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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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haben, seine Sympathie für das Königthum kund zu geben. Broglie glaubte
an die Wiederherstellung, und sein Glaube an eine Sache, die man vor
Kurzem bereits verloren gegeben hatte, konnte nicht umhin, in der Masse der
Unentschiedenen, die der stärkeren Sache zu folgen bereit waren , einen tiefen
Eindruck hervorzubringen.

Alle Zweifel und Bedenken der zwischen der Monarchie und, Republik
Schwankenden wurden durch Herrn von Broglie's Erklärungen allerdings
nicht gehoben. Der Versicherung, daß Niemand an Wiederherstellung einer
Herrschaft der Geistlichkeit denken könne, meinten Viele, habe es gar nicht
bedurft; daran habe ohnehin Niemand geglaubt Was man fürchte, das sei
der Einfluß der Priesterschaft in dem Rathe eines Königs, dessen Welt¬
anschauung in eben jenen Zeiten, deren Rückkehr Herr von Broglie für un¬
möglich erklärt hatte, wurzelte, in dessen Vorstellungen Königthum und Priester-
thum gleichsam zwei einem Stamme angehörige Aeste waren, den seine feu¬
rigsten Anhänger schon im Voraus als den Wiederhersteller der weltlichen
Papstmacht, als den Vollstrecker der vaticanischen Beschlüsse und Satzungen,
als den Feldherrn des unfehlbaren Kirchenhaupts feierten. Daß in der Kirche
das Streben nach Herrschaft lebendig war, daß das Priesterthum dem
Papste noch bei weitem unbedingter zur Verfügung stand, als in den Zeiten
der Gregore und Innocenz, das konnte Niemand in Abrede stellen. Lebte
aber in der Geistlichkeit das Streben nach Herrschaft, so konnte ihr unter
einem ihr ergebenen Könige, der völlig in mittelalterlichen, theokratischen An¬
schauungen befangen war, ein Einfluß nicht entgehen, der sich von wirklicher
Herrschaft vielleicht nur dem Namen nach unterschied. Diesen Einfluß der
Geistlichkeit, der Frankreich völlig in zwei feindliche Lager gespalten haben
würde -- schienen doch schon jetzt die Pilgerschaaren, die von ihren Wall¬
fahrten die Rettung Frankreichs hofften, die Schwärmer, die Frankreich dem
heiligen Herzen weihen wollten, einem anderen Volke und einer anderen Zeit
anzugehören, als die Mehrzahl der Franzosen der Gegenwart --, diesen Ein¬
fluß der Geistlichkeit konnte das Land nicht ertragen, und die Furcht vor
demselben zu beseitigen, dazu reichte Broglie's Wort nicht aus.

Vielleicht nicht einmal das Wort des künftigen Königs selbst. War es
für Heinrich von Bourbon möglich, selbst wenn er er gewollt hätte, sich den
Einflüssen der Partei zu entziehen, die ihm durch Sympathie verbunden war,
während die liberalen Royalisten nur den kühlen Berechnungen der Politik
folgten, wenn sie den Sprößling der älteren bourbonischen Linie sich als
König gefallen ließen? Man sah denn auch in der That die einzige Bürg¬
schaft gegen die theokratisch-absolutistischen Neigungen des künftigen Herrschers
in der strengsten Durchführung des parlamentarischen Regimes. Daß dies
Regime in Frankreich bisher nicht hatte Wurzeln fassen können, daß es, so-


haben, seine Sympathie für das Königthum kund zu geben. Broglie glaubte
an die Wiederherstellung, und sein Glaube an eine Sache, die man vor
Kurzem bereits verloren gegeben hatte, konnte nicht umhin, in der Masse der
Unentschiedenen, die der stärkeren Sache zu folgen bereit waren , einen tiefen
Eindruck hervorzubringen.

Alle Zweifel und Bedenken der zwischen der Monarchie und, Republik
Schwankenden wurden durch Herrn von Broglie's Erklärungen allerdings
nicht gehoben. Der Versicherung, daß Niemand an Wiederherstellung einer
Herrschaft der Geistlichkeit denken könne, meinten Viele, habe es gar nicht
bedurft; daran habe ohnehin Niemand geglaubt Was man fürchte, das sei
der Einfluß der Priesterschaft in dem Rathe eines Königs, dessen Welt¬
anschauung in eben jenen Zeiten, deren Rückkehr Herr von Broglie für un¬
möglich erklärt hatte, wurzelte, in dessen Vorstellungen Königthum und Priester-
thum gleichsam zwei einem Stamme angehörige Aeste waren, den seine feu¬
rigsten Anhänger schon im Voraus als den Wiederhersteller der weltlichen
Papstmacht, als den Vollstrecker der vaticanischen Beschlüsse und Satzungen,
als den Feldherrn des unfehlbaren Kirchenhaupts feierten. Daß in der Kirche
das Streben nach Herrschaft lebendig war, daß das Priesterthum dem
Papste noch bei weitem unbedingter zur Verfügung stand, als in den Zeiten
der Gregore und Innocenz, das konnte Niemand in Abrede stellen. Lebte
aber in der Geistlichkeit das Streben nach Herrschaft, so konnte ihr unter
einem ihr ergebenen Könige, der völlig in mittelalterlichen, theokratischen An¬
schauungen befangen war, ein Einfluß nicht entgehen, der sich von wirklicher
Herrschaft vielleicht nur dem Namen nach unterschied. Diesen Einfluß der
Geistlichkeit, der Frankreich völlig in zwei feindliche Lager gespalten haben
würde — schienen doch schon jetzt die Pilgerschaaren, die von ihren Wall¬
fahrten die Rettung Frankreichs hofften, die Schwärmer, die Frankreich dem
heiligen Herzen weihen wollten, einem anderen Volke und einer anderen Zeit
anzugehören, als die Mehrzahl der Franzosen der Gegenwart —, diesen Ein¬
fluß der Geistlichkeit konnte das Land nicht ertragen, und die Furcht vor
demselben zu beseitigen, dazu reichte Broglie's Wort nicht aus.

Vielleicht nicht einmal das Wort des künftigen Königs selbst. War es
für Heinrich von Bourbon möglich, selbst wenn er er gewollt hätte, sich den
Einflüssen der Partei zu entziehen, die ihm durch Sympathie verbunden war,
während die liberalen Royalisten nur den kühlen Berechnungen der Politik
folgten, wenn sie den Sprößling der älteren bourbonischen Linie sich als
König gefallen ließen? Man sah denn auch in der That die einzige Bürg¬
schaft gegen die theokratisch-absolutistischen Neigungen des künftigen Herrschers
in der strengsten Durchführung des parlamentarischen Regimes. Daß dies
Regime in Frankreich bisher nicht hatte Wurzeln fassen können, daß es, so-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/491>, abgerufen am 25.08.2024.