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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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den Arbeiten des öffentlichen Lebens abziehen würde, daß dieser rastlose
Geist unfähig sei, an einem behaglichen, beschaulichen, ausschließlich den
Genüssen der Bildung und der wissenschaftlichen Arbeit gewidmeten Dasein
sich genügen zu lassen. Die öffentliche Thätigkeit und auch die politische
Intrigue war ihm zur andern Natur geworden. Oft besiegt, hatte er nie
die Waffen gestreckt; in den verzweifeltsten Lagen hatte er stets an der Hoff¬
nung festgehalten, daß die Stürme, die sein Schiff auf den Strand getrieben,
es auch wieder flott machen würden. Diese Hoffnung ließ er auch jetzt nicht
fahren. Seine Zurückhaltung war wohlberechnet. Er erkannte sehr wohl,
daß er im offenen Kampfe gegen seinen Nachfolger, solange derselbe noch von
dem Glänze des eben errungenen Sieges umstrahlt wurde, seine Kräfte und
seinen Ruf bald völlig abnutzen würde. Im Stillen aber setzte er den Kampf
unausgesetzt fort; fast jede Nummer des "Li"n xudlie" brachte eine jener
kleinen prickelnden Bosheiten, die beiläufig bemerkt, mehr von der Zähigkeit
seines Hasses, als von seiner Klugheit Zeugniß ablegten, da sie den Gegner
reizten, ohne ihm zu schaden. Als man sich aber von allen Seiten zum
Entscheidungskampfe rüstete, konnte auch Thiers, wenn er nicht endgültig auf
die Führerrolle verzichten wollte, seine Zurückhaltung nicht länger bewahren.
In einem zur Veröffentlichung bestimmten Briefe sprach er sich entschieden
gegen die Wiederherstellung der Monarchie aus, die jeden Boden im Lande
verloren habe und erklärte, daß auf der endgültigen Begründung der
Republik die einzige Hoffnung auf Befestigung des inneren Friedens beruhe.
Neues brachte er nicht vor, er wiederholte nur, was er unzählige Male gesagt
hatte. Dennoch war die Wirkung seines Schreibens bedeutend, weil es den
Republicanern die Gewißheit verschaffte, daß Thiers in dem Entscheidungs¬
kampfe ihnen als Führer nicht fehlen werde. Das ganze Schreiben war in
einem entschlossenen, zuversichtlichen Tone gehalten, wie es in einer Kund¬
gebung, welche den Zweck verfolgt, die Schwankenden bei der Fahne festzu¬
halten, die Furchtsamen zu ermuthigen, ganz an der Stelle war.

Im Namen des verdächtigen linken Centrums oder wenigstens der
Hauptmasse desselben nahm Leon Sah das Wort und erließ eine Art von
Manifest, in welchem er sich ebenfalls für die Republik aussprach, jedoch
unverkennbar eine, wenn auch nur theoretische Vorliebe für die Monarchie
durchblicken ließ. Das Schreiben war in stilistischer Beziehung vortrefflich,
dabei geistvoll und gedankenreich, aber in seiner Wirkung blieb es weit hinter
dem Thiers'schen Briefe zurück. Der Fehler war. daß der Verfasser sich
und seinen Freunden, vielleicht ohne es zu wollen, eine Hinterthür offen ließ,
aus der sie, je nach den Umständen, aus dem republikanischen Lager ent¬
schlüpfen konnten. Weshalb sprach sich Herr Sah für die Republik aus?
Nicht aus Vorliebe für diese Staatsform, auch nicht, weil er die Wieder-


den Arbeiten des öffentlichen Lebens abziehen würde, daß dieser rastlose
Geist unfähig sei, an einem behaglichen, beschaulichen, ausschließlich den
Genüssen der Bildung und der wissenschaftlichen Arbeit gewidmeten Dasein
sich genügen zu lassen. Die öffentliche Thätigkeit und auch die politische
Intrigue war ihm zur andern Natur geworden. Oft besiegt, hatte er nie
die Waffen gestreckt; in den verzweifeltsten Lagen hatte er stets an der Hoff¬
nung festgehalten, daß die Stürme, die sein Schiff auf den Strand getrieben,
es auch wieder flott machen würden. Diese Hoffnung ließ er auch jetzt nicht
fahren. Seine Zurückhaltung war wohlberechnet. Er erkannte sehr wohl,
daß er im offenen Kampfe gegen seinen Nachfolger, solange derselbe noch von
dem Glänze des eben errungenen Sieges umstrahlt wurde, seine Kräfte und
seinen Ruf bald völlig abnutzen würde. Im Stillen aber setzte er den Kampf
unausgesetzt fort; fast jede Nummer des „Li«n xudlie" brachte eine jener
kleinen prickelnden Bosheiten, die beiläufig bemerkt, mehr von der Zähigkeit
seines Hasses, als von seiner Klugheit Zeugniß ablegten, da sie den Gegner
reizten, ohne ihm zu schaden. Als man sich aber von allen Seiten zum
Entscheidungskampfe rüstete, konnte auch Thiers, wenn er nicht endgültig auf
die Führerrolle verzichten wollte, seine Zurückhaltung nicht länger bewahren.
In einem zur Veröffentlichung bestimmten Briefe sprach er sich entschieden
gegen die Wiederherstellung der Monarchie aus, die jeden Boden im Lande
verloren habe und erklärte, daß auf der endgültigen Begründung der
Republik die einzige Hoffnung auf Befestigung des inneren Friedens beruhe.
Neues brachte er nicht vor, er wiederholte nur, was er unzählige Male gesagt
hatte. Dennoch war die Wirkung seines Schreibens bedeutend, weil es den
Republicanern die Gewißheit verschaffte, daß Thiers in dem Entscheidungs¬
kampfe ihnen als Führer nicht fehlen werde. Das ganze Schreiben war in
einem entschlossenen, zuversichtlichen Tone gehalten, wie es in einer Kund¬
gebung, welche den Zweck verfolgt, die Schwankenden bei der Fahne festzu¬
halten, die Furchtsamen zu ermuthigen, ganz an der Stelle war.

Im Namen des verdächtigen linken Centrums oder wenigstens der
Hauptmasse desselben nahm Leon Sah das Wort und erließ eine Art von
Manifest, in welchem er sich ebenfalls für die Republik aussprach, jedoch
unverkennbar eine, wenn auch nur theoretische Vorliebe für die Monarchie
durchblicken ließ. Das Schreiben war in stilistischer Beziehung vortrefflich,
dabei geistvoll und gedankenreich, aber in seiner Wirkung blieb es weit hinter
dem Thiers'schen Briefe zurück. Der Fehler war. daß der Verfasser sich
und seinen Freunden, vielleicht ohne es zu wollen, eine Hinterthür offen ließ,
aus der sie, je nach den Umständen, aus dem republikanischen Lager ent¬
schlüpfen konnten. Weshalb sprach sich Herr Sah für die Republik aus?
Nicht aus Vorliebe für diese Staatsform, auch nicht, weil er die Wieder-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/488>, abgerufen am 22.07.2024.