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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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zurückgesandt. Er war grade 14 Tage fortgewesen. Sein Lieblingsgedanke
war eine Tripel-Allianz zwischen Frankreich, Preußen und Italien. Gleich
in der ersten Unterredung, die er mit Bismarck hätte, am 21. Mai, suchte er
diese "in Form einer academischen Abschweifung" zur Sprache zu bringen.
Der Minister bemerkte nämlich, daß seine ernstesten Besorgnisse Frankreich
betrafen. "Es schweigt Preußen gegenüber und indeß sind alle seine Vertreter
bei den Höfen zweiten Ranges im österreichischen Sinne thätig. Freilich sagt
man, daß diese Agenten die Politik des Herrn Drouyn de Lhuys treiben und
vielleicht selbst übertreiben, und daß die Politik des Kaisers eine andere sei;
bei alledem ist es für uns beunruhigend ze." Flugs brachte Govone billige
"Ausgleiche" aufs Tapet, durch die man den Kaiser unbedingt gewinnen
könne. Der König, so erwiderte Bismarck, kann ausgedehnte Provinzen mit
deutschem Blute nicht an Frankreich abtreten; es würde dem Kaiser besser
anstehen Belgien (Lamarmora ist discret, er macht nur Punkte) zu erwerben.
Das war Govone's Meinung nicht, und da Bismarck seine Entwicklungen
"ohne sich irgendwie erstaunt zu zeigen" anhörte, so schloß er, daß sein Wider¬
stand "weder unüberwindlich, noch selbst allzuschwer zu brechen sei."

Das Feld schien also geebnet, und so wagte denn Napoleon einen directen
Anlauf. Zwischen dem 21. und dem 26. Mai, an welchem Tage Bismarck
den Congreß als ein "eitles Trugbild" bezeichnete, dürften jene Anträge in
Berlin gemacht sein, deren das preußische Rundschreiben vom 29. Juli 1870
gedenkt. Frankreich schlug für den Fall, daß der Congreß scheitre, ein Schutz-
und Trutzbündniß vor, dessen Preis die Abtretung des linken Rheinufers bis
zur Mosel sein sollte. Am 31. Mai glaubte Nigra aus vertraulicher, aber
sicherer Quelle melden zu können, daß Bismarck darauf eingegangen sei.
Wenn man in dieser Beziehung eine Vermuthung äußern darf, so hat der
preußische Minister den französischen Agenten auf die Verhandlungen vertröstet,
die er persönlich deshalb mit dem Kaiser anknüpfen werde. Denn auf Napo-
leon's Wunsch war beschlossen worden, daß sich die leitenden Minister selbst
zum Congreß nach Paris begeben sollten. Verhielt es sich wirklich so, dann
hatte Bismarck noch einen Grund mehr, das Scheitern des Congresses zu
wünschen; das wird man wohl voraussetzen dürfen, obgleich er am 2. Juni,
als durch Oesterreichs Ablehnung die Frage bereits entschieden war, nach
Govone's Bericht gerade umgekehrt äußerte: aus einem Grunde wäre er
gern nach Paris gegangen, um nämlich von dem Kaiser selbst das Maximum
der französischen Forderungen kennen zu lernen. Aber er fügte gleich hinzu,
daß es jenseits des Rheines keinen Landestheil gebe, der nicht deutsch bleiben
wolle; er persönlich sei allerdings viel weniger Deutscher als Preuße, und
würde kein Bedenken tragen, die Abtretung der Mosellinie zu unterzeichnen;
aber der König würde sich nur in einem alleräußersten Augenblick dazu bereit


zurückgesandt. Er war grade 14 Tage fortgewesen. Sein Lieblingsgedanke
war eine Tripel-Allianz zwischen Frankreich, Preußen und Italien. Gleich
in der ersten Unterredung, die er mit Bismarck hätte, am 21. Mai, suchte er
diese „in Form einer academischen Abschweifung" zur Sprache zu bringen.
Der Minister bemerkte nämlich, daß seine ernstesten Besorgnisse Frankreich
betrafen. „Es schweigt Preußen gegenüber und indeß sind alle seine Vertreter
bei den Höfen zweiten Ranges im österreichischen Sinne thätig. Freilich sagt
man, daß diese Agenten die Politik des Herrn Drouyn de Lhuys treiben und
vielleicht selbst übertreiben, und daß die Politik des Kaisers eine andere sei;
bei alledem ist es für uns beunruhigend ze." Flugs brachte Govone billige
„Ausgleiche" aufs Tapet, durch die man den Kaiser unbedingt gewinnen
könne. Der König, so erwiderte Bismarck, kann ausgedehnte Provinzen mit
deutschem Blute nicht an Frankreich abtreten; es würde dem Kaiser besser
anstehen Belgien (Lamarmora ist discret, er macht nur Punkte) zu erwerben.
Das war Govone's Meinung nicht, und da Bismarck seine Entwicklungen
„ohne sich irgendwie erstaunt zu zeigen" anhörte, so schloß er, daß sein Wider¬
stand „weder unüberwindlich, noch selbst allzuschwer zu brechen sei."

Das Feld schien also geebnet, und so wagte denn Napoleon einen directen
Anlauf. Zwischen dem 21. und dem 26. Mai, an welchem Tage Bismarck
den Congreß als ein „eitles Trugbild" bezeichnete, dürften jene Anträge in
Berlin gemacht sein, deren das preußische Rundschreiben vom 29. Juli 1870
gedenkt. Frankreich schlug für den Fall, daß der Congreß scheitre, ein Schutz-
und Trutzbündniß vor, dessen Preis die Abtretung des linken Rheinufers bis
zur Mosel sein sollte. Am 31. Mai glaubte Nigra aus vertraulicher, aber
sicherer Quelle melden zu können, daß Bismarck darauf eingegangen sei.
Wenn man in dieser Beziehung eine Vermuthung äußern darf, so hat der
preußische Minister den französischen Agenten auf die Verhandlungen vertröstet,
die er persönlich deshalb mit dem Kaiser anknüpfen werde. Denn auf Napo-
leon's Wunsch war beschlossen worden, daß sich die leitenden Minister selbst
zum Congreß nach Paris begeben sollten. Verhielt es sich wirklich so, dann
hatte Bismarck noch einen Grund mehr, das Scheitern des Congresses zu
wünschen; das wird man wohl voraussetzen dürfen, obgleich er am 2. Juni,
als durch Oesterreichs Ablehnung die Frage bereits entschieden war, nach
Govone's Bericht gerade umgekehrt äußerte: aus einem Grunde wäre er
gern nach Paris gegangen, um nämlich von dem Kaiser selbst das Maximum
der französischen Forderungen kennen zu lernen. Aber er fügte gleich hinzu,
daß es jenseits des Rheines keinen Landestheil gebe, der nicht deutsch bleiben
wolle; er persönlich sei allerdings viel weniger Deutscher als Preuße, und
würde kein Bedenken tragen, die Abtretung der Mosellinie zu unterzeichnen;
aber der König würde sich nur in einem alleräußersten Augenblick dazu bereit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/458>, abgerufen am 25.12.2024.