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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Mittheilung von dem Entschlüsse ihrer Negierung; nur Herr von Barral
glaubte, daß für Preußen eine solche Mittheilung ohne Interesse sei -- für
Preußen, das am 4. und 8. Mai seine ganze Armee mobilisirt, am 10. seine
Landwehr einberufen, am 14. ausgedehnte Truppenconcentrationen in Schlesien
und Sachsen angeordnet hatte. Man wird sehr geneigt sein, hinter diesem
Schweigen, das Lamarmora gegen Preußen beobachtete, irgend einen listigen
Anschlag zu suchen, etwa den, daß er Preußen zur Abrüstung schreiten lassen
wollte, damit es nachher um so viel mehr Zeit zu neuen Rüstungen bedürfe
und den 8. Juli verstreichen lassen müsse, oder damit es von Oesterreich um so
leichter niedergeworfen und Schlesiens, des Gegenwerthes für Venetien. beraubt
werden könne. Aber wir glauben, der einzige Grund, den Lamarmora wirk¬
lich gehabt, ist Rancüne gegen den bitter gehaßten Usedom gewesen, dem er
einen Hieb versetzt, wo er nur irgend kann. Es verdient deshalb hier wohl
ausdrücklich hervorgehoben zu werden, wie ehrenhaft Usedom's diseiplinirtes
Verhalten, sein unverbrüchliches Schweigen gegenüber allen diesen Angriffen, gegen
die klägliche Selbstberäucherung des Jtalieners absticht. Unseres Wissens
wenigstens hat sich der ehemalige preußische Gesandte durch die tausend kleinen
Nadelstiche, die ihm Lamarmora applicirt, nicht bewegen lassen, ihm direct
oder indirect zu antworten*).

Auch Preußen war entschlossen, den Congreß anzunehmen, aber ohne
Abrüstung. Bismarck sprach dabei Barral seine Hoffnung aus, Oesterreich
werde "auf seine erste Weigerung zurückkommen" und seinerseits den Congreß
ablehnen. Wie unverzeihlich nachlässig Lamarmora in seiner Geschäftsführung
war, ergiebt sich daraus, daß er die Aeußerung Bismarcks in ihr grades
Gegentheil verwandelt, indem er an Nigra telegraphirt, der preußische Minister
habe gemeint, Oesterreich werde "von seiner ersten Weigerung" zurückkommen.
Ich meinestheils. fügt er dann mit überlegener Miene hinzu,. glaube, daß
Oesterreich niemals kategorisch abgelehnt hat (es war noch gar nicht officiell
aufgefordert!), wie Bismarck es uns zweimal sagen ließ, daß es vielmehr un¬
schlüssig war und es wahrscheinlich noch ist (20. Mai).

Mittlerweile war Govone von einer seltsamen Reise wieder nach Berlin
zurückgekehrt. Auf die erste Nachricht von dem österreichischen Cessionsvor--
schlag hatte Lamarmora ihn nämlich zu Nigra nach Paris geschickt, ihn dann
nach Florenz kommen lassen und ihn jetzt, abermals über Paris nach Berlin



") Diesen Satz lassen wir stehen, obgleich, seitdem er geschrieben, der Bries Usedom's
vom 11. Februar erschienen ist, der ihn scheinbar zu Nichte macht. Aber auch nur scheinbar;
denn offenbar ist der Zweck dieses sichtlich autorisirten Briefes durchaus nicht eine Selbstrecht¬
fertigung Usedom's gegenüber Lamarmora, sondern vielmehr eine Entlastung Bismarck's von
den auf ihn gehäuften Beschuldigungen.

Mittheilung von dem Entschlüsse ihrer Negierung; nur Herr von Barral
glaubte, daß für Preußen eine solche Mittheilung ohne Interesse sei — für
Preußen, das am 4. und 8. Mai seine ganze Armee mobilisirt, am 10. seine
Landwehr einberufen, am 14. ausgedehnte Truppenconcentrationen in Schlesien
und Sachsen angeordnet hatte. Man wird sehr geneigt sein, hinter diesem
Schweigen, das Lamarmora gegen Preußen beobachtete, irgend einen listigen
Anschlag zu suchen, etwa den, daß er Preußen zur Abrüstung schreiten lassen
wollte, damit es nachher um so viel mehr Zeit zu neuen Rüstungen bedürfe
und den 8. Juli verstreichen lassen müsse, oder damit es von Oesterreich um so
leichter niedergeworfen und Schlesiens, des Gegenwerthes für Venetien. beraubt
werden könne. Aber wir glauben, der einzige Grund, den Lamarmora wirk¬
lich gehabt, ist Rancüne gegen den bitter gehaßten Usedom gewesen, dem er
einen Hieb versetzt, wo er nur irgend kann. Es verdient deshalb hier wohl
ausdrücklich hervorgehoben zu werden, wie ehrenhaft Usedom's diseiplinirtes
Verhalten, sein unverbrüchliches Schweigen gegenüber allen diesen Angriffen, gegen
die klägliche Selbstberäucherung des Jtalieners absticht. Unseres Wissens
wenigstens hat sich der ehemalige preußische Gesandte durch die tausend kleinen
Nadelstiche, die ihm Lamarmora applicirt, nicht bewegen lassen, ihm direct
oder indirect zu antworten*).

Auch Preußen war entschlossen, den Congreß anzunehmen, aber ohne
Abrüstung. Bismarck sprach dabei Barral seine Hoffnung aus, Oesterreich
werde „auf seine erste Weigerung zurückkommen" und seinerseits den Congreß
ablehnen. Wie unverzeihlich nachlässig Lamarmora in seiner Geschäftsführung
war, ergiebt sich daraus, daß er die Aeußerung Bismarcks in ihr grades
Gegentheil verwandelt, indem er an Nigra telegraphirt, der preußische Minister
habe gemeint, Oesterreich werde „von seiner ersten Weigerung" zurückkommen.
Ich meinestheils. fügt er dann mit überlegener Miene hinzu,. glaube, daß
Oesterreich niemals kategorisch abgelehnt hat (es war noch gar nicht officiell
aufgefordert!), wie Bismarck es uns zweimal sagen ließ, daß es vielmehr un¬
schlüssig war und es wahrscheinlich noch ist (20. Mai).

Mittlerweile war Govone von einer seltsamen Reise wieder nach Berlin
zurückgekehrt. Auf die erste Nachricht von dem österreichischen Cessionsvor--
schlag hatte Lamarmora ihn nämlich zu Nigra nach Paris geschickt, ihn dann
nach Florenz kommen lassen und ihn jetzt, abermals über Paris nach Berlin



") Diesen Satz lassen wir stehen, obgleich, seitdem er geschrieben, der Bries Usedom's
vom 11. Februar erschienen ist, der ihn scheinbar zu Nichte macht. Aber auch nur scheinbar;
denn offenbar ist der Zweck dieses sichtlich autorisirten Briefes durchaus nicht eine Selbstrecht¬
fertigung Usedom's gegenüber Lamarmora, sondern vielmehr eine Entlastung Bismarck's von
den auf ihn gehäuften Beschuldigungen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/457>, abgerufen am 26.08.2024.