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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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die Kinder, und lernen spielend den Stolz, den sie als Männer hegen.
Ueberall wird der Zusammenhang mit den Heroen der Nation in begeisterter
Weise gepflegt und fast immer durch den Anblick des Schönen vermittelt; wir
nennen statt Aller nur den großen Cavour! Auch in Mailand steht ein
herrliches Denkmal, aber selbst bis in die kleinsten Kleinigkeiten steigt diese
Popularität hinab; auf jeder Banknote, die dem Bürger durch die Hände
läuft, ist das Bildniß des berühmten Mannes, der so staatsmännisch klug durch
die Brille schaut; die beliebteste Cigarre, die der Kutscher raucht und der
Gentleman nicht verachtet, heißt Cavour. Kurz es ist beispiellos, welche Viel¬
seitigkeit, welche Eindringlichkeit die Italiener einem Gedanken zu geben wissen,
der einmal in ihrem Herzen das Bürgerrecht gewann.

Wir schlendern weiter durch die Onntr^äa. Al ZZi'si-n. und treten in einen
hohen Säulenhof mit prächtigen Statuen: hier sind die wissenschaftlichen Schätze
Mailand's vereinigt und auch die Gemälde-Gallerie. die hier verwahrt wird,
bietet Perlen der alten Meister. Wer, der es jemals sah, vergäße wieder
Rciphael's Sposalizio; wer vermöchte es zu beschreiben, so wie er es sah?
Wir fühlen wohl, daß diese Schilderungen gerade der Kunst am meisten schul¬
dig bleiben, denn, mit wenigen Worten ein volles Urtheil zu sprechen, wäre
verwegen und mit jener Hingebung darauf einzugehen, die allein ihrer würdig
ist, fordert Bände statt der Seiten.

Mehr als jeder andere ist gerade der Künstler und der Forscher der Kunst
auf die eigene Anschauung verwiesen, ihm kann die Schilderung am wenigsten
Italien -- ersetzen!

Auf dem Weg nach der ?ortg> lieiness, einem der 12 stolzen Thore,
hält uns ein seltsamer Anblick fest; ein Bild, das uns mitten aus dieser
modernen Welt zurückführt in die Antike. Es sind die colonne al Lau I^v-
renöd, sechszehn korinthische Säulen von weißem Marmor und wunder¬
barer Schönheit, die aus römischen Thermen stammen und schon in den Ge¬
dichten des Ausonius genannt sind. So ruhen die Schöpfungen aller Zeiten
vereint im Bannkreis unserer Stadt, aber sie alle sind klein vor jenem einen
Werke, das wie ein weißer Demant vom dunklen Ringe dieser Mauern um¬
schlossen wird.

Das ist der Dom, das heilige Signum der Stadt, mit seiner marmor-
bleichen tausendfältigen Gliederung, mit seinen kühlen dämmertiefen Hallen,
mit seinen weltgeschichtlichen Erinnerungen.

Lange Zeit waren die schmutzigen niederen Häuser bis dicht an seine
Marmorwände gerückt, so daß jede freie Entwicklung und jeder volle Anblick
des Bildes fehlte, jetzt aber hat man für eine würdige Umgebung gesorgt
und weithin freien mächtigen Raum geschaffen.

Feenhaft steigt aus demselben jetzt der ungeheure Bau empor, riesig in


Grenzboten lit. 1874. l9

die Kinder, und lernen spielend den Stolz, den sie als Männer hegen.
Ueberall wird der Zusammenhang mit den Heroen der Nation in begeisterter
Weise gepflegt und fast immer durch den Anblick des Schönen vermittelt; wir
nennen statt Aller nur den großen Cavour! Auch in Mailand steht ein
herrliches Denkmal, aber selbst bis in die kleinsten Kleinigkeiten steigt diese
Popularität hinab; auf jeder Banknote, die dem Bürger durch die Hände
läuft, ist das Bildniß des berühmten Mannes, der so staatsmännisch klug durch
die Brille schaut; die beliebteste Cigarre, die der Kutscher raucht und der
Gentleman nicht verachtet, heißt Cavour. Kurz es ist beispiellos, welche Viel¬
seitigkeit, welche Eindringlichkeit die Italiener einem Gedanken zu geben wissen,
der einmal in ihrem Herzen das Bürgerrecht gewann.

Wir schlendern weiter durch die Onntr^äa. Al ZZi'si-n. und treten in einen
hohen Säulenhof mit prächtigen Statuen: hier sind die wissenschaftlichen Schätze
Mailand's vereinigt und auch die Gemälde-Gallerie. die hier verwahrt wird,
bietet Perlen der alten Meister. Wer, der es jemals sah, vergäße wieder
Rciphael's Sposalizio; wer vermöchte es zu beschreiben, so wie er es sah?
Wir fühlen wohl, daß diese Schilderungen gerade der Kunst am meisten schul¬
dig bleiben, denn, mit wenigen Worten ein volles Urtheil zu sprechen, wäre
verwegen und mit jener Hingebung darauf einzugehen, die allein ihrer würdig
ist, fordert Bände statt der Seiten.

Mehr als jeder andere ist gerade der Künstler und der Forscher der Kunst
auf die eigene Anschauung verwiesen, ihm kann die Schilderung am wenigsten
Italien — ersetzen!

Auf dem Weg nach der ?ortg> lieiness, einem der 12 stolzen Thore,
hält uns ein seltsamer Anblick fest; ein Bild, das uns mitten aus dieser
modernen Welt zurückführt in die Antike. Es sind die colonne al Lau I^v-
renöd, sechszehn korinthische Säulen von weißem Marmor und wunder¬
barer Schönheit, die aus römischen Thermen stammen und schon in den Ge¬
dichten des Ausonius genannt sind. So ruhen die Schöpfungen aller Zeiten
vereint im Bannkreis unserer Stadt, aber sie alle sind klein vor jenem einen
Werke, das wie ein weißer Demant vom dunklen Ringe dieser Mauern um¬
schlossen wird.

Das ist der Dom, das heilige Signum der Stadt, mit seiner marmor-
bleichen tausendfältigen Gliederung, mit seinen kühlen dämmertiefen Hallen,
mit seinen weltgeschichtlichen Erinnerungen.

Lange Zeit waren die schmutzigen niederen Häuser bis dicht an seine
Marmorwände gerückt, so daß jede freie Entwicklung und jeder volle Anblick
des Bildes fehlte, jetzt aber hat man für eine würdige Umgebung gesorgt
und weithin freien mächtigen Raum geschaffen.

Feenhaft steigt aus demselben jetzt der ungeheure Bau empor, riesig in


Grenzboten lit. 1874. l9
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[0153] die Kinder, und lernen spielend den Stolz, den sie als Männer hegen. Ueberall wird der Zusammenhang mit den Heroen der Nation in begeisterter Weise gepflegt und fast immer durch den Anblick des Schönen vermittelt; wir nennen statt Aller nur den großen Cavour! Auch in Mailand steht ein herrliches Denkmal, aber selbst bis in die kleinsten Kleinigkeiten steigt diese Popularität hinab; auf jeder Banknote, die dem Bürger durch die Hände läuft, ist das Bildniß des berühmten Mannes, der so staatsmännisch klug durch die Brille schaut; die beliebteste Cigarre, die der Kutscher raucht und der Gentleman nicht verachtet, heißt Cavour. Kurz es ist beispiellos, welche Viel¬ seitigkeit, welche Eindringlichkeit die Italiener einem Gedanken zu geben wissen, der einmal in ihrem Herzen das Bürgerrecht gewann. Wir schlendern weiter durch die Onntr^äa. Al ZZi'si-n. und treten in einen hohen Säulenhof mit prächtigen Statuen: hier sind die wissenschaftlichen Schätze Mailand's vereinigt und auch die Gemälde-Gallerie. die hier verwahrt wird, bietet Perlen der alten Meister. Wer, der es jemals sah, vergäße wieder Rciphael's Sposalizio; wer vermöchte es zu beschreiben, so wie er es sah? Wir fühlen wohl, daß diese Schilderungen gerade der Kunst am meisten schul¬ dig bleiben, denn, mit wenigen Worten ein volles Urtheil zu sprechen, wäre verwegen und mit jener Hingebung darauf einzugehen, die allein ihrer würdig ist, fordert Bände statt der Seiten. Mehr als jeder andere ist gerade der Künstler und der Forscher der Kunst auf die eigene Anschauung verwiesen, ihm kann die Schilderung am wenigsten Italien — ersetzen! Auf dem Weg nach der ?ortg> lieiness, einem der 12 stolzen Thore, hält uns ein seltsamer Anblick fest; ein Bild, das uns mitten aus dieser modernen Welt zurückführt in die Antike. Es sind die colonne al Lau I^v- renöd, sechszehn korinthische Säulen von weißem Marmor und wunder¬ barer Schönheit, die aus römischen Thermen stammen und schon in den Ge¬ dichten des Ausonius genannt sind. So ruhen die Schöpfungen aller Zeiten vereint im Bannkreis unserer Stadt, aber sie alle sind klein vor jenem einen Werke, das wie ein weißer Demant vom dunklen Ringe dieser Mauern um¬ schlossen wird. Das ist der Dom, das heilige Signum der Stadt, mit seiner marmor- bleichen tausendfältigen Gliederung, mit seinen kühlen dämmertiefen Hallen, mit seinen weltgeschichtlichen Erinnerungen. Lange Zeit waren die schmutzigen niederen Häuser bis dicht an seine Marmorwände gerückt, so daß jede freie Entwicklung und jeder volle Anblick des Bildes fehlte, jetzt aber hat man für eine würdige Umgebung gesorgt und weithin freien mächtigen Raum geschaffen. Feenhaft steigt aus demselben jetzt der ungeheure Bau empor, riesig in Grenzboten lit. 1874. l9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/153>, abgerufen am 22.07.2024.