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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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lange die Parteien, die nicht am Ruder waren, stets von revolutionären Be-
strebungen sich leiten ließen, die Keime des Untergangs in sich trug, daß es
mit dem französischen Verwaltungsprincip schlechterdings unvereinbar war,
davon hatte man kaum eine Ahnung. Man glaubte trotz aller Erfahrungen
an die Kraft dieses Regimes und man war überzeugt, in ihm einen aus¬
reichenden Schutz gegen die unberechenbaren Launen eines künftigen Königs zu
finden. Man glaubte, es mit der legitimen Monarchie wagen zu können, so¬
bald der Graf von Chambord sich unbedingt dem parlamentarischen Regime
unterworfen haben würde.

Je augenscheinlicher es war, daß gegenwärtig Alles von dem Entschlüsse
des Grafen von Chambord abhing, um so ungeduldiger sahen die Fusionisten
seiner Entscheidung, die noch immer auf sich warten ließ, entgegen. Die
Speeialcommission der monarchischen Parteien hatte sofort nach ihrer Er¬
nennung beschlossen, durch Unterhändler sich mit dem störrischen Thron¬
bewerber in Verbindung zu setzen. Aber wo befand sich der Graf? Bald
hieß es, er werde in Brüssel erwartet, bald, er sei in der Schweiz angekommen;
andere Nachrichten meldeten, er habe sich in einem Winkel der österreichischen
Alpen versteckt. Fast schien es so, als ob diese widersprechenden Gerüchte ab¬
sichtlich von Frohsdorf in Umlauf gesetzt wurden, weil der Graf den un¬
bequemen Drängern aus dem Wege gehen wollte. In der That befand er
sich aber in Salzburg, wo auch die Unterhändler mit ihm zusammentrafen.
Kaum war dies bekannt geworden, so ergoß sich eine Flut der verschiedensten,
einander völlig widersprechenden Gerüchte über das in ängstlicher Spannung
harrende Land. Heute meldete ein susionistisches Blatt, Alles scheine sich aufs
Schönste zu entwickeln, der Graf zeige sich entgegenkommender, als man es
irgend habe erwarten können; am folgenden Tage erklärte eins der Leiborgane
des standhaften Prinzen, man möge sich ja keiner Illusion hingeben, nichts
sei entschieden, die Schwierigkeit, über entgegengesetzte Principien sich zu eini¬
gen, mache eine rasche Entscheidung unmöglich: Aeußerungen, die selbstver¬
ständlich als Ankündigung eines nahen Abbruchs der Verhandlungen aus¬
gelegt wurden. Nach und nach aber kehrte das Vertrauen wieder: die Mit¬
theilungen der Vertrauensmänner sollten von Tag zu Tag hoffnungsvoller
lauten, ein susionistisches Blatt verkündete mit Emphase: in Frohsdorf sei
die Wiedervereinigung der Glieder des königlichen Hauses gelungen, in Salz¬
burg habe man die Monarchie wiederhergestellt.

Am 16. October waren zwei der zu Chambord entsendeten Unterhändler,
die Herren Lucien Brun und Chesnelong, aus Salzburg zurückgekehrt. Am
18. October gab der ehrliche Chesnelong, ein biederer, durch den Handel mit
Bayonner Schinken reich gewordener Bourgeois, ein begeisterter Royalist,
aber, wie sich bald zeigen sollte, ein Diplomat von nur mäßiger Begabung.


lange die Parteien, die nicht am Ruder waren, stets von revolutionären Be-
strebungen sich leiten ließen, die Keime des Untergangs in sich trug, daß es
mit dem französischen Verwaltungsprincip schlechterdings unvereinbar war,
davon hatte man kaum eine Ahnung. Man glaubte trotz aller Erfahrungen
an die Kraft dieses Regimes und man war überzeugt, in ihm einen aus¬
reichenden Schutz gegen die unberechenbaren Launen eines künftigen Königs zu
finden. Man glaubte, es mit der legitimen Monarchie wagen zu können, so¬
bald der Graf von Chambord sich unbedingt dem parlamentarischen Regime
unterworfen haben würde.

Je augenscheinlicher es war, daß gegenwärtig Alles von dem Entschlüsse
des Grafen von Chambord abhing, um so ungeduldiger sahen die Fusionisten
seiner Entscheidung, die noch immer auf sich warten ließ, entgegen. Die
Speeialcommission der monarchischen Parteien hatte sofort nach ihrer Er¬
nennung beschlossen, durch Unterhändler sich mit dem störrischen Thron¬
bewerber in Verbindung zu setzen. Aber wo befand sich der Graf? Bald
hieß es, er werde in Brüssel erwartet, bald, er sei in der Schweiz angekommen;
andere Nachrichten meldeten, er habe sich in einem Winkel der österreichischen
Alpen versteckt. Fast schien es so, als ob diese widersprechenden Gerüchte ab¬
sichtlich von Frohsdorf in Umlauf gesetzt wurden, weil der Graf den un¬
bequemen Drängern aus dem Wege gehen wollte. In der That befand er
sich aber in Salzburg, wo auch die Unterhändler mit ihm zusammentrafen.
Kaum war dies bekannt geworden, so ergoß sich eine Flut der verschiedensten,
einander völlig widersprechenden Gerüchte über das in ängstlicher Spannung
harrende Land. Heute meldete ein susionistisches Blatt, Alles scheine sich aufs
Schönste zu entwickeln, der Graf zeige sich entgegenkommender, als man es
irgend habe erwarten können; am folgenden Tage erklärte eins der Leiborgane
des standhaften Prinzen, man möge sich ja keiner Illusion hingeben, nichts
sei entschieden, die Schwierigkeit, über entgegengesetzte Principien sich zu eini¬
gen, mache eine rasche Entscheidung unmöglich: Aeußerungen, die selbstver¬
ständlich als Ankündigung eines nahen Abbruchs der Verhandlungen aus¬
gelegt wurden. Nach und nach aber kehrte das Vertrauen wieder: die Mit¬
theilungen der Vertrauensmänner sollten von Tag zu Tag hoffnungsvoller
lauten, ein susionistisches Blatt verkündete mit Emphase: in Frohsdorf sei
die Wiedervereinigung der Glieder des königlichen Hauses gelungen, in Salz¬
burg habe man die Monarchie wiederhergestellt.

Am 16. October waren zwei der zu Chambord entsendeten Unterhändler,
die Herren Lucien Brun und Chesnelong, aus Salzburg zurückgekehrt. Am
18. October gab der ehrliche Chesnelong, ein biederer, durch den Handel mit
Bayonner Schinken reich gewordener Bourgeois, ein begeisterter Royalist,
aber, wie sich bald zeigen sollte, ein Diplomat von nur mäßiger Begabung.


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[0492] lange die Parteien, die nicht am Ruder waren, stets von revolutionären Be- strebungen sich leiten ließen, die Keime des Untergangs in sich trug, daß es mit dem französischen Verwaltungsprincip schlechterdings unvereinbar war, davon hatte man kaum eine Ahnung. Man glaubte trotz aller Erfahrungen an die Kraft dieses Regimes und man war überzeugt, in ihm einen aus¬ reichenden Schutz gegen die unberechenbaren Launen eines künftigen Königs zu finden. Man glaubte, es mit der legitimen Monarchie wagen zu können, so¬ bald der Graf von Chambord sich unbedingt dem parlamentarischen Regime unterworfen haben würde. Je augenscheinlicher es war, daß gegenwärtig Alles von dem Entschlüsse des Grafen von Chambord abhing, um so ungeduldiger sahen die Fusionisten seiner Entscheidung, die noch immer auf sich warten ließ, entgegen. Die Speeialcommission der monarchischen Parteien hatte sofort nach ihrer Er¬ nennung beschlossen, durch Unterhändler sich mit dem störrischen Thron¬ bewerber in Verbindung zu setzen. Aber wo befand sich der Graf? Bald hieß es, er werde in Brüssel erwartet, bald, er sei in der Schweiz angekommen; andere Nachrichten meldeten, er habe sich in einem Winkel der österreichischen Alpen versteckt. Fast schien es so, als ob diese widersprechenden Gerüchte ab¬ sichtlich von Frohsdorf in Umlauf gesetzt wurden, weil der Graf den un¬ bequemen Drängern aus dem Wege gehen wollte. In der That befand er sich aber in Salzburg, wo auch die Unterhändler mit ihm zusammentrafen. Kaum war dies bekannt geworden, so ergoß sich eine Flut der verschiedensten, einander völlig widersprechenden Gerüchte über das in ängstlicher Spannung harrende Land. Heute meldete ein susionistisches Blatt, Alles scheine sich aufs Schönste zu entwickeln, der Graf zeige sich entgegenkommender, als man es irgend habe erwarten können; am folgenden Tage erklärte eins der Leiborgane des standhaften Prinzen, man möge sich ja keiner Illusion hingeben, nichts sei entschieden, die Schwierigkeit, über entgegengesetzte Principien sich zu eini¬ gen, mache eine rasche Entscheidung unmöglich: Aeußerungen, die selbstver¬ ständlich als Ankündigung eines nahen Abbruchs der Verhandlungen aus¬ gelegt wurden. Nach und nach aber kehrte das Vertrauen wieder: die Mit¬ theilungen der Vertrauensmänner sollten von Tag zu Tag hoffnungsvoller lauten, ein susionistisches Blatt verkündete mit Emphase: in Frohsdorf sei die Wiedervereinigung der Glieder des königlichen Hauses gelungen, in Salz¬ burg habe man die Monarchie wiederhergestellt. Am 16. October waren zwei der zu Chambord entsendeten Unterhändler, die Herren Lucien Brun und Chesnelong, aus Salzburg zurückgekehrt. Am 18. October gab der ehrliche Chesnelong, ein biederer, durch den Handel mit Bayonner Schinken reich gewordener Bourgeois, ein begeisterter Royalist, aber, wie sich bald zeigen sollte, ein Diplomat von nur mäßiger Begabung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/492>, abgerufen am 25.08.2024.