine angenehmere gewesen, würden wir wohl manche trauliche
Unterhaltung mehr gehabt haben. Leider wurde der Sturm in der Biscayischen
See immer heftiger; einen Tag lang war es unmöglich auf dem Deck zu sein,
da die See selbst über das Quaterdeck ging und entr genöthigt war, zwei
Steuerleute, da einer es nicht regieren konnte, beim Ruder festzubinden, damit
sie nicht über Bord gespült wurden. Der Capitän erzählte uns, er habe sich
schon 5 mal trocken angezogen; dabei blieb er aber immer guter Dinge und
war namentlich sehr liebenswürdig gegen die Damen. Für mich war das
Sein in der Cajüte sehr unangenehm; die fortwährend gewaltsame Bewegung,
der man in keiner Lage entgehen konnte, die Unfähigkeit selbst zum Lesen,
die beklommene Luft brachten mich auf einen hohen Grad nervöser Erregtheit,
in welchem ich auch vielleicht mehr Gefahr für uns sah, als wirklich der Fall
war. Selbst mit dem Schlafe des Nachts wollte es nicht recht glücken, da
an eine ruhige Lage im Bette nicht zu denken war. Glücklicher Weise war
die Seekrankheit schon auf der Reise nach England abgemacht. Luise war in
Allem viel glücklicher daran als ich; sie konnte lesen und vortrefflich schlafen
und war in Bezug auf das Schiff und etwaige Gefahr ganz unbefangen.
Von unsern Reisegefährten litten Manche heftig an der Seekrankheit. Wir
Uebrigen hatten durch ihre Abwesenheit bei den Mahlzeiten wenigstens hin¬
reichend Platz, was wünschenswerth war, da die Speisen wiederholt über den
Tisch den Gästen in den Schooß fielen, ein Unglück, welches mich ganz be¬
sonders betraf. Einmal fiel sogar unser Capitain, welcher bei Tische präsi-
dirte, mit seinem Stuhle um. Auch wurden wir Gäste um Nachsicht wegen
der Speisen, die übrigens sehr reichlich und gut waren, gebeten, da der Koch
sich durch das heftige Schwanken mit heißem Wasser begossen habe. Als der
Sturm eines Nachmittags etwas nachließ, und man der See wegen wieder
auf Deck konnte, war es ein schauerlich schöner Anblick, das bewegte Meer zu
sehen. Solche Wogen hatte ich nie gesehen. Man konnte nur an Tauen
sich haltend auf dem Deck zubringen. Ab und an gab es noch etwas Spritz-
wasser. Die unglücklichen Bewohner der zweiten Cajüte waren aber gänzlich
in die erste geflüchtet, da ihre Thüren dem Wasserdrange nicht mehr Stand
hielten und sie genöthigt waren mit aller Körperkraft sich gegenzustemmen,
wodurch sie natürlich um ihre Nachtruhe gekommen waren. Auch das Essen
hatte man ihnen sehr unregelmäßig und schlecht gereicht. Was sie aber aufs
Höchste empörte war der Umstand, daß man Ferkel, die in ihrer Behausung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/183>, abgerufen am 22.07.2024.