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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Etwa im Jahre 1784 wurden sämmtliche wohlthätige Stiftungen, welche
Mailand besaß, zu einem einzigen Fond vereinigt, auf welchen alle Bedürf¬
tigen Anspruch haben, von der verarmten Wittwe fürstlicher Geschlechter bis
zur Bettlerin, die sorgenvoll ihr Kind auf dem Schoße wiegt.

Neben dieser Armenspende aber sind etwa 3000 Betten für Kranke ver¬
fügbar und diese riesigen Mittel werden verwaltet im Sinne edelster Mensch¬
lichkeit; unter ständiger Aufsicht der Protektoren, im ständigen Gedanken der
edlen Geber, deren Bildnisse alle zwei Jahre in den Hallen des Hauses zur
Ausstellung gelangen.

Welchen Umfang übrigens die Anstalt gewonnen hat, mag man daraus
erkennen, daß die Aktiven derselben bereits über 47 Millionen betragen, daß
etwa 21,000 Kranke im Jahre verpflegt und 10,000 kleine Kinder (meist auf
dem Lande) von ihr verpflegt werden.

Werfen wir einen kurzen Blick auf das politische Gebiet, so weisen zahl"
lose Reminiscenzen auf das Geschlecht der Bonaparte hin, aber auch das ist
ja ein tief moderner Zug, wenn auch die Geschichte nun zum zweiten mal
diesen Namen entthront hat. Denn mit keiner anderen Stadt hatten die
Napoleons so tiefe persönliche Beziehungen als gerade mit Mailand. Hier
war es ja, wo einst der Mann, der mit fliegender Fahne auf der Brücke von
Arcole stand, die eiserne Krone aufs Haupt nahm, wo der Mcekönig Eugen
verschwenderisch Hof hielt, wo Napoleon III. nach Magenta seinen Einzug
hielt und sich als Retter Italiens huldigen ließ. Solche Erinnerungen be¬
halten mindestens für jene Generation, die sie erlebte, eine unbeschreibliche Macht,
denn die Thatsache, nicht die Reflexion ist es, womit die Massen rechnen, wo¬
ran sie denken, so oft sie zum stolzen ^.reo äslla ?-ieL emporschauen. Da¬
zu kommt, wenigstens bei denen, die edler fühlen, ein gewisses Gefühl der
Dankbarkeit, denn nichts ist falscher als diesen schönen Zug dem italienischen
Charakter zu bestreiten; sie wissen es wohl, daß sie den letzten Ausbau ihres
einigen Vaterlandes Deutschland verdanken, aber den Grundstein ihrer Ein¬
heit legte doch der Kaiser von Frankreich zu einer Zeit, da Niemand ihn legen
konnte, als er. Dieß mag den Cult Napoleon's entschuldigen, wie wir ihn
bisweilen in Wort und Bild begegnen, er hatte vielleicht etwas Verletzendes,
solange er dem allmächtigen Cäsar galt, aber das ist gemildert, seit er der
Erinnerung an eine gefallene Größe gilt.

Mit welcher Wärme übrigens die Italiener an jedem Namen hängen, der
fördernd in die Geschichte ihres Landes eingriff, wie lebendig das Andenken
an alle Männer genährt wird, die zum Ruhme Italiens das Ihre beigetragen,
dafür finden wir auch anderwärts hundertfältige Belege.

In jeder größeren Stadt sind die Plätze und Straßen nach ihren besten
Bürgern genannt, vor den Denkmalen, die ihnen die Nachwelt setzte, spielen


Etwa im Jahre 1784 wurden sämmtliche wohlthätige Stiftungen, welche
Mailand besaß, zu einem einzigen Fond vereinigt, auf welchen alle Bedürf¬
tigen Anspruch haben, von der verarmten Wittwe fürstlicher Geschlechter bis
zur Bettlerin, die sorgenvoll ihr Kind auf dem Schoße wiegt.

Neben dieser Armenspende aber sind etwa 3000 Betten für Kranke ver¬
fügbar und diese riesigen Mittel werden verwaltet im Sinne edelster Mensch¬
lichkeit; unter ständiger Aufsicht der Protektoren, im ständigen Gedanken der
edlen Geber, deren Bildnisse alle zwei Jahre in den Hallen des Hauses zur
Ausstellung gelangen.

Welchen Umfang übrigens die Anstalt gewonnen hat, mag man daraus
erkennen, daß die Aktiven derselben bereits über 47 Millionen betragen, daß
etwa 21,000 Kranke im Jahre verpflegt und 10,000 kleine Kinder (meist auf
dem Lande) von ihr verpflegt werden.

Werfen wir einen kurzen Blick auf das politische Gebiet, so weisen zahl«
lose Reminiscenzen auf das Geschlecht der Bonaparte hin, aber auch das ist
ja ein tief moderner Zug, wenn auch die Geschichte nun zum zweiten mal
diesen Namen entthront hat. Denn mit keiner anderen Stadt hatten die
Napoleons so tiefe persönliche Beziehungen als gerade mit Mailand. Hier
war es ja, wo einst der Mann, der mit fliegender Fahne auf der Brücke von
Arcole stand, die eiserne Krone aufs Haupt nahm, wo der Mcekönig Eugen
verschwenderisch Hof hielt, wo Napoleon III. nach Magenta seinen Einzug
hielt und sich als Retter Italiens huldigen ließ. Solche Erinnerungen be¬
halten mindestens für jene Generation, die sie erlebte, eine unbeschreibliche Macht,
denn die Thatsache, nicht die Reflexion ist es, womit die Massen rechnen, wo¬
ran sie denken, so oft sie zum stolzen ^.reo äslla ?-ieL emporschauen. Da¬
zu kommt, wenigstens bei denen, die edler fühlen, ein gewisses Gefühl der
Dankbarkeit, denn nichts ist falscher als diesen schönen Zug dem italienischen
Charakter zu bestreiten; sie wissen es wohl, daß sie den letzten Ausbau ihres
einigen Vaterlandes Deutschland verdanken, aber den Grundstein ihrer Ein¬
heit legte doch der Kaiser von Frankreich zu einer Zeit, da Niemand ihn legen
konnte, als er. Dieß mag den Cult Napoleon's entschuldigen, wie wir ihn
bisweilen in Wort und Bild begegnen, er hatte vielleicht etwas Verletzendes,
solange er dem allmächtigen Cäsar galt, aber das ist gemildert, seit er der
Erinnerung an eine gefallene Größe gilt.

Mit welcher Wärme übrigens die Italiener an jedem Namen hängen, der
fördernd in die Geschichte ihres Landes eingriff, wie lebendig das Andenken
an alle Männer genährt wird, die zum Ruhme Italiens das Ihre beigetragen,
dafür finden wir auch anderwärts hundertfältige Belege.

In jeder größeren Stadt sind die Plätze und Straßen nach ihren besten
Bürgern genannt, vor den Denkmalen, die ihnen die Nachwelt setzte, spielen


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[0152] Etwa im Jahre 1784 wurden sämmtliche wohlthätige Stiftungen, welche Mailand besaß, zu einem einzigen Fond vereinigt, auf welchen alle Bedürf¬ tigen Anspruch haben, von der verarmten Wittwe fürstlicher Geschlechter bis zur Bettlerin, die sorgenvoll ihr Kind auf dem Schoße wiegt. Neben dieser Armenspende aber sind etwa 3000 Betten für Kranke ver¬ fügbar und diese riesigen Mittel werden verwaltet im Sinne edelster Mensch¬ lichkeit; unter ständiger Aufsicht der Protektoren, im ständigen Gedanken der edlen Geber, deren Bildnisse alle zwei Jahre in den Hallen des Hauses zur Ausstellung gelangen. Welchen Umfang übrigens die Anstalt gewonnen hat, mag man daraus erkennen, daß die Aktiven derselben bereits über 47 Millionen betragen, daß etwa 21,000 Kranke im Jahre verpflegt und 10,000 kleine Kinder (meist auf dem Lande) von ihr verpflegt werden. Werfen wir einen kurzen Blick auf das politische Gebiet, so weisen zahl« lose Reminiscenzen auf das Geschlecht der Bonaparte hin, aber auch das ist ja ein tief moderner Zug, wenn auch die Geschichte nun zum zweiten mal diesen Namen entthront hat. Denn mit keiner anderen Stadt hatten die Napoleons so tiefe persönliche Beziehungen als gerade mit Mailand. Hier war es ja, wo einst der Mann, der mit fliegender Fahne auf der Brücke von Arcole stand, die eiserne Krone aufs Haupt nahm, wo der Mcekönig Eugen verschwenderisch Hof hielt, wo Napoleon III. nach Magenta seinen Einzug hielt und sich als Retter Italiens huldigen ließ. Solche Erinnerungen be¬ halten mindestens für jene Generation, die sie erlebte, eine unbeschreibliche Macht, denn die Thatsache, nicht die Reflexion ist es, womit die Massen rechnen, wo¬ ran sie denken, so oft sie zum stolzen ^.reo äslla ?-ieL emporschauen. Da¬ zu kommt, wenigstens bei denen, die edler fühlen, ein gewisses Gefühl der Dankbarkeit, denn nichts ist falscher als diesen schönen Zug dem italienischen Charakter zu bestreiten; sie wissen es wohl, daß sie den letzten Ausbau ihres einigen Vaterlandes Deutschland verdanken, aber den Grundstein ihrer Ein¬ heit legte doch der Kaiser von Frankreich zu einer Zeit, da Niemand ihn legen konnte, als er. Dieß mag den Cult Napoleon's entschuldigen, wie wir ihn bisweilen in Wort und Bild begegnen, er hatte vielleicht etwas Verletzendes, solange er dem allmächtigen Cäsar galt, aber das ist gemildert, seit er der Erinnerung an eine gefallene Größe gilt. Mit welcher Wärme übrigens die Italiener an jedem Namen hängen, der fördernd in die Geschichte ihres Landes eingriff, wie lebendig das Andenken an alle Männer genährt wird, die zum Ruhme Italiens das Ihre beigetragen, dafür finden wir auch anderwärts hundertfältige Belege. In jeder größeren Stadt sind die Plätze und Straßen nach ihren besten Bürgern genannt, vor den Denkmalen, die ihnen die Nachwelt setzte, spielen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/152>, abgerufen am 22.07.2024.