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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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seiner Gesammtheit und doch fast duftig leicht in allen einzelnen Theilen.
Ueberall ist die breite Fläche durchbrochen, überall tritt der Drang hervor,
die schweren Massen zu entlasten und in luftige Höhen emporzusteigen^, es ist
eine Mischung von Weihe und Phantasie, von versteinerter Kraft und flüch¬
tigem Spiele, wie sie kein anderes Bauwerk der Welt besitzt.

Stumm und staunend standen wir an der Via Oapellari, bis mich ein
Italiener, der uns lange zugesehen, beim Arm ergriff und mit schwungvoller
Geberde sprach: "Leop eis, ete pvtsvs, it 1386."

Damals nämlich wurde der Dom von Mailand durch Johann Galeazzo
Visconti begonnen und, wenn es auch noch vieler Jahre, ja der Jahrhunderte
bedürfte, bis er vollendet war, wenn auch die Hände aller Nationen an die¬
sem Meisterstück der Menschheit mitgewirkt, der Ruhm des Gedankens gebührt
doch jener fernen Zeit.

Mit innerer Spannung steigen wir über die breiten Marmorstufen em¬
por, die sich vor den fünf Portalen der Facade ausbreiten. Ein Blinder auf
den Pfeiler gelehnt, murmelt mit dumpfer Stimme "nnserieortZia, xsr um
eieeo", verwahrloste Kinder, die auf den Treppen lungern, spielen, rufen
uns zu ,,uri' soläv, signoi-, un' Lolllo" und strecken die Hände aus: mit listi¬
ger Miene tritt ein Führer heran, der uns schon seit der Ecke gefolgt war,
und raunt uns ins Ohr: "I^a, 0Attödrg,1ö, KiAnoi-, un guiäg. per 1s, oatteärals"I

Das sind die Hindernisse, die in Italien jede Schwelle belagern; doch
mit einigen ceuteslmi und mit beredten Fingern befreit man sich leicht, man
darf nur nicht viele Worte verlieren, sonst hat man Verlornes Spiel.

Das Mitrelport.ri wird nicht durch eine knarrende Thüre, sondern durch
einen ungeheuren Vorhmg von der Straße getrennt, man schiebt ihn
langsam bei Seite und nun umfängt uns die gigantische Halle mit ihrer
heiligen Dämmerung, mit ihren himmelhohen Säulen, mit jenen geheimni߬
vollen Lauten, die sich fast ebenso wundersam brechen und dämpfen wie das
Licht.

An einem fernen Seitenaltar tönt die feine silberne Klingel, die zur
Wandlung, ruft, und mit verhülltem Antlitz sinkt die Matrone ins Knie, der
Priester im Chorhemd, der eben aus der Sakristei getreten, von 2 Knaben
gefolgt, hält stille und pocht sich an die Brust. Dort in der Nische, vor
dem vergitterten Beichtstuhl, kniet ein Mädchen im schwarzen Gewand, das
Antlitz glühend wie Scharlach und die leuchtenden Augen emporgerichtet; sie
ist der Welt entrückt, sie sieht und hört nicht mehr, daß sie fast laut ihre
Sünden bekennt, die Sünden der schönen Franceska da Rimini! "^1 tsmpc"
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seiner Gesammtheit und doch fast duftig leicht in allen einzelnen Theilen.
Ueberall ist die breite Fläche durchbrochen, überall tritt der Drang hervor,
die schweren Massen zu entlasten und in luftige Höhen emporzusteigen^, es ist
eine Mischung von Weihe und Phantasie, von versteinerter Kraft und flüch¬
tigem Spiele, wie sie kein anderes Bauwerk der Welt besitzt.

Stumm und staunend standen wir an der Via Oapellari, bis mich ein
Italiener, der uns lange zugesehen, beim Arm ergriff und mit schwungvoller
Geberde sprach: „Leop eis, ete pvtsvs, it 1386."

Damals nämlich wurde der Dom von Mailand durch Johann Galeazzo
Visconti begonnen und, wenn es auch noch vieler Jahre, ja der Jahrhunderte
bedürfte, bis er vollendet war, wenn auch die Hände aller Nationen an die¬
sem Meisterstück der Menschheit mitgewirkt, der Ruhm des Gedankens gebührt
doch jener fernen Zeit.

Mit innerer Spannung steigen wir über die breiten Marmorstufen em¬
por, die sich vor den fünf Portalen der Facade ausbreiten. Ein Blinder auf
den Pfeiler gelehnt, murmelt mit dumpfer Stimme „nnserieortZia, xsr um
eieeo", verwahrloste Kinder, die auf den Treppen lungern, spielen, rufen
uns zu ,,uri' soläv, signoi-, un' Lolllo" und strecken die Hände aus: mit listi¬
ger Miene tritt ein Führer heran, der uns schon seit der Ecke gefolgt war,
und raunt uns ins Ohr: „I^a, 0Attödrg,1ö, KiAnoi-, un guiäg. per 1s, oatteärals"I

Das sind die Hindernisse, die in Italien jede Schwelle belagern; doch
mit einigen ceuteslmi und mit beredten Fingern befreit man sich leicht, man
darf nur nicht viele Worte verlieren, sonst hat man Verlornes Spiel.

Das Mitrelport.ri wird nicht durch eine knarrende Thüre, sondern durch
einen ungeheuren Vorhmg von der Straße getrennt, man schiebt ihn
langsam bei Seite und nun umfängt uns die gigantische Halle mit ihrer
heiligen Dämmerung, mit ihren himmelhohen Säulen, mit jenen geheimni߬
vollen Lauten, die sich fast ebenso wundersam brechen und dämpfen wie das
Licht.

An einem fernen Seitenaltar tönt die feine silberne Klingel, die zur
Wandlung, ruft, und mit verhülltem Antlitz sinkt die Matrone ins Knie, der
Priester im Chorhemd, der eben aus der Sakristei getreten, von 2 Knaben
gefolgt, hält stille und pocht sich an die Brust. Dort in der Nische, vor
dem vergitterten Beichtstuhl, kniet ein Mädchen im schwarzen Gewand, das
Antlitz glühend wie Scharlach und die leuchtenden Augen emporgerichtet; sie
ist der Welt entrückt, sie sieht und hört nicht mehr, daß sie fast laut ihre
Sünden bekennt, die Sünden der schönen Franceska da Rimini! „^1 tsmpc»
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/154>, abgerufen am 23.07.2024.