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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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moderne Staat erheische, wie sie andererseits die Gefahren erkenne, welche der
modernen Gesellschaft drohten. So werde die Regierung beschaffen sein, welche
die Vertreter der Nation dem Lande geben werden, und in diesem Vertrauen
sei die Entscheidung der Nationalversammlung, der eine solche allein zustehe,
mit Achtung zu erwarten.

Die Erklärung des Herzogs hielt sich streng innerhalb der der Regierung
zustehenden Befugnisse, indem sie die Aengstlichen und Besorgten auf die
Entscheidung der Nationalversammlung verwies, deren Recht, über die Zukunft
des Landes zu verfügen, die Regierung von Anfang an unbedingt anerkannt
hatte. Zugleich aber hatte der Minister klar genug angedeutet, daß seiner
Meinung nach die Versammlung sich für Wiederherstellung des Königthums
entscheiden werde, und um auch seine Zuhörer im Voraus mit dieser zu
erwartenden Entscheidung auszusöhnen, hatte er sich bemüht, die Bedenken,
die gegen die Wiederherstellung der Monarchie vielfach erhoben wurden, als
lächerliche Hirngespinnste und Ausgeburten einer krankhaft erregten Einbildungs¬
kraft darzustellen. Die Zeiten der Priesterherrschaft, der königlichen Willkür
sind vorüber. Niemand kann den thörichten Gedanken hegen, sie wieder¬
herstellen zu wollen, am wenigsten die Nationalversammlung. Welchen
Beschluß sie auch fassen möge, mit dem Geist der neuen Zeit könne und
werde sie sich nicht in Widerspruch setzen. Hatte Broglie darin Recht, so war
ja ein großer Theil der Einwendungen, welche sich gegen die Wiederherstellung
des Königthums erheben ließen, beseitigt.

Uebrigens hatte Broglie sich auch diesmal wieder den Rückzug offen ge¬
halten. Er war ja nicht eigentlich für das Königthum, sondern nur für das
Recht der Nationalversammlung, das Königthum wiederherzustellen, in die
Schranken getreten. Er hatte für den Fall der Wiederherstellung sich der
Nationalversammlung für Durchführung ihrer Beschlüsse zur Verfügung
gestellt; eine Theilnahme an den Plänen der Mehrheit hatte er aber nicht
eingestanden, seine Scheinneutralität hatte er auch jetzt noch gewahrt. Es war
deutlich, daß er dem Plan der Königsmacher nach Kräften den Weg ebnen
und doch auch jetzt noch, für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen mit
dem Grafen von Chambord, sich möglich erhalten wollte.

Trotz dieses Vorbehalts war der Eindruck seiner Erklärungen sehr be¬
deutend. Wenn Broglie seine vorsichtige Zurückhaltung so weit aufgab, daß
er die öffentliche Meinung über die Folgen, die man von der Wiederherstellung
des Königthums fürchtete, zu beruhigen suchte, so mußten die Aussichten der
Royalisten sich günstig gestaltet, d. h. die Verhandlungen mit dem Frohsdorfer
Hofe mußten eine hoffnungsvolle Wendung genommen haben. Wäre dies
nicht der Fall, so würde er -- das war der allgemeine und vollkommen be¬
rechtigte Schluß, den man aus seinen Worten zog -- sich wohl gehütet


moderne Staat erheische, wie sie andererseits die Gefahren erkenne, welche der
modernen Gesellschaft drohten. So werde die Regierung beschaffen sein, welche
die Vertreter der Nation dem Lande geben werden, und in diesem Vertrauen
sei die Entscheidung der Nationalversammlung, der eine solche allein zustehe,
mit Achtung zu erwarten.

Die Erklärung des Herzogs hielt sich streng innerhalb der der Regierung
zustehenden Befugnisse, indem sie die Aengstlichen und Besorgten auf die
Entscheidung der Nationalversammlung verwies, deren Recht, über die Zukunft
des Landes zu verfügen, die Regierung von Anfang an unbedingt anerkannt
hatte. Zugleich aber hatte der Minister klar genug angedeutet, daß seiner
Meinung nach die Versammlung sich für Wiederherstellung des Königthums
entscheiden werde, und um auch seine Zuhörer im Voraus mit dieser zu
erwartenden Entscheidung auszusöhnen, hatte er sich bemüht, die Bedenken,
die gegen die Wiederherstellung der Monarchie vielfach erhoben wurden, als
lächerliche Hirngespinnste und Ausgeburten einer krankhaft erregten Einbildungs¬
kraft darzustellen. Die Zeiten der Priesterherrschaft, der königlichen Willkür
sind vorüber. Niemand kann den thörichten Gedanken hegen, sie wieder¬
herstellen zu wollen, am wenigsten die Nationalversammlung. Welchen
Beschluß sie auch fassen möge, mit dem Geist der neuen Zeit könne und
werde sie sich nicht in Widerspruch setzen. Hatte Broglie darin Recht, so war
ja ein großer Theil der Einwendungen, welche sich gegen die Wiederherstellung
des Königthums erheben ließen, beseitigt.

Uebrigens hatte Broglie sich auch diesmal wieder den Rückzug offen ge¬
halten. Er war ja nicht eigentlich für das Königthum, sondern nur für das
Recht der Nationalversammlung, das Königthum wiederherzustellen, in die
Schranken getreten. Er hatte für den Fall der Wiederherstellung sich der
Nationalversammlung für Durchführung ihrer Beschlüsse zur Verfügung
gestellt; eine Theilnahme an den Plänen der Mehrheit hatte er aber nicht
eingestanden, seine Scheinneutralität hatte er auch jetzt noch gewahrt. Es war
deutlich, daß er dem Plan der Königsmacher nach Kräften den Weg ebnen
und doch auch jetzt noch, für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen mit
dem Grafen von Chambord, sich möglich erhalten wollte.

Trotz dieses Vorbehalts war der Eindruck seiner Erklärungen sehr be¬
deutend. Wenn Broglie seine vorsichtige Zurückhaltung so weit aufgab, daß
er die öffentliche Meinung über die Folgen, die man von der Wiederherstellung
des Königthums fürchtete, zu beruhigen suchte, so mußten die Aussichten der
Royalisten sich günstig gestaltet, d. h. die Verhandlungen mit dem Frohsdorfer
Hofe mußten eine hoffnungsvolle Wendung genommen haben. Wäre dies
nicht der Fall, so würde er — das war der allgemeine und vollkommen be¬
rechtigte Schluß, den man aus seinen Worten zog — sich wohl gehütet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/490>, abgerufen am 26.08.2024.