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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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ohne Recht hat es diesen Ruf. Mailand ist diejenige Stadt, welche die mei-
sten literarischen Erzeugnisse hervorbringt und gebraucht und welche am reinsten
auf die öffentliche Meinung tonangebend wirkt. Wenn der Piemontese ernster
und beharrlicher ist als der Lombarde, so ist der Lombarde zugänglicher, von
schnellerem Verständnisse, und er weiß sich leichter mitzutheilen. So ist auch
die lombardische Literatur die populärste Italiens. Sie ist am verständigsten
und heitersten zugleich; man denkt dort ehe man spricht, und macht es nicht umge¬
kehrt, wie es wohl in Toskana häufig genug vorkommt. Was die Größe Manzoni's
ausmacht -- die auch der Ausländer schwerlich verkennen wird -- ist, daß
er alle Vorzüge eines lombardischen Schriftstellers in sich vereint; man kann
sagen, daß Manzoni ebensoviel von der Lombardei empfangen hat, als er
ihr gab; und wenn man jetzt diese geistreiche Biederkeit die zugleich von
gutem Humor und Gemüth erfüllte Art bezeichnen wollte, welche den Reiz
einer guten Anzahl mailändischer Schriftsteller ausmacht, so könnte man gleich
richtig sagen, daß sie lombardisch und daß sie manzonisch sei.

Aber bisher schien an der Begünstigung dieser lombardischen oder, wie
man also sagen könnte, manzonischen Schreibweise nur unser Geschlecht Theil
zu haben; das weibliche Geschlecht nahm nicht daran Theil. Wenn eine Frau
zu schreiben versuchte, so schläferte sie uns ein -- mit wenigen Ausnahmen
-- durch Abgeschmacktheiten, Albernheiten, die Schwerfälligkeit ihrer Phrasen,
durch den Mangel an Zartgefühl, welches sonst ihr Geschlecht schmückt. Man
bot uns kindische Gespräche oder Erzählungen an, die geeignet waren, nicht
nur aufgeweckte Kinder, sondern die Puppen selbst einzuschläfern, oder man
verwickelte uns in Discussionen über die Religion, die Moral, die Bestimmung,
die Rechte, die Pflichten des Weibes, um uns zum tausendsten Male, nur in
Platteren Phrasen, ohne jeden Reiz im Stil und ohne Geist, das zu sagen,
Was uns besser und ohne Prätensionen, wenn auch gleichfalls sehr überflüssiger
Weise, schon Andere zuvor gesagt hatten. In den Mädchenschulen unter¬
richtete man gewöhnlich nach einer sehr empirischen Methode, indem man
ganz äußerlich kleine unbegriffene Abhandlungen auswendig lernen ließ, damit
die Mädchen im Examen wie kleine Papageien sie vor den über solches Wissen
erstaunten Schulbehörden, vorsagen konnten. Aber man hätte die Hefte der
Wunderkinder vor der Revision durch die Schulvorsteherin einsehen sollen, um
sich von ihrem wahren Culturzustande überzeugen zu können. Eine nur zu große
Anzahl weiblicher Erziehungsanstalten in Italien bietet ein gleiches Bild;
viel äußerlicher Schein, und kein wirklicher und andauernder Werth, der im
späteren Leben nachwirken könnte.

Unter solchen Umständen muß man sich doppelt freuen, wenn man eine
öffentliche italienische Schule kennen lernt, die wirklich vortreffliche Resultate
erzielt, wie man dies der höheren weiblichen Gemeindeschule Mailands nach"


ohne Recht hat es diesen Ruf. Mailand ist diejenige Stadt, welche die mei-
sten literarischen Erzeugnisse hervorbringt und gebraucht und welche am reinsten
auf die öffentliche Meinung tonangebend wirkt. Wenn der Piemontese ernster
und beharrlicher ist als der Lombarde, so ist der Lombarde zugänglicher, von
schnellerem Verständnisse, und er weiß sich leichter mitzutheilen. So ist auch
die lombardische Literatur die populärste Italiens. Sie ist am verständigsten
und heitersten zugleich; man denkt dort ehe man spricht, und macht es nicht umge¬
kehrt, wie es wohl in Toskana häufig genug vorkommt. Was die Größe Manzoni's
ausmacht — die auch der Ausländer schwerlich verkennen wird — ist, daß
er alle Vorzüge eines lombardischen Schriftstellers in sich vereint; man kann
sagen, daß Manzoni ebensoviel von der Lombardei empfangen hat, als er
ihr gab; und wenn man jetzt diese geistreiche Biederkeit die zugleich von
gutem Humor und Gemüth erfüllte Art bezeichnen wollte, welche den Reiz
einer guten Anzahl mailändischer Schriftsteller ausmacht, so könnte man gleich
richtig sagen, daß sie lombardisch und daß sie manzonisch sei.

Aber bisher schien an der Begünstigung dieser lombardischen oder, wie
man also sagen könnte, manzonischen Schreibweise nur unser Geschlecht Theil
zu haben; das weibliche Geschlecht nahm nicht daran Theil. Wenn eine Frau
zu schreiben versuchte, so schläferte sie uns ein — mit wenigen Ausnahmen
— durch Abgeschmacktheiten, Albernheiten, die Schwerfälligkeit ihrer Phrasen,
durch den Mangel an Zartgefühl, welches sonst ihr Geschlecht schmückt. Man
bot uns kindische Gespräche oder Erzählungen an, die geeignet waren, nicht
nur aufgeweckte Kinder, sondern die Puppen selbst einzuschläfern, oder man
verwickelte uns in Discussionen über die Religion, die Moral, die Bestimmung,
die Rechte, die Pflichten des Weibes, um uns zum tausendsten Male, nur in
Platteren Phrasen, ohne jeden Reiz im Stil und ohne Geist, das zu sagen,
Was uns besser und ohne Prätensionen, wenn auch gleichfalls sehr überflüssiger
Weise, schon Andere zuvor gesagt hatten. In den Mädchenschulen unter¬
richtete man gewöhnlich nach einer sehr empirischen Methode, indem man
ganz äußerlich kleine unbegriffene Abhandlungen auswendig lernen ließ, damit
die Mädchen im Examen wie kleine Papageien sie vor den über solches Wissen
erstaunten Schulbehörden, vorsagen konnten. Aber man hätte die Hefte der
Wunderkinder vor der Revision durch die Schulvorsteherin einsehen sollen, um
sich von ihrem wahren Culturzustande überzeugen zu können. Eine nur zu große
Anzahl weiblicher Erziehungsanstalten in Italien bietet ein gleiches Bild;
viel äußerlicher Schein, und kein wirklicher und andauernder Werth, der im
späteren Leben nachwirken könnte.

Unter solchen Umständen muß man sich doppelt freuen, wenn man eine
öffentliche italienische Schule kennen lernt, die wirklich vortreffliche Resultate
erzielt, wie man dies der höheren weiblichen Gemeindeschule Mailands nach«


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[0123] ohne Recht hat es diesen Ruf. Mailand ist diejenige Stadt, welche die mei- sten literarischen Erzeugnisse hervorbringt und gebraucht und welche am reinsten auf die öffentliche Meinung tonangebend wirkt. Wenn der Piemontese ernster und beharrlicher ist als der Lombarde, so ist der Lombarde zugänglicher, von schnellerem Verständnisse, und er weiß sich leichter mitzutheilen. So ist auch die lombardische Literatur die populärste Italiens. Sie ist am verständigsten und heitersten zugleich; man denkt dort ehe man spricht, und macht es nicht umge¬ kehrt, wie es wohl in Toskana häufig genug vorkommt. Was die Größe Manzoni's ausmacht — die auch der Ausländer schwerlich verkennen wird — ist, daß er alle Vorzüge eines lombardischen Schriftstellers in sich vereint; man kann sagen, daß Manzoni ebensoviel von der Lombardei empfangen hat, als er ihr gab; und wenn man jetzt diese geistreiche Biederkeit die zugleich von gutem Humor und Gemüth erfüllte Art bezeichnen wollte, welche den Reiz einer guten Anzahl mailändischer Schriftsteller ausmacht, so könnte man gleich richtig sagen, daß sie lombardisch und daß sie manzonisch sei. Aber bisher schien an der Begünstigung dieser lombardischen oder, wie man also sagen könnte, manzonischen Schreibweise nur unser Geschlecht Theil zu haben; das weibliche Geschlecht nahm nicht daran Theil. Wenn eine Frau zu schreiben versuchte, so schläferte sie uns ein — mit wenigen Ausnahmen — durch Abgeschmacktheiten, Albernheiten, die Schwerfälligkeit ihrer Phrasen, durch den Mangel an Zartgefühl, welches sonst ihr Geschlecht schmückt. Man bot uns kindische Gespräche oder Erzählungen an, die geeignet waren, nicht nur aufgeweckte Kinder, sondern die Puppen selbst einzuschläfern, oder man verwickelte uns in Discussionen über die Religion, die Moral, die Bestimmung, die Rechte, die Pflichten des Weibes, um uns zum tausendsten Male, nur in Platteren Phrasen, ohne jeden Reiz im Stil und ohne Geist, das zu sagen, Was uns besser und ohne Prätensionen, wenn auch gleichfalls sehr überflüssiger Weise, schon Andere zuvor gesagt hatten. In den Mädchenschulen unter¬ richtete man gewöhnlich nach einer sehr empirischen Methode, indem man ganz äußerlich kleine unbegriffene Abhandlungen auswendig lernen ließ, damit die Mädchen im Examen wie kleine Papageien sie vor den über solches Wissen erstaunten Schulbehörden, vorsagen konnten. Aber man hätte die Hefte der Wunderkinder vor der Revision durch die Schulvorsteherin einsehen sollen, um sich von ihrem wahren Culturzustande überzeugen zu können. Eine nur zu große Anzahl weiblicher Erziehungsanstalten in Italien bietet ein gleiches Bild; viel äußerlicher Schein, und kein wirklicher und andauernder Werth, der im späteren Leben nachwirken könnte. Unter solchen Umständen muß man sich doppelt freuen, wenn man eine öffentliche italienische Schule kennen lernt, die wirklich vortreffliche Resultate erzielt, wie man dies der höheren weiblichen Gemeindeschule Mailands nach«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/123>, abgerufen am 22.07.2024.