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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Herstellung des Königthums für unbedingt und für alle Zeiten unmöglich
gehalten hätte, sondern weil er glaubte, daß die Monarchie, welche die
Fufionspartei dem Lande auferlegen wollte, weder mit den gegenwärtigen
Gesellschaftszuständen vereinbar sei, noch die erforderlichen Bürgschaften gegen
eine unbeschränkte königliche Willkürherrschaft gewähren werde. Wie aber,
wenn der Graf von Chambord unumwunden die ihm zu stellenden Bedingungen
annahm, wenn Herr Leon Sah sich von der Aufrichtigkeit dieser Annahme
überzeugte, wenn er das Vertrauen gewann, daß es den gemäßigten Parteien
gelingen werde, den König zur Aufrechterhaltung dessen zu zwingen, was
der Prinz versprochen hatte? Dann wären ja die Gründe fortgefallen, die
Herrn Say hinderten, sich der monarchischen Partei anzuschließen. Wie
man sieht, unterschied sich Say's Standpunkt wenig von dem Lemoinne's:
beide waren grundsätzlich Anhänger der constitutionellen Monarchie, der Eine
hoffte auf die Wiederherstellung derselben, der Andere hielt sie für jetzt aller¬
dings noch für unmöglich; aber er würde sich mit Freuden von der Möglichkeit
haben überzeugen lassen. Die Royalisten glaubten denn auch, Leon Say
als einen halben Anhänger betrachten zu können, als einen von denjenigen,
die, wenn die Verhandlungen mit Chambord einen günstigen Verlauf nähmen,
in dem entscheidenden Augenblick kein Bedenken tragen würden, die monarchische
Mehrheit zu verstärken; die Republicaner aber konnten nicht umhin, ihn und
die Seinigen als wenig zuverlässige Bundesgenossen zu betrachten. Das linke
Centrum blieb, auch nach Leon Say's Erklärung, der unberechenbare Factor,
der es von jeher gewesen war.

.Aber auch die Regierung hielt den Augenblick für gekommen, um über
ihre Stellung zu der brennenden Frage Auskunft zu geben. Der Herzog
von Broglie entledigte sich dieser Aufgabe mit großer Geschicklichkeit in einer
bei einem Bankett in Neuville-le-Bon zur Feier der Eröffnung einer Eisenbahn
gehaltenen Rede. Der Blick auf die Trümmer der einst prachtvollen, jetzt
verfallenen Abtei von Hellouin bot ihm Veranlassung, die mittelalterliche für
jene Zeiten so wohlthätige Macht und Herrlichkeit der Kirche mit ihrem
gegenwärtigen Zustande zu vergleichen und mit großem Nachdruck hervorzu¬
heben, daß die Zeiten der weltlichen Macht für die Geistlichkeit unwiderruflich
vorüber seien, daß also die Besorgniß vor der Wiederkehr mittelalterlicher
Zustände thöricht und unbegründet wäre, woraus sich für die Zuhörer die
Folgerung ergab, daß demnach auch die Wiederherstellung der bourbonischen
Monarchie unmöglich zur Rückkehr der gefurchteren Priesterherrschaft führen
könne. Nachdem er sich so den Weg zu der Tagesfrage gebahnt, entwarf er
das Bild der Regierung, wie das Land sie wünsche. Man wolle eine starke
Regierung, die über den Parteien stehe, die alle glorreichen Erinnerungen der
Vergangenheit wieder aufnehme, die einerseits eben so begreife, was der


Herstellung des Königthums für unbedingt und für alle Zeiten unmöglich
gehalten hätte, sondern weil er glaubte, daß die Monarchie, welche die
Fufionspartei dem Lande auferlegen wollte, weder mit den gegenwärtigen
Gesellschaftszuständen vereinbar sei, noch die erforderlichen Bürgschaften gegen
eine unbeschränkte königliche Willkürherrschaft gewähren werde. Wie aber,
wenn der Graf von Chambord unumwunden die ihm zu stellenden Bedingungen
annahm, wenn Herr Leon Sah sich von der Aufrichtigkeit dieser Annahme
überzeugte, wenn er das Vertrauen gewann, daß es den gemäßigten Parteien
gelingen werde, den König zur Aufrechterhaltung dessen zu zwingen, was
der Prinz versprochen hatte? Dann wären ja die Gründe fortgefallen, die
Herrn Say hinderten, sich der monarchischen Partei anzuschließen. Wie
man sieht, unterschied sich Say's Standpunkt wenig von dem Lemoinne's:
beide waren grundsätzlich Anhänger der constitutionellen Monarchie, der Eine
hoffte auf die Wiederherstellung derselben, der Andere hielt sie für jetzt aller¬
dings noch für unmöglich; aber er würde sich mit Freuden von der Möglichkeit
haben überzeugen lassen. Die Royalisten glaubten denn auch, Leon Say
als einen halben Anhänger betrachten zu können, als einen von denjenigen,
die, wenn die Verhandlungen mit Chambord einen günstigen Verlauf nähmen,
in dem entscheidenden Augenblick kein Bedenken tragen würden, die monarchische
Mehrheit zu verstärken; die Republicaner aber konnten nicht umhin, ihn und
die Seinigen als wenig zuverlässige Bundesgenossen zu betrachten. Das linke
Centrum blieb, auch nach Leon Say's Erklärung, der unberechenbare Factor,
der es von jeher gewesen war.

.Aber auch die Regierung hielt den Augenblick für gekommen, um über
ihre Stellung zu der brennenden Frage Auskunft zu geben. Der Herzog
von Broglie entledigte sich dieser Aufgabe mit großer Geschicklichkeit in einer
bei einem Bankett in Neuville-le-Bon zur Feier der Eröffnung einer Eisenbahn
gehaltenen Rede. Der Blick auf die Trümmer der einst prachtvollen, jetzt
verfallenen Abtei von Hellouin bot ihm Veranlassung, die mittelalterliche für
jene Zeiten so wohlthätige Macht und Herrlichkeit der Kirche mit ihrem
gegenwärtigen Zustande zu vergleichen und mit großem Nachdruck hervorzu¬
heben, daß die Zeiten der weltlichen Macht für die Geistlichkeit unwiderruflich
vorüber seien, daß also die Besorgniß vor der Wiederkehr mittelalterlicher
Zustände thöricht und unbegründet wäre, woraus sich für die Zuhörer die
Folgerung ergab, daß demnach auch die Wiederherstellung der bourbonischen
Monarchie unmöglich zur Rückkehr der gefurchteren Priesterherrschaft führen
könne. Nachdem er sich so den Weg zu der Tagesfrage gebahnt, entwarf er
das Bild der Regierung, wie das Land sie wünsche. Man wolle eine starke
Regierung, die über den Parteien stehe, die alle glorreichen Erinnerungen der
Vergangenheit wieder aufnehme, die einerseits eben so begreife, was der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/489>, abgerufen am 26.12.2024.