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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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liegen keine Aufklärungen darüber vor, wie der österreichische Minister eine
Abtretung Venetiens möglich dachte, ohne daß dadurch ein Machtzuwachs für
Italien geschaffen würde. Man setzt deshalb gewöhnlich voraus, daß Mens-
dorff durch seine Note vom 1. Juni den Kongreß habe absolut unmöglich
machen wollen. Daß ihm daran lag, denselben zu verhindern, kann ja keinen
Zweifel unterliegen; allein er mußte doch auch darauf gefaßt sein, daß seine
Bedingungen angenommen und zur Grundlage der Berathungen gemacht
wurden. In diesem Fall konnte seine Bereitwilligkeit. Venetien abzutreten,
gegen ihn verwendet werden und es galt sich dagegen ein Sicherheitsventil
zu verschaffen. In diesem Sinne verstehen wir die zweite Bedingung, die er
aufstellte, die Forderung, daß man den heiligen Vater zum Kongresse ziehen
sollte. Es scheint uns, daß, wenn der Congreß zu Stande gekommen wäre,
die österreichischen Vorschläge etwa dahin gelautet haben würden: Italien
muß den Kirchenstaat in einem bestimmten Umfange wieder herstellen und be¬
kommt Venetien; Oesterreich giebt Venetien heraus und bekommt Schlesien;
Preußen opfert Schlesien und wird mit Schleswig-Holstein entschädigt. Auf
diese Weise wäre da allerdings jede Vergrößerung "einer der zu dem heutigen
Congreß eingeladenen Mächte" vermieden worden, denn der Papst war
nicht ungeladen. Wenn das österreichische Cabinet nun wirklich diesen Ge?
dankengang verfolgte, so könnte man sich wundern, daß es denselben nicht
dem Kaiser Napoleon vertraulich mittheilte und ihn davon zurückhielt, den
Congreß für unmöglich zu erklären. Aber man darf nicht vergessen, daß
Napoleon in die Wiederherstellung des Kirchenstaates doch nicht hätte willigen
können, und daß Oesterreich selbst keinen Grund hatte, den Congreß zu wün¬
schen. Darüber daß es durch seine Antwort vom 1. Juni sein Anerbieten,
Venetien gegen Entschädigung aufzugeben, nicht habe zurücknehmen wollen,
ließ es den Kaiser nicht in Zweifel. Vielmehr versah Mensdorff seinen Ge¬
sandten mit Instructionen (von denen auch Nigra und durch ihn Lamarmora
Kenntniß erhielt), die ihn ermächtigten, aufs neue jene Bereitwilligkeit für
den Fall in Aussicht zu stellen, daß es gelinge, in Deutschland sichere und
gleichwerthige Eroberungen zu machen. Kaum hatte Napoleon (am 4. Juni)
davon Kenntniß erhalten, so beauftragte er Gramont. sich sowohl diese Zu¬
sage als das weitere Versprechen, den se^tus <M0 in Italien auf keinen Fall
antasten zu wollen, formell von dem österreichischen Cabinet geben zu lassen
und dagegen Frankreichs Neutralität zu versprechen, -- der beste Beweis dafür,
daß an diesem Tage Bismarck die Forderung der Moselgrenze bereits definitiv
abgelehnt hatte. Wie erbittert man in Folge dessen in den Tuilerien auf
Preußen war. zeigt am besten der Umstand, daß man am 12. Juni auf drei¬
fachem Wege (durch Nigra, den Prinzen Napoleon und Malaret) die deuten^
ziöse Neuigkeit nach Florenz meldete: die Königin von Preußen habe in einem


liegen keine Aufklärungen darüber vor, wie der österreichische Minister eine
Abtretung Venetiens möglich dachte, ohne daß dadurch ein Machtzuwachs für
Italien geschaffen würde. Man setzt deshalb gewöhnlich voraus, daß Mens-
dorff durch seine Note vom 1. Juni den Kongreß habe absolut unmöglich
machen wollen. Daß ihm daran lag, denselben zu verhindern, kann ja keinen
Zweifel unterliegen; allein er mußte doch auch darauf gefaßt sein, daß seine
Bedingungen angenommen und zur Grundlage der Berathungen gemacht
wurden. In diesem Fall konnte seine Bereitwilligkeit. Venetien abzutreten,
gegen ihn verwendet werden und es galt sich dagegen ein Sicherheitsventil
zu verschaffen. In diesem Sinne verstehen wir die zweite Bedingung, die er
aufstellte, die Forderung, daß man den heiligen Vater zum Kongresse ziehen
sollte. Es scheint uns, daß, wenn der Congreß zu Stande gekommen wäre,
die österreichischen Vorschläge etwa dahin gelautet haben würden: Italien
muß den Kirchenstaat in einem bestimmten Umfange wieder herstellen und be¬
kommt Venetien; Oesterreich giebt Venetien heraus und bekommt Schlesien;
Preußen opfert Schlesien und wird mit Schleswig-Holstein entschädigt. Auf
diese Weise wäre da allerdings jede Vergrößerung „einer der zu dem heutigen
Congreß eingeladenen Mächte" vermieden worden, denn der Papst war
nicht ungeladen. Wenn das österreichische Cabinet nun wirklich diesen Ge?
dankengang verfolgte, so könnte man sich wundern, daß es denselben nicht
dem Kaiser Napoleon vertraulich mittheilte und ihn davon zurückhielt, den
Congreß für unmöglich zu erklären. Aber man darf nicht vergessen, daß
Napoleon in die Wiederherstellung des Kirchenstaates doch nicht hätte willigen
können, und daß Oesterreich selbst keinen Grund hatte, den Congreß zu wün¬
schen. Darüber daß es durch seine Antwort vom 1. Juni sein Anerbieten,
Venetien gegen Entschädigung aufzugeben, nicht habe zurücknehmen wollen,
ließ es den Kaiser nicht in Zweifel. Vielmehr versah Mensdorff seinen Ge¬
sandten mit Instructionen (von denen auch Nigra und durch ihn Lamarmora
Kenntniß erhielt), die ihn ermächtigten, aufs neue jene Bereitwilligkeit für
den Fall in Aussicht zu stellen, daß es gelinge, in Deutschland sichere und
gleichwerthige Eroberungen zu machen. Kaum hatte Napoleon (am 4. Juni)
davon Kenntniß erhalten, so beauftragte er Gramont. sich sowohl diese Zu¬
sage als das weitere Versprechen, den se^tus <M0 in Italien auf keinen Fall
antasten zu wollen, formell von dem österreichischen Cabinet geben zu lassen
und dagegen Frankreichs Neutralität zu versprechen, — der beste Beweis dafür,
daß an diesem Tage Bismarck die Forderung der Moselgrenze bereits definitiv
abgelehnt hatte. Wie erbittert man in Folge dessen in den Tuilerien auf
Preußen war. zeigt am besten der Umstand, daß man am 12. Juni auf drei¬
fachem Wege (durch Nigra, den Prinzen Napoleon und Malaret) die deuten^
ziöse Neuigkeit nach Florenz meldete: die Königin von Preußen habe in einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/460>, abgerufen am 26.08.2024.