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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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bezahlt machen. Und es trifft sich, daß gerade diese Frachtstücke den Eisen¬
bahnen die liebsten sind. Dazu gehören die meisten Fabrikate, insbesondere
die Luxuswaaren und diejenigen Artikel, welche leicht und von geringem
Umfang sind. Endlich alle schnellerem Verderb ausgesetzten Waaren: unter
den Erzeugnissen der Landwirthschaft Butter, Eier, Milch :c.; -- ohne Eisen¬
bahnen und Seedampfer wäre es z. B. dem holländischen Bauer nicht möglich,
den Londoner Markt mit derartigen Produkten zu versorgen, und könnten die
Schweizer nicht daran denken, sobald sie ihre Bahnen im Berner Oberland
bis an die Gletscher geführt haben werden, ihre Alpenmilch in Eis verpackt
nach Paris zu schicken.

Fehlt es an Wasserstraßen und ist man daher für billige Waaren auf
Transportmittel angewiesen, welche sie unverhältnißmäßig vertheuern,
so treten die erheblichsten Nachtheile ein. Der Unbemittelte kann den er¬
höhten Preis seiner Feuerung kaum mehr erschwingen; es kommt vor, daß
angefangene Bauten feiern, daß ganze Industriezweige verkümmern; der Land-
Wirthschaft geschieht großer Abbruch. Einige Beispiele mögen dies erläutern:

Es will noch nicht viel bedeuten, daß z. B. Hamburg ohne die Elbe nicht
in der Lage gewesen wäre, zu seinen Schönbauten den Sandstein zu ver¬
wenden, den man in der Sächsischen Schweiz, bei Pirna und in der Um¬
gegend, bricht. Aber in Berlin mußten 1864 aus Mangel an wohlfeilen
Material große Bauten völlig eingestellt werden. Dort sollten damals etwa
tausend Miethkasernen erstehen. Die Ziegel bezogen die Unternehmer von
der unteren Havel auf dem Finow-Kanal aus Brandenburg. Allein der un¬
geheure Verbrauch trieb bald das Tausend von 7 Thalern auf 16, und die
Unternehmer konnten nicht daran denken, die Bauten alle auszuführen.
Warum aber entnahmen sie die Ziegel nicht aus der Provinz Sachsen, z. B.
aus Bitterfeld, wo sie unverhältnißmäßig billiger waren? Weil man sie von
da nicht zu Wasser, sondern auf der Eisenbahn hätte transportiren müssen:
das war der einzige Grund, warum diese wohlfeilen Ziegel für die Haupt¬
stadt unerreichbar blieben, die ihrer so sehr bedürfte.

Wie sehr die Kohlen vertheuert werden, wenn ihnen die Wasserstraße
abgeschnitten ist, dafür Ein Beispiel. "Wir wohnen", sagt Karl Müller in
Halle, "in einer Gegend, die reich an Braunkohlenlagern ist; dennoch sind
Gründe vorhanden, die es uns vortheilhafter erscheinen lassen, daß wir uns
böhmische Braunkohle verschaffen. Davon kostete die Lowry in Halle gegen
41 Thaler zu einer Zeit, wo sie in Böhmen selbst nur auf 12 Thaler zu
stehen kam. Wieviel billiger würde die böhmische Braunkohle sein, wenn wir
sie per Wasser beziehen könnten! Und wie wohlthätig würde die Concurrenz
auf unsre eigne Braunkohlenproduetion zurückwirken! -- Und welcher Vortheil
für Berlin, das in so großartigem Maßstab anwächst, dabei nicht im ent-


bezahlt machen. Und es trifft sich, daß gerade diese Frachtstücke den Eisen¬
bahnen die liebsten sind. Dazu gehören die meisten Fabrikate, insbesondere
die Luxuswaaren und diejenigen Artikel, welche leicht und von geringem
Umfang sind. Endlich alle schnellerem Verderb ausgesetzten Waaren: unter
den Erzeugnissen der Landwirthschaft Butter, Eier, Milch :c.; — ohne Eisen¬
bahnen und Seedampfer wäre es z. B. dem holländischen Bauer nicht möglich,
den Londoner Markt mit derartigen Produkten zu versorgen, und könnten die
Schweizer nicht daran denken, sobald sie ihre Bahnen im Berner Oberland
bis an die Gletscher geführt haben werden, ihre Alpenmilch in Eis verpackt
nach Paris zu schicken.

Fehlt es an Wasserstraßen und ist man daher für billige Waaren auf
Transportmittel angewiesen, welche sie unverhältnißmäßig vertheuern,
so treten die erheblichsten Nachtheile ein. Der Unbemittelte kann den er¬
höhten Preis seiner Feuerung kaum mehr erschwingen; es kommt vor, daß
angefangene Bauten feiern, daß ganze Industriezweige verkümmern; der Land-
Wirthschaft geschieht großer Abbruch. Einige Beispiele mögen dies erläutern:

Es will noch nicht viel bedeuten, daß z. B. Hamburg ohne die Elbe nicht
in der Lage gewesen wäre, zu seinen Schönbauten den Sandstein zu ver¬
wenden, den man in der Sächsischen Schweiz, bei Pirna und in der Um¬
gegend, bricht. Aber in Berlin mußten 1864 aus Mangel an wohlfeilen
Material große Bauten völlig eingestellt werden. Dort sollten damals etwa
tausend Miethkasernen erstehen. Die Ziegel bezogen die Unternehmer von
der unteren Havel auf dem Finow-Kanal aus Brandenburg. Allein der un¬
geheure Verbrauch trieb bald das Tausend von 7 Thalern auf 16, und die
Unternehmer konnten nicht daran denken, die Bauten alle auszuführen.
Warum aber entnahmen sie die Ziegel nicht aus der Provinz Sachsen, z. B.
aus Bitterfeld, wo sie unverhältnißmäßig billiger waren? Weil man sie von
da nicht zu Wasser, sondern auf der Eisenbahn hätte transportiren müssen:
das war der einzige Grund, warum diese wohlfeilen Ziegel für die Haupt¬
stadt unerreichbar blieben, die ihrer so sehr bedürfte.

Wie sehr die Kohlen vertheuert werden, wenn ihnen die Wasserstraße
abgeschnitten ist, dafür Ein Beispiel. „Wir wohnen", sagt Karl Müller in
Halle, „in einer Gegend, die reich an Braunkohlenlagern ist; dennoch sind
Gründe vorhanden, die es uns vortheilhafter erscheinen lassen, daß wir uns
böhmische Braunkohle verschaffen. Davon kostete die Lowry in Halle gegen
41 Thaler zu einer Zeit, wo sie in Böhmen selbst nur auf 12 Thaler zu
stehen kam. Wieviel billiger würde die böhmische Braunkohle sein, wenn wir
sie per Wasser beziehen könnten! Und wie wohlthätig würde die Concurrenz
auf unsre eigne Braunkohlenproduetion zurückwirken! — Und welcher Vortheil
für Berlin, das in so großartigem Maßstab anwächst, dabei nicht im ent-


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[0173] bezahlt machen. Und es trifft sich, daß gerade diese Frachtstücke den Eisen¬ bahnen die liebsten sind. Dazu gehören die meisten Fabrikate, insbesondere die Luxuswaaren und diejenigen Artikel, welche leicht und von geringem Umfang sind. Endlich alle schnellerem Verderb ausgesetzten Waaren: unter den Erzeugnissen der Landwirthschaft Butter, Eier, Milch :c.; — ohne Eisen¬ bahnen und Seedampfer wäre es z. B. dem holländischen Bauer nicht möglich, den Londoner Markt mit derartigen Produkten zu versorgen, und könnten die Schweizer nicht daran denken, sobald sie ihre Bahnen im Berner Oberland bis an die Gletscher geführt haben werden, ihre Alpenmilch in Eis verpackt nach Paris zu schicken. Fehlt es an Wasserstraßen und ist man daher für billige Waaren auf Transportmittel angewiesen, welche sie unverhältnißmäßig vertheuern, so treten die erheblichsten Nachtheile ein. Der Unbemittelte kann den er¬ höhten Preis seiner Feuerung kaum mehr erschwingen; es kommt vor, daß angefangene Bauten feiern, daß ganze Industriezweige verkümmern; der Land- Wirthschaft geschieht großer Abbruch. Einige Beispiele mögen dies erläutern: Es will noch nicht viel bedeuten, daß z. B. Hamburg ohne die Elbe nicht in der Lage gewesen wäre, zu seinen Schönbauten den Sandstein zu ver¬ wenden, den man in der Sächsischen Schweiz, bei Pirna und in der Um¬ gegend, bricht. Aber in Berlin mußten 1864 aus Mangel an wohlfeilen Material große Bauten völlig eingestellt werden. Dort sollten damals etwa tausend Miethkasernen erstehen. Die Ziegel bezogen die Unternehmer von der unteren Havel auf dem Finow-Kanal aus Brandenburg. Allein der un¬ geheure Verbrauch trieb bald das Tausend von 7 Thalern auf 16, und die Unternehmer konnten nicht daran denken, die Bauten alle auszuführen. Warum aber entnahmen sie die Ziegel nicht aus der Provinz Sachsen, z. B. aus Bitterfeld, wo sie unverhältnißmäßig billiger waren? Weil man sie von da nicht zu Wasser, sondern auf der Eisenbahn hätte transportiren müssen: das war der einzige Grund, warum diese wohlfeilen Ziegel für die Haupt¬ stadt unerreichbar blieben, die ihrer so sehr bedürfte. Wie sehr die Kohlen vertheuert werden, wenn ihnen die Wasserstraße abgeschnitten ist, dafür Ein Beispiel. „Wir wohnen", sagt Karl Müller in Halle, „in einer Gegend, die reich an Braunkohlenlagern ist; dennoch sind Gründe vorhanden, die es uns vortheilhafter erscheinen lassen, daß wir uns böhmische Braunkohle verschaffen. Davon kostete die Lowry in Halle gegen 41 Thaler zu einer Zeit, wo sie in Böhmen selbst nur auf 12 Thaler zu stehen kam. Wieviel billiger würde die böhmische Braunkohle sein, wenn wir sie per Wasser beziehen könnten! Und wie wohlthätig würde die Concurrenz auf unsre eigne Braunkohlenproduetion zurückwirken! — Und welcher Vortheil für Berlin, das in so großartigem Maßstab anwächst, dabei nicht im ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/173>, abgerufen am 29.06.2024.