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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Hof hielt. Aber noch eine feine ironische Symbolik kommt hinzu; denn
vierzehn Blitzableiter schützen das Dach des Baues gegen Wetterschläge und
um den künstlerischen Eindruck nicht zu stören, hat man als Träger derselben
jene Krieger erwählt, die mit Lanze und Speer bewaffnet sind, unter ihnen
den großen Corsen. Er der seine gewaffneter Blitze über die Erde zucken
ließ und Länder mit ihnen versengte, ist nun das stumme Werkzeug geworden
um den Blitz zu entwaffnen, der machtlos durch seine Hände gleitet. Ob sich
Wohl Mailand rächen wollte, das er 1800 im Sturm nahm, ob es nur eine
Fügung wundersamen Zufalls ist?

Stundenlang kann man auf der breiten Plattform des Daches, in diesem
Wald von Marmvrthürmen wandeln und immer bieten sich neue Gestalten
dar; verschlungene Blumen und Blätterwerk, Drachenhäupter, aus deren
Schlund das Wasser herabschießt, wenn die lange Regenzeit beginnt, alles aus
blendendem Gestein, alles so stumm und doch so beredtsam!

An den Wänden stehen tausende von Kritzeleien, in allen Sprachen der
Welt, und wenn es auch häufig nur schlechtgeschriebene Namen sind. so ver¬
räth uns doch mancher Satz die heimliche Ergriffenheit, die an solcher Stätte
wach wird! "Vene earissiirm" schreibt ein Priester am Tag seiner Weihe,
Sprüche aus Byron und Dante, aus Rousseau und Goethe sind keine Selten¬
heit; in schwärmerischer Wallung wacht die Vaterlandsliebe auf, wie die
tausendfachen Evviva's für das einige Italien bekunden. Ja wahrhaftig, es
herrscht eine wundersame Gehobenheit in dieser luftigen Höhe. -- Und doch
wie nahe liegt der Weihe das Handwerk; in der rauchenden Pfanne da
drüben sieden sie flüssiges Blei, mit dem die Ritzen ausgegossen werden und
wenn eine Stunde der Rast kommt, dann rücken die sonnverbrannter Gesellen
zusammen und ziehen die Würfel aus dem Sack und die kupfernen fötal. --
So sah ich sie sitzen mit übergeschlagenen Beinen und funkelnden Augen --
ein<MS-- sei -- äisei; "g-eeicieuw" (dress Dich der Schlag) schrie Jener, der ver¬
loren hatte. Lange, lange lehnt' ich über der weißen Brüstung und sah hinaus
an die Alpen und hinab auf die braunen Dächer der Stadt, es lag etwas
schwelgerisches in dieser unermeßlichen Ferne!

Von den übrigen Kirchen Mailands verdient vor allem die Basilika des
heiligen Ambrosius Erwähnung, die noch ins IV. Jahrhundert reicht und
ihre Entstehung dem großen Kirchenvater verdankt, für dessen erhabene
Einfachheit der ambrosische Ritus das beste Zeugniß gibt. Und diesen
Charakter trägt auch der ganze Bau, soviel immer die spätere Zeit daran
geändert hat; ohne besondere Schönheit wohnt ihm doch die tiefste Würde
inne und jener Ernst, den jede große Vergangenheit zurückläßt.

Hier vor dem Hochalter fand die Bekehrung des heiligen Auqustin und
die Krönung de.r italischen Könige statt, Berengar's und Otto des Großen,


Hof hielt. Aber noch eine feine ironische Symbolik kommt hinzu; denn
vierzehn Blitzableiter schützen das Dach des Baues gegen Wetterschläge und
um den künstlerischen Eindruck nicht zu stören, hat man als Träger derselben
jene Krieger erwählt, die mit Lanze und Speer bewaffnet sind, unter ihnen
den großen Corsen. Er der seine gewaffneter Blitze über die Erde zucken
ließ und Länder mit ihnen versengte, ist nun das stumme Werkzeug geworden
um den Blitz zu entwaffnen, der machtlos durch seine Hände gleitet. Ob sich
Wohl Mailand rächen wollte, das er 1800 im Sturm nahm, ob es nur eine
Fügung wundersamen Zufalls ist?

Stundenlang kann man auf der breiten Plattform des Daches, in diesem
Wald von Marmvrthürmen wandeln und immer bieten sich neue Gestalten
dar; verschlungene Blumen und Blätterwerk, Drachenhäupter, aus deren
Schlund das Wasser herabschießt, wenn die lange Regenzeit beginnt, alles aus
blendendem Gestein, alles so stumm und doch so beredtsam!

An den Wänden stehen tausende von Kritzeleien, in allen Sprachen der
Welt, und wenn es auch häufig nur schlechtgeschriebene Namen sind. so ver¬
räth uns doch mancher Satz die heimliche Ergriffenheit, die an solcher Stätte
wach wird! „Vene earissiirm" schreibt ein Priester am Tag seiner Weihe,
Sprüche aus Byron und Dante, aus Rousseau und Goethe sind keine Selten¬
heit; in schwärmerischer Wallung wacht die Vaterlandsliebe auf, wie die
tausendfachen Evviva's für das einige Italien bekunden. Ja wahrhaftig, es
herrscht eine wundersame Gehobenheit in dieser luftigen Höhe. — Und doch
wie nahe liegt der Weihe das Handwerk; in der rauchenden Pfanne da
drüben sieden sie flüssiges Blei, mit dem die Ritzen ausgegossen werden und
wenn eine Stunde der Rast kommt, dann rücken die sonnverbrannter Gesellen
zusammen und ziehen die Würfel aus dem Sack und die kupfernen fötal. —
So sah ich sie sitzen mit übergeschlagenen Beinen und funkelnden Augen —
ein<MS— sei — äisei; „g-eeicieuw" (dress Dich der Schlag) schrie Jener, der ver¬
loren hatte. Lange, lange lehnt' ich über der weißen Brüstung und sah hinaus
an die Alpen und hinab auf die braunen Dächer der Stadt, es lag etwas
schwelgerisches in dieser unermeßlichen Ferne!

Von den übrigen Kirchen Mailands verdient vor allem die Basilika des
heiligen Ambrosius Erwähnung, die noch ins IV. Jahrhundert reicht und
ihre Entstehung dem großen Kirchenvater verdankt, für dessen erhabene
Einfachheit der ambrosische Ritus das beste Zeugniß gibt. Und diesen
Charakter trägt auch der ganze Bau, soviel immer die spätere Zeit daran
geändert hat; ohne besondere Schönheit wohnt ihm doch die tiefste Würde
inne und jener Ernst, den jede große Vergangenheit zurückläßt.

Hier vor dem Hochalter fand die Bekehrung des heiligen Auqustin und
die Krönung de.r italischen Könige statt, Berengar's und Otto des Großen,


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[0157] Hof hielt. Aber noch eine feine ironische Symbolik kommt hinzu; denn vierzehn Blitzableiter schützen das Dach des Baues gegen Wetterschläge und um den künstlerischen Eindruck nicht zu stören, hat man als Träger derselben jene Krieger erwählt, die mit Lanze und Speer bewaffnet sind, unter ihnen den großen Corsen. Er der seine gewaffneter Blitze über die Erde zucken ließ und Länder mit ihnen versengte, ist nun das stumme Werkzeug geworden um den Blitz zu entwaffnen, der machtlos durch seine Hände gleitet. Ob sich Wohl Mailand rächen wollte, das er 1800 im Sturm nahm, ob es nur eine Fügung wundersamen Zufalls ist? Stundenlang kann man auf der breiten Plattform des Daches, in diesem Wald von Marmvrthürmen wandeln und immer bieten sich neue Gestalten dar; verschlungene Blumen und Blätterwerk, Drachenhäupter, aus deren Schlund das Wasser herabschießt, wenn die lange Regenzeit beginnt, alles aus blendendem Gestein, alles so stumm und doch so beredtsam! An den Wänden stehen tausende von Kritzeleien, in allen Sprachen der Welt, und wenn es auch häufig nur schlechtgeschriebene Namen sind. so ver¬ räth uns doch mancher Satz die heimliche Ergriffenheit, die an solcher Stätte wach wird! „Vene earissiirm" schreibt ein Priester am Tag seiner Weihe, Sprüche aus Byron und Dante, aus Rousseau und Goethe sind keine Selten¬ heit; in schwärmerischer Wallung wacht die Vaterlandsliebe auf, wie die tausendfachen Evviva's für das einige Italien bekunden. Ja wahrhaftig, es herrscht eine wundersame Gehobenheit in dieser luftigen Höhe. — Und doch wie nahe liegt der Weihe das Handwerk; in der rauchenden Pfanne da drüben sieden sie flüssiges Blei, mit dem die Ritzen ausgegossen werden und wenn eine Stunde der Rast kommt, dann rücken die sonnverbrannter Gesellen zusammen und ziehen die Würfel aus dem Sack und die kupfernen fötal. — So sah ich sie sitzen mit übergeschlagenen Beinen und funkelnden Augen — ein<MS— sei — äisei; „g-eeicieuw" (dress Dich der Schlag) schrie Jener, der ver¬ loren hatte. Lange, lange lehnt' ich über der weißen Brüstung und sah hinaus an die Alpen und hinab auf die braunen Dächer der Stadt, es lag etwas schwelgerisches in dieser unermeßlichen Ferne! Von den übrigen Kirchen Mailands verdient vor allem die Basilika des heiligen Ambrosius Erwähnung, die noch ins IV. Jahrhundert reicht und ihre Entstehung dem großen Kirchenvater verdankt, für dessen erhabene Einfachheit der ambrosische Ritus das beste Zeugniß gibt. Und diesen Charakter trägt auch der ganze Bau, soviel immer die spätere Zeit daran geändert hat; ohne besondere Schönheit wohnt ihm doch die tiefste Würde inne und jener Ernst, den jede große Vergangenheit zurückläßt. Hier vor dem Hochalter fand die Bekehrung des heiligen Auqustin und die Krönung de.r italischen Könige statt, Berengar's und Otto des Großen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/157>, abgerufen am 22.07.2024.