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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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nehmen, da selbst dann, wenn der Alpenübergang gelinge, die Spätherbst¬
regengüsse jede Operation in der Lombardei hindern würden. Zwar hatten sie
an all' die Auftritte treuloser Meuterei erinnert, welche die Söldner im fran¬
zösischen Dienst bei den geringsten Ursachen so oft herbeigeführt, und hatten drin¬
gend gerathen, die Truppen in bequeme Winterquartiere zu verlegen, um
dann im Frühjahr mit ungeschwächten Kräften nach Italien zu gehn. Aber
der König lauschte lieber den Rathschlägen seiner jüngeren Freunde Bonnivet
und Brion-Chabot, welche es verstanden, die materielle Ueberlegenheit des
französischen Heeres über die Kaiserlichen geltend zu machen und darauf hin¬
wiesen, wie Bourbon's Heer durch die Beschwerlichkeiten schon eines Alpen¬
übergangs, durch den angestrengten Dienst während der Belagerung und
durch den Mangel an Lebensmitteln erschöpft sei, wie die italienischen Bun¬
desgenossen Karl's V. den Krieg satt hätten und wie die Kaiserlichen genöthigt
seien, den weiten Umweg durch die westliche Riviera, über Nizza, Alpenga
und Firata in die Grafschaft Montserrat einzuschlagen, während dem Könige
die viel kürzeren Straßen von Avignon, Durance-aufwärts über Briancon
und den Mont-Genevre, an der Are über Lanslebourg und den Mont-Cenis
offen ständen. Unzweifelhaft werde er dem Feinde zuvorkommen und es ihm
unmöglich machen, den Tessin zu überschreiten. Dann aber gehöre Mailand
der französischen Krone; denn stets hätten die Lombarden sich dem Stärkeren
unterworfen. Wolle man dagegen den Winter vorübergehn lassen, so würde
der Feind inzwischen die Alpenpässe stark befestigen, neue Truppen sammeln
und die Unternehmung vielleicht unmöglich werden. -- Diese Gründe schlugen
durch. In den letzten Tagen des September 1824 brach Franz I. von Avig¬
non auf. -- "Noch einmal und nicht wieder!" lautete die Devise, welche er auf
die Aermel seiner Leibwache hatte sticken lassen.^)

Mit wetteifernder Eile überstiegen beide Heere die Alpen: Das kaiser¬
liche unter großen Schwierigkeiten. Da die Seestürme verhindert hatten, das
Belagerungsgeschütz einzuschiffen, so zerschlug man die Kanonen und führte
das Metall auf Saumthieren mit; das ging noch an; was den Troß aber
kolossal vermehrte, war der Umstand, daß diese alten Soldaten ihr gesäumtes
Gepäck, alle den Kriegserwerb der früheren Jahre mit sich schleppten. Und
geopfert durfte davon nichts werden; denn um dieser Güter willen dienten ja
jene Truppen. Von französischen Streifcorps unter Chabannes und Mont-
morency im Rücken angegriffen, in der Flanke vom Heere des Königs bedroht,
so begann Pescara seinen Rückzug, dessen gelungene Durchführung ihm einen
dauernden Namen in der Kriegsgeschichte sichert. Nicht selten angegriffen,
aufgehalten und geschlagen, aber beständig geschlossen, erreichte er Nizza und



") Kerviw: Mstoirs cltz" "uerres ne" Vanlois et nos ?r"llxAis en Italis. ?"ris 1805.

nehmen, da selbst dann, wenn der Alpenübergang gelinge, die Spätherbst¬
regengüsse jede Operation in der Lombardei hindern würden. Zwar hatten sie
an all' die Auftritte treuloser Meuterei erinnert, welche die Söldner im fran¬
zösischen Dienst bei den geringsten Ursachen so oft herbeigeführt, und hatten drin¬
gend gerathen, die Truppen in bequeme Winterquartiere zu verlegen, um
dann im Frühjahr mit ungeschwächten Kräften nach Italien zu gehn. Aber
der König lauschte lieber den Rathschlägen seiner jüngeren Freunde Bonnivet
und Brion-Chabot, welche es verstanden, die materielle Ueberlegenheit des
französischen Heeres über die Kaiserlichen geltend zu machen und darauf hin¬
wiesen, wie Bourbon's Heer durch die Beschwerlichkeiten schon eines Alpen¬
übergangs, durch den angestrengten Dienst während der Belagerung und
durch den Mangel an Lebensmitteln erschöpft sei, wie die italienischen Bun¬
desgenossen Karl's V. den Krieg satt hätten und wie die Kaiserlichen genöthigt
seien, den weiten Umweg durch die westliche Riviera, über Nizza, Alpenga
und Firata in die Grafschaft Montserrat einzuschlagen, während dem Könige
die viel kürzeren Straßen von Avignon, Durance-aufwärts über Briancon
und den Mont-Genevre, an der Are über Lanslebourg und den Mont-Cenis
offen ständen. Unzweifelhaft werde er dem Feinde zuvorkommen und es ihm
unmöglich machen, den Tessin zu überschreiten. Dann aber gehöre Mailand
der französischen Krone; denn stets hätten die Lombarden sich dem Stärkeren
unterworfen. Wolle man dagegen den Winter vorübergehn lassen, so würde
der Feind inzwischen die Alpenpässe stark befestigen, neue Truppen sammeln
und die Unternehmung vielleicht unmöglich werden. — Diese Gründe schlugen
durch. In den letzten Tagen des September 1824 brach Franz I. von Avig¬
non auf. — „Noch einmal und nicht wieder!" lautete die Devise, welche er auf
die Aermel seiner Leibwache hatte sticken lassen.^)

Mit wetteifernder Eile überstiegen beide Heere die Alpen: Das kaiser¬
liche unter großen Schwierigkeiten. Da die Seestürme verhindert hatten, das
Belagerungsgeschütz einzuschiffen, so zerschlug man die Kanonen und führte
das Metall auf Saumthieren mit; das ging noch an; was den Troß aber
kolossal vermehrte, war der Umstand, daß diese alten Soldaten ihr gesäumtes
Gepäck, alle den Kriegserwerb der früheren Jahre mit sich schleppten. Und
geopfert durfte davon nichts werden; denn um dieser Güter willen dienten ja
jene Truppen. Von französischen Streifcorps unter Chabannes und Mont-
morency im Rücken angegriffen, in der Flanke vom Heere des Königs bedroht,
so begann Pescara seinen Rückzug, dessen gelungene Durchführung ihm einen
dauernden Namen in der Kriegsgeschichte sichert. Nicht selten angegriffen,
aufgehalten und geschlagen, aber beständig geschlossen, erreichte er Nizza und



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/18>, abgerufen am 22.07.2024.