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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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Italien haben über sechzig Jahre gewährt. -- Dem ersten, fast abenteuer¬
lichen Zuge Karl's VIII. im letzten Jahrzehnt des XV., dem Ringen Louis' XII.
um Mailand und Neapel zu Anfang des XVI. Jahrhunderts reiht sich der
Krieg der "Liga von Cambray" und der Krieg der "heiligen Liga" an --
beide Zeichen neuerwachenden Selbstbewußtseins der Italiener. Nach manchen
dunklen Tagen für die Fahnen Frankreichs strahlt dann am Ostermorgen 1512
der Stern des jugendlichen Gaston's de Foix im hellsten Glänze, um ebendort
von Todesnacht umflort zu werden. Eine ritterliche Heldenschaar von hohem
Adel, als deren schönste, typische Gestalt das Bild Bayard's der Nachwelt
überliefert ist, umgab den Thron des hochgesinnten Valois; die eigentliche
Grundlage der militärischen Macht der Franzosen war jedoch ihr Bündniß
mit der Eidgenossenschaft. Selbst außer Stande, ein nationales Fußvolk
aufzustellen, waren die Franzosen abhängig von den hellen Haufen der
schweizerischen Spießträger. Wohl pflanzten diese für französisches Gold das
Lilienbanner auf das Siegesfeld, aber sie traten auch immer herrischer, immer
anmaßender auf, und in kurzsichtiger Habgier verlor die Eidgenossenschaft all¬
mählich jeden idealen Gesichtspunkt. -- Es kam zum Bruche zwischen ihr und
Frankreich, und da war es nun ein außerordentlicher Triumph für König
Franz I., als er im Jahre 1615 diesen schweizerischen Trotz brach, in jenem
zweitägigen Ringen von Mangnano, das der alte Marschall Trivulzio, der
doch in 17 Schlachten angekämpft, eine "Riesenschlacht" nannte, gegen welche
alles Bisherige nur ein Kinderspiel gewesen sei. Gewonnen war dieser Sieg
durch das vereinte Wirken der französischen Adelsreiterei (Gensdarmerie), der
französischen Artillerie und des deutschen Fußvolks in Frankreichs Sold.
Denn inzwischen waren die "Landsknechte" emporgekommen als Nebenbuhler
der Schweizer, und der Tag von Marignano reichte ihnen den ersten Kranz. --
Nun kam es darauf an, ob es den Franzosen möglich sein würde, dem Könige
von Spanien siegreich zu begegnen, der als deutscher Kaiser zugleich Herr der
deutschen Landsknechte war.

Um das überhaupt versuchen zu können, bedurften die Franzosen vor
Allem wieder der Schweizer, und das alte Bündniß mit ihnen, das noch aus
Louis' XI. Tagen stammte, wurde abermals erneuert. -- Und nun begann
der große Krieg zwischen Karl V. und Franz I. mit Wiederaufnahme des
Kampfes in Oberitalien. -- Der erste Feldzug endete unglücklich für das
französische Heer. Im April 1522 entschied der Tag von Bicocca für den
Kaiser und die deutschen Knechte. Die Eidgenossen brachten von dort einen
Kleinmuth in ihre Sennhütten und Zunfthäuser heim, der mehrere Jahre
lang über den Cantonen lag, und der Führer der Landsknechte, Georg von
Frundsberg, den die Schweizer den "Leutfresser" hießen, blieb allezeit ein
Schrecken der Kriegsmänner von Uri. -- Die alten Reichskammerländer,


Italien haben über sechzig Jahre gewährt. — Dem ersten, fast abenteuer¬
lichen Zuge Karl's VIII. im letzten Jahrzehnt des XV., dem Ringen Louis' XII.
um Mailand und Neapel zu Anfang des XVI. Jahrhunderts reiht sich der
Krieg der „Liga von Cambray" und der Krieg der „heiligen Liga" an —
beide Zeichen neuerwachenden Selbstbewußtseins der Italiener. Nach manchen
dunklen Tagen für die Fahnen Frankreichs strahlt dann am Ostermorgen 1512
der Stern des jugendlichen Gaston's de Foix im hellsten Glänze, um ebendort
von Todesnacht umflort zu werden. Eine ritterliche Heldenschaar von hohem
Adel, als deren schönste, typische Gestalt das Bild Bayard's der Nachwelt
überliefert ist, umgab den Thron des hochgesinnten Valois; die eigentliche
Grundlage der militärischen Macht der Franzosen war jedoch ihr Bündniß
mit der Eidgenossenschaft. Selbst außer Stande, ein nationales Fußvolk
aufzustellen, waren die Franzosen abhängig von den hellen Haufen der
schweizerischen Spießträger. Wohl pflanzten diese für französisches Gold das
Lilienbanner auf das Siegesfeld, aber sie traten auch immer herrischer, immer
anmaßender auf, und in kurzsichtiger Habgier verlor die Eidgenossenschaft all¬
mählich jeden idealen Gesichtspunkt. — Es kam zum Bruche zwischen ihr und
Frankreich, und da war es nun ein außerordentlicher Triumph für König
Franz I., als er im Jahre 1615 diesen schweizerischen Trotz brach, in jenem
zweitägigen Ringen von Mangnano, das der alte Marschall Trivulzio, der
doch in 17 Schlachten angekämpft, eine „Riesenschlacht" nannte, gegen welche
alles Bisherige nur ein Kinderspiel gewesen sei. Gewonnen war dieser Sieg
durch das vereinte Wirken der französischen Adelsreiterei (Gensdarmerie), der
französischen Artillerie und des deutschen Fußvolks in Frankreichs Sold.
Denn inzwischen waren die „Landsknechte" emporgekommen als Nebenbuhler
der Schweizer, und der Tag von Marignano reichte ihnen den ersten Kranz. —
Nun kam es darauf an, ob es den Franzosen möglich sein würde, dem Könige
von Spanien siegreich zu begegnen, der als deutscher Kaiser zugleich Herr der
deutschen Landsknechte war.

Um das überhaupt versuchen zu können, bedurften die Franzosen vor
Allem wieder der Schweizer, und das alte Bündniß mit ihnen, das noch aus
Louis' XI. Tagen stammte, wurde abermals erneuert. — Und nun begann
der große Krieg zwischen Karl V. und Franz I. mit Wiederaufnahme des
Kampfes in Oberitalien. — Der erste Feldzug endete unglücklich für das
französische Heer. Im April 1522 entschied der Tag von Bicocca für den
Kaiser und die deutschen Knechte. Die Eidgenossen brachten von dort einen
Kleinmuth in ihre Sennhütten und Zunfthäuser heim, der mehrere Jahre
lang über den Cantonen lag, und der Führer der Landsknechte, Georg von
Frundsberg, den die Schweizer den „Leutfresser" hießen, blieb allezeit ein
Schrecken der Kriegsmänner von Uri. — Die alten Reichskammerländer,


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[0010] Italien haben über sechzig Jahre gewährt. — Dem ersten, fast abenteuer¬ lichen Zuge Karl's VIII. im letzten Jahrzehnt des XV., dem Ringen Louis' XII. um Mailand und Neapel zu Anfang des XVI. Jahrhunderts reiht sich der Krieg der „Liga von Cambray" und der Krieg der „heiligen Liga" an — beide Zeichen neuerwachenden Selbstbewußtseins der Italiener. Nach manchen dunklen Tagen für die Fahnen Frankreichs strahlt dann am Ostermorgen 1512 der Stern des jugendlichen Gaston's de Foix im hellsten Glänze, um ebendort von Todesnacht umflort zu werden. Eine ritterliche Heldenschaar von hohem Adel, als deren schönste, typische Gestalt das Bild Bayard's der Nachwelt überliefert ist, umgab den Thron des hochgesinnten Valois; die eigentliche Grundlage der militärischen Macht der Franzosen war jedoch ihr Bündniß mit der Eidgenossenschaft. Selbst außer Stande, ein nationales Fußvolk aufzustellen, waren die Franzosen abhängig von den hellen Haufen der schweizerischen Spießträger. Wohl pflanzten diese für französisches Gold das Lilienbanner auf das Siegesfeld, aber sie traten auch immer herrischer, immer anmaßender auf, und in kurzsichtiger Habgier verlor die Eidgenossenschaft all¬ mählich jeden idealen Gesichtspunkt. — Es kam zum Bruche zwischen ihr und Frankreich, und da war es nun ein außerordentlicher Triumph für König Franz I., als er im Jahre 1615 diesen schweizerischen Trotz brach, in jenem zweitägigen Ringen von Mangnano, das der alte Marschall Trivulzio, der doch in 17 Schlachten angekämpft, eine „Riesenschlacht" nannte, gegen welche alles Bisherige nur ein Kinderspiel gewesen sei. Gewonnen war dieser Sieg durch das vereinte Wirken der französischen Adelsreiterei (Gensdarmerie), der französischen Artillerie und des deutschen Fußvolks in Frankreichs Sold. Denn inzwischen waren die „Landsknechte" emporgekommen als Nebenbuhler der Schweizer, und der Tag von Marignano reichte ihnen den ersten Kranz. — Nun kam es darauf an, ob es den Franzosen möglich sein würde, dem Könige von Spanien siegreich zu begegnen, der als deutscher Kaiser zugleich Herr der deutschen Landsknechte war. Um das überhaupt versuchen zu können, bedurften die Franzosen vor Allem wieder der Schweizer, und das alte Bündniß mit ihnen, das noch aus Louis' XI. Tagen stammte, wurde abermals erneuert. — Und nun begann der große Krieg zwischen Karl V. und Franz I. mit Wiederaufnahme des Kampfes in Oberitalien. — Der erste Feldzug endete unglücklich für das französische Heer. Im April 1522 entschied der Tag von Bicocca für den Kaiser und die deutschen Knechte. Die Eidgenossen brachten von dort einen Kleinmuth in ihre Sennhütten und Zunfthäuser heim, der mehrere Jahre lang über den Cantonen lag, und der Führer der Landsknechte, Georg von Frundsberg, den die Schweizer den „Leutfresser" hießen, blieb allezeit ein Schrecken der Kriegsmänner von Uri. — Die alten Reichskammerländer,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/10>, abgerufen am 26.06.2024.