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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Schreiben an den Kaiser von Oesterreich demselben versichert, der König habe
ihr sein Ehrenwort gegeben, es bestehe zwischen Preußen und Italien kein
wirklicher Vertrag, und wenn Italien Oesterreich angreife, sei Preußen nicht
verpflichtet ihm zu folgen. An eine Widerlegung dieser elenden Verläumdung
wird wirklich kein Deutscher auch nur ein Wort verschwenden ; um Lamarmora
zu charakterisiren sei aber noch bemerkt, daß er seinerseits die Sache noch weiter
verdreht, indem er von einem Ehrenworte spricht, das der König von Preußen
dem Kaiser von Oesterreich direct gegeben habe. Um auf Grammont zurückzu¬
kommen, so löste dieser seine Aufgabe glücklich, und ehe noch der Krieg aus¬
gebrochen war, wußte Lamarmora, daß ihm Venetien sicher sei. Nigra meldete
es aus Paris und noch vor ihm telegraphirte Barral am 12. Juni von Berlin,
der österreichische Gesandte, der eben abberufen war, habe ihm zum Abschiede
gesagt: Wir werden nicht immer Feinde sein, und wenn wir, wie ich hoffe,
Preußen schlagen werden, so kann ich Ihnen anvertrauen, daß wir uns mit
Ihnen über die Abtretung Venetiens arrangiren werden.

Auf den Streit, ob Lamarmora in Folge dessen sich entschlossen habe,
einen bloßen Scheinkrieg zu führen, wollen wir hier nicht eingehen; es würde
dabei mehr auf eine Prüfung seiner militärischen, als seiner diplomatischen
Maßregeln ankommen. Für moralisch fähig zu einer solchen Comödte halten
wir ihn durchaus, so heftig er sich dagegen auch ereifert. Wir haben genug
Proben seiner Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit gegeben, um das aussprechen zu
dürfen. Was wir zum Schluß noch zu erzählen haben, wird auch keinem
Leser einen besseren Begriff von diesem sprüchwörtlichen "Biedermanne" geben.
Es ist die ungarische Angelegenheit. Daß Lamarmora oder überhaupt irgend
ein italienischer Staatsmann vernünftiger Weise moralische Bedenken hätte
tragen können, bei einem Kriege mit Oesterreich den Funken der Empörung in
dessen slavische und magyarische Provinzen zu werfen, ist ein so origineller
Gedanke, daß schwerlich Jemand von selbst darauf verfallen wäre, wenn
Lamarmora es nicht behauptet hätte. Wohl aber konnte, ja mußte man
sich, ehe man zu diesem Mittel griff, fragen, ob es Erfolg versprach. Diese
Frage, das glauben wir gern, hat Lamarmora niemals mit Entschiedenheit
zu bejahen gewagt; aber er hat sie sich auch bis in den Juni hinein nicht
verneint, und sie deshalb offen gehalten. Zwischen Preußen und Italien
wurde die ganze Angelegenheit nach Lamarmora's Aussage zuerst durch
Govone zur Sprache gebracht, der am 2. Mai Bismarck fragte, ob Preußen
nicht geneigt sei, fünf Millionen für Ungarn zu opfern. Dieser antwortete,
daß man weder Land noch Leute kenne, und daß er fürchte das Geld unnütz
fortzuwerfen. Dieser Ansicht war auch der Ministerrath, obgleich Moltke,
wie Govone am 4. Mai berichtet, die Sache befürwortete. Was Lamarmora
aus diese Mittheilungen erwiderte, hält er nicht für gut abzudrucken, sondern


Schreiben an den Kaiser von Oesterreich demselben versichert, der König habe
ihr sein Ehrenwort gegeben, es bestehe zwischen Preußen und Italien kein
wirklicher Vertrag, und wenn Italien Oesterreich angreife, sei Preußen nicht
verpflichtet ihm zu folgen. An eine Widerlegung dieser elenden Verläumdung
wird wirklich kein Deutscher auch nur ein Wort verschwenden ; um Lamarmora
zu charakterisiren sei aber noch bemerkt, daß er seinerseits die Sache noch weiter
verdreht, indem er von einem Ehrenworte spricht, das der König von Preußen
dem Kaiser von Oesterreich direct gegeben habe. Um auf Grammont zurückzu¬
kommen, so löste dieser seine Aufgabe glücklich, und ehe noch der Krieg aus¬
gebrochen war, wußte Lamarmora, daß ihm Venetien sicher sei. Nigra meldete
es aus Paris und noch vor ihm telegraphirte Barral am 12. Juni von Berlin,
der österreichische Gesandte, der eben abberufen war, habe ihm zum Abschiede
gesagt: Wir werden nicht immer Feinde sein, und wenn wir, wie ich hoffe,
Preußen schlagen werden, so kann ich Ihnen anvertrauen, daß wir uns mit
Ihnen über die Abtretung Venetiens arrangiren werden.

Auf den Streit, ob Lamarmora in Folge dessen sich entschlossen habe,
einen bloßen Scheinkrieg zu führen, wollen wir hier nicht eingehen; es würde
dabei mehr auf eine Prüfung seiner militärischen, als seiner diplomatischen
Maßregeln ankommen. Für moralisch fähig zu einer solchen Comödte halten
wir ihn durchaus, so heftig er sich dagegen auch ereifert. Wir haben genug
Proben seiner Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit gegeben, um das aussprechen zu
dürfen. Was wir zum Schluß noch zu erzählen haben, wird auch keinem
Leser einen besseren Begriff von diesem sprüchwörtlichen „Biedermanne" geben.
Es ist die ungarische Angelegenheit. Daß Lamarmora oder überhaupt irgend
ein italienischer Staatsmann vernünftiger Weise moralische Bedenken hätte
tragen können, bei einem Kriege mit Oesterreich den Funken der Empörung in
dessen slavische und magyarische Provinzen zu werfen, ist ein so origineller
Gedanke, daß schwerlich Jemand von selbst darauf verfallen wäre, wenn
Lamarmora es nicht behauptet hätte. Wohl aber konnte, ja mußte man
sich, ehe man zu diesem Mittel griff, fragen, ob es Erfolg versprach. Diese
Frage, das glauben wir gern, hat Lamarmora niemals mit Entschiedenheit
zu bejahen gewagt; aber er hat sie sich auch bis in den Juni hinein nicht
verneint, und sie deshalb offen gehalten. Zwischen Preußen und Italien
wurde die ganze Angelegenheit nach Lamarmora's Aussage zuerst durch
Govone zur Sprache gebracht, der am 2. Mai Bismarck fragte, ob Preußen
nicht geneigt sei, fünf Millionen für Ungarn zu opfern. Dieser antwortete,
daß man weder Land noch Leute kenne, und daß er fürchte das Geld unnütz
fortzuwerfen. Dieser Ansicht war auch der Ministerrath, obgleich Moltke,
wie Govone am 4. Mai berichtet, die Sache befürwortete. Was Lamarmora
aus diese Mittheilungen erwiderte, hält er nicht für gut abzudrucken, sondern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/461>, abgerufen am 25.08.2024.