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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Mailand und Genua, wurden nach langer Entfremdung wieder heimgebracht,
und ein siegreiches kaiserliches Heer, wie seit Heinrich's VI. Tagen keines so
mächtig gewesen, setzte dort dem Reich ergebene Fürsten ein. "Ein hübsch
new lieb von der stat Genua vnnd wie sie die Landsknecht erobert haben"
preist es, "wie man den Adler auf's Neu fliegen läßt, unter den sich jetzt
mancher schmiegen muß, der vordem die Stirn gar hoch getragen."

Dieser glückliche Wassergang in Italien erfüllte Kaiser Karl V. mit der
Hoffnung, auch die alten Reichslande an der Rhone und das seinem Hause
entfremdete Herzogthum Burgund von Frankreich wieder losreißen zu können.
Gleiche Pläne wie Karl verfolgte in Bezug auf die einst englischen Westgebiete
Frankreichs König Heinrich VIII. Er und der Kaiser waren daher natür¬
liche Verbündete. Ein englisch-niederländisches Heer rückte in die Picardie
ein, während Lord Surrey, zugleich englischer und spanisch-deutscher Admiral,
mit einer Flotte vor Cherbourg erschien.

Einen Augenblick hatte es den Anschein, als ob die französische Krone
Alles wieder einbüßen sollte, was ihr Louis' XI. Staatsklugheit errungen;
denn auch im eigenen Lande erhob sich gegen sie ein mächtiger Feind: -- der
zweite Mann im Königreiche, der Connetable Karl von Bourbon, persönlich
beleidigt und schwer in seinen Erbrechten gekränkt, bot den Verbündeten seine
Hülfe an. -- Doch die Gefahr schien größer, als sie war. Weder vor Cher¬
bourg, noch in der Picardie geschah etwas Namhaftes: einige Städte wurden
geplündert, einige Landstrecken verwüstet; dann kam die ungünstige Jahres¬
zeit und man zog sich zurück, zumal man für den nächsten Feldzug in
Bourbons Unterstützung eine ganz andere Basis in Frankreich selbst zu ge¬
winnen hoffte. Mit diesem mächtigen Feudalherrn kamen Kaiser und König
überein, daß, sobald Franz I. den von ihm beabsichtigten Revanchezug nach
Italien unternehmen würde, gleichzeitig ein deutsches Heer in Bourgogne, ein
spanisches in Langued'oc, ein englisches in Picardie einfallen und Bourbon
mit S00 Homines d'armes und 10,000 Mann Fußvolk ihnen die Hand
reichen solle. Er möge dann, der Schwester des Kaisers vermählt, König von
Frankreich werden, die Krone aber zu Lehn von England nehmen. -- Doch
die Pläne wurden verrathen; von Glück hatte Bourbon zu sagen, daß es ihm
noch gelang, zu entfliehen, und die großartige Combination des dreifachen
Angriffs wurde, vielleicht unter dem Eindruck jenes ersten Fehlschlags, nur
matt und halbherzig zur Ausführung gebracht. Die Engländer landeten in
der Picardie und streiften bis auf zehn Stunden von Paris; aber Tremouille
widerstand dem Einfall und wies ihn endlich, durch Vendome verstärkt, ganz
ab. Den Spaniern warf sich Lautrec entgegen, vertheidigte nach dem Falle
von Fontarabie die Stadt Bayonne, brachte den Feinden eine Niederlage bei
und zwang sie zum Rückzüge über die Pyrenäen. Der Einfall des Grafen


Mailand und Genua, wurden nach langer Entfremdung wieder heimgebracht,
und ein siegreiches kaiserliches Heer, wie seit Heinrich's VI. Tagen keines so
mächtig gewesen, setzte dort dem Reich ergebene Fürsten ein. „Ein hübsch
new lieb von der stat Genua vnnd wie sie die Landsknecht erobert haben"
preist es, „wie man den Adler auf's Neu fliegen läßt, unter den sich jetzt
mancher schmiegen muß, der vordem die Stirn gar hoch getragen."

Dieser glückliche Wassergang in Italien erfüllte Kaiser Karl V. mit der
Hoffnung, auch die alten Reichslande an der Rhone und das seinem Hause
entfremdete Herzogthum Burgund von Frankreich wieder losreißen zu können.
Gleiche Pläne wie Karl verfolgte in Bezug auf die einst englischen Westgebiete
Frankreichs König Heinrich VIII. Er und der Kaiser waren daher natür¬
liche Verbündete. Ein englisch-niederländisches Heer rückte in die Picardie
ein, während Lord Surrey, zugleich englischer und spanisch-deutscher Admiral,
mit einer Flotte vor Cherbourg erschien.

Einen Augenblick hatte es den Anschein, als ob die französische Krone
Alles wieder einbüßen sollte, was ihr Louis' XI. Staatsklugheit errungen;
denn auch im eigenen Lande erhob sich gegen sie ein mächtiger Feind: — der
zweite Mann im Königreiche, der Connetable Karl von Bourbon, persönlich
beleidigt und schwer in seinen Erbrechten gekränkt, bot den Verbündeten seine
Hülfe an. — Doch die Gefahr schien größer, als sie war. Weder vor Cher¬
bourg, noch in der Picardie geschah etwas Namhaftes: einige Städte wurden
geplündert, einige Landstrecken verwüstet; dann kam die ungünstige Jahres¬
zeit und man zog sich zurück, zumal man für den nächsten Feldzug in
Bourbons Unterstützung eine ganz andere Basis in Frankreich selbst zu ge¬
winnen hoffte. Mit diesem mächtigen Feudalherrn kamen Kaiser und König
überein, daß, sobald Franz I. den von ihm beabsichtigten Revanchezug nach
Italien unternehmen würde, gleichzeitig ein deutsches Heer in Bourgogne, ein
spanisches in Langued'oc, ein englisches in Picardie einfallen und Bourbon
mit S00 Homines d'armes und 10,000 Mann Fußvolk ihnen die Hand
reichen solle. Er möge dann, der Schwester des Kaisers vermählt, König von
Frankreich werden, die Krone aber zu Lehn von England nehmen. — Doch
die Pläne wurden verrathen; von Glück hatte Bourbon zu sagen, daß es ihm
noch gelang, zu entfliehen, und die großartige Combination des dreifachen
Angriffs wurde, vielleicht unter dem Eindruck jenes ersten Fehlschlags, nur
matt und halbherzig zur Ausführung gebracht. Die Engländer landeten in
der Picardie und streiften bis auf zehn Stunden von Paris; aber Tremouille
widerstand dem Einfall und wies ihn endlich, durch Vendome verstärkt, ganz
ab. Den Spaniern warf sich Lautrec entgegen, vertheidigte nach dem Falle
von Fontarabie die Stadt Bayonne, brachte den Feinden eine Niederlage bei
und zwang sie zum Rückzüge über die Pyrenäen. Der Einfall des Grafen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/11>, abgerufen am 29.06.2024.