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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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nicht wenige der französischen Edelleute waren in die Heimath zurückgekehrt.
So bestand sein Heer nur noch aus 800 Lanzen, 11,000 Schweizern und
2000 Deutschen. Wohl waren unter des Cardinals von Medici Führung
nun Berner und Graubündtner Truppen unterwegs, um das französische Heer
wieder zu verstärken; aber der Austritt aus dem Gebirge wurde ihnen streitig
gemacht. -- Die Verbündeten hatten ihre Zeit besser benutzt. Die venetianischen
Truppen unter dem Herzoge von Urbino, die päpstlichen unter dem Herzoge
von Mantua vereinigten sich mit den Kaiserlichen und bildeten ein Heer von
2000 schweren. 2000 leichten Reitern, 12,000 Landsknechten, 6000 Spaniern
und 7000 Italienern z. F. Dennoch hielten die Alliirten es noch nicht für
rathsam, eine Schlacht zu wagen; namentlich war der venetianische Prove-
ditore dagegen, und ein Mangel an Entschlußfähigkeit lastete auf dem ge-
sammten Verfahren der Verbündeten, den der Mangel an Einheit in der
Oberleitung nur noch steigerte. Wohl war jetzt der Herzog von Bourbon
eingetroffen und zum General-Lieutenant des Kaisers ernannt worden. Als
solcher stand ihm formal der Oberbefehl zu; aber ihn thatsächlich zu ergreifen
hielt schwer. Nicht nur. daß ihm Pescara in eifersüchtiger Abneigung ent¬
gegenstand ; schlimmer war es. daß sowohl der Papst als die Signoria ihren
Generalen geheime Spezial-Jnstructionen ertheilt hatten, welche die äußerste
Schonung der Streitkräfte anbefohlen. -- "Ich glaube doch nicht" sagte eines
Tages der Herzog von Urbino zu dem Proveditore, "daß die Republik so
viel gepanzerte Pferde, so starkes Fußvolk und alle diese um uns leuchtenden
Waffen aus einem andern Grunde hätten, als um damit zu schlagen!?"
Aber der Proveditore war anderer Meinung: Zaudern, Hinhalten, Denon--
striren -- diese Dinge lagen viel mehr in der geistigen Natur und Richtung
jener geborenen Diplomaten als kühnes Drauflosgehn und entschlossenes
Anpacken. Wenn die Franzosen einen andern Mann an der Spitze gehabt
hätten als eben den unschlüssiger Bonnivet, so hätte den Kaiserlichen ihr
Zaudern schlecht bekommen können; denn inzwischen hatte der Herzog von
Longueville 400 Gendarmes über den Mont Genevre geführt und stand bei
Susa, und 10,000 Schweizer waren bei Jvrea eingetroffen. Die wider¬
sprechende Haltung Bonnivet's hielt jedoch die Verstärkungen an jenen Punkten
fest; denn er schien nicht zu wissen, ob er Stand halten oder retiriren solle.
Endlich entschloß er sich, da auch die Pest im Lager ausbrach, zu dem Letz¬
teren. Er dachte durch einen Nachtmarsch den höchst nöthigen Vorsprung zu
gewinnen; aber Bourbon saß dem Abziehenden unermüdlich auf den Fersen,
sodaß das verbündete Heer gleichzeitig mit den Franzosen die Sesia erreichte.
-- Für vermehrte Uebergänge hatte Bonnivet nicht gesorgt, und als er nun
aus einer einzigen Brücke bei Gattinara auch den Fluß überschritt, um sich
mit den bei Jvrea stehenden Schweizern zu vereinigen, die sich geweigert


nicht wenige der französischen Edelleute waren in die Heimath zurückgekehrt.
So bestand sein Heer nur noch aus 800 Lanzen, 11,000 Schweizern und
2000 Deutschen. Wohl waren unter des Cardinals von Medici Führung
nun Berner und Graubündtner Truppen unterwegs, um das französische Heer
wieder zu verstärken; aber der Austritt aus dem Gebirge wurde ihnen streitig
gemacht. — Die Verbündeten hatten ihre Zeit besser benutzt. Die venetianischen
Truppen unter dem Herzoge von Urbino, die päpstlichen unter dem Herzoge
von Mantua vereinigten sich mit den Kaiserlichen und bildeten ein Heer von
2000 schweren. 2000 leichten Reitern, 12,000 Landsknechten, 6000 Spaniern
und 7000 Italienern z. F. Dennoch hielten die Alliirten es noch nicht für
rathsam, eine Schlacht zu wagen; namentlich war der venetianische Prove-
ditore dagegen, und ein Mangel an Entschlußfähigkeit lastete auf dem ge-
sammten Verfahren der Verbündeten, den der Mangel an Einheit in der
Oberleitung nur noch steigerte. Wohl war jetzt der Herzog von Bourbon
eingetroffen und zum General-Lieutenant des Kaisers ernannt worden. Als
solcher stand ihm formal der Oberbefehl zu; aber ihn thatsächlich zu ergreifen
hielt schwer. Nicht nur. daß ihm Pescara in eifersüchtiger Abneigung ent¬
gegenstand ; schlimmer war es. daß sowohl der Papst als die Signoria ihren
Generalen geheime Spezial-Jnstructionen ertheilt hatten, welche die äußerste
Schonung der Streitkräfte anbefohlen. — „Ich glaube doch nicht" sagte eines
Tages der Herzog von Urbino zu dem Proveditore, „daß die Republik so
viel gepanzerte Pferde, so starkes Fußvolk und alle diese um uns leuchtenden
Waffen aus einem andern Grunde hätten, als um damit zu schlagen!?"
Aber der Proveditore war anderer Meinung: Zaudern, Hinhalten, Denon--
striren — diese Dinge lagen viel mehr in der geistigen Natur und Richtung
jener geborenen Diplomaten als kühnes Drauflosgehn und entschlossenes
Anpacken. Wenn die Franzosen einen andern Mann an der Spitze gehabt
hätten als eben den unschlüssiger Bonnivet, so hätte den Kaiserlichen ihr
Zaudern schlecht bekommen können; denn inzwischen hatte der Herzog von
Longueville 400 Gendarmes über den Mont Genevre geführt und stand bei
Susa, und 10,000 Schweizer waren bei Jvrea eingetroffen. Die wider¬
sprechende Haltung Bonnivet's hielt jedoch die Verstärkungen an jenen Punkten
fest; denn er schien nicht zu wissen, ob er Stand halten oder retiriren solle.
Endlich entschloß er sich, da auch die Pest im Lager ausbrach, zu dem Letz¬
teren. Er dachte durch einen Nachtmarsch den höchst nöthigen Vorsprung zu
gewinnen; aber Bourbon saß dem Abziehenden unermüdlich auf den Fersen,
sodaß das verbündete Heer gleichzeitig mit den Franzosen die Sesia erreichte.
— Für vermehrte Uebergänge hatte Bonnivet nicht gesorgt, und als er nun
aus einer einzigen Brücke bei Gattinara auch den Fluß überschritt, um sich
mit den bei Jvrea stehenden Schweizern zu vereinigen, die sich geweigert


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/13>, abgerufen am 03.07.2024.