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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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nur mit einem Fuß ins monarchische Lager trat, so mußte die Sache der
Monarchie stärker sein, als man geglaubt hatte, und die wirkliche oder ver¬
meintliche Stärke der Sache verfehlte nicht, ihre Anziehungskraft zu üben.
Aber freilich alle diese Bekehrungen hatten die Nachgiebigkeit Chambord's zur
Voraussetzung.

Die Verhandlungen mit dem eigensinnigen und dabei doch unentschlossenen
Prätendenten nahmen indessen Anfangs einen den gehegten Hoffnungen wenig
entsprechenden Verlauf. Unterhändler gingen zwischen Frohsdorf hin und
her, aber die Nachrichten, die sie von den Anschauungen und Absichten des
starrköpfigen hohen Herrn mitbrachten, lauteten ziemlich trostlos. Ein entschie¬
denes Nein war nicht gesprochen worden, ebensowenig aber ein unzweideutiges
Ja. Von der Mitte August an bis in den September hinein befand sich
die Angelegenheit in einer Krisis, die selbst die feurigsten Vorkämpfer des
Königthums entmuthigte, und die. wie man allgemein annahm, in einem
Abbruch der Verhandlungen ihren Abschluß finden würde; zu den grundsätz¬
lichen Bedenken, die in Frohsdorf so sehr ins Gewicht sielen, kam noch die
Besorgnis?, daß hinter der Zuvorkommenheit und Unterwürfigkeit der Vettern
von der jüngeren Linie ein Fallstrick verborgen sein möchte. Der "Univers"
klagte die orleanistischen Zeitungen in bitterem Tone an, daß in ihren Augen
die Frohsdorfer Zusammenkunft Nichts sei, als die Abdankung des recht¬
mäßigen Herrschers zu Gunsten der Orleans, nahm aber allerdings die Prinzen
dieses Hauses nachdrücklich gegen den Verdacht in Schutz, als ob sie die Um¬
triebe ihrer Anhänger begünstigten. Nichts desto weniger mußte der Argwohn
gegen die Partei auf die Familie zurückfallen, zumal da es nicht unbemerkt
bleiben konnte, daß der ehrgeizige Herzog von Aumale eine gewisse Zurück¬
haltung den monarchischen Bestrebungen gegenüber zur Schau trug. War
der Argwohn begründet, so befand sich der Frohsdorfer Hof allerdings in
einer peinlichen Lage. Gab er unbedingt nach, so konnte ihm das als eine
Bekehrung zum Orleanismus ausgelegt werden; zeigte er sich aber allen Vor¬
stellungen unzugänglich, so blieb den Anhängern der constttutionellen Monarchie
Nichts übrig, als von Neuem die selbständige orleanistische Candidatur auf¬
zustellen: ein Schritt, der dann seine Rechtfertigung in der thatsächlich er¬
wiesenen Unmöglichkeit, den rechtmäßigen König zurückzuberufen, gefunden
hätte. Man mußte also laviren. Der Graf richtete an einen Freund ein
zur Veröffentlichung gerichtetes Schreiben, in welchem er erklärte, er werde
keine der Pflichten außer Acht lassen, welche ihm seine Stellung und die
Rücksicht auf Frankreich auferlegte. War das ein Absagebrief oder eine Er¬
munterung, die Verhandlungen fortzusetzen? An Zweideutigkeit wetteiferte
mit diesem Orakelwort eine Tischrede Broglie's, in welcher derselbe in Betreff
der vorliegenden politischen Probleme auf die Entschließungen der souveränen


nur mit einem Fuß ins monarchische Lager trat, so mußte die Sache der
Monarchie stärker sein, als man geglaubt hatte, und die wirkliche oder ver¬
meintliche Stärke der Sache verfehlte nicht, ihre Anziehungskraft zu üben.
Aber freilich alle diese Bekehrungen hatten die Nachgiebigkeit Chambord's zur
Voraussetzung.

Die Verhandlungen mit dem eigensinnigen und dabei doch unentschlossenen
Prätendenten nahmen indessen Anfangs einen den gehegten Hoffnungen wenig
entsprechenden Verlauf. Unterhändler gingen zwischen Frohsdorf hin und
her, aber die Nachrichten, die sie von den Anschauungen und Absichten des
starrköpfigen hohen Herrn mitbrachten, lauteten ziemlich trostlos. Ein entschie¬
denes Nein war nicht gesprochen worden, ebensowenig aber ein unzweideutiges
Ja. Von der Mitte August an bis in den September hinein befand sich
die Angelegenheit in einer Krisis, die selbst die feurigsten Vorkämpfer des
Königthums entmuthigte, und die. wie man allgemein annahm, in einem
Abbruch der Verhandlungen ihren Abschluß finden würde; zu den grundsätz¬
lichen Bedenken, die in Frohsdorf so sehr ins Gewicht sielen, kam noch die
Besorgnis?, daß hinter der Zuvorkommenheit und Unterwürfigkeit der Vettern
von der jüngeren Linie ein Fallstrick verborgen sein möchte. Der „Univers"
klagte die orleanistischen Zeitungen in bitterem Tone an, daß in ihren Augen
die Frohsdorfer Zusammenkunft Nichts sei, als die Abdankung des recht¬
mäßigen Herrschers zu Gunsten der Orleans, nahm aber allerdings die Prinzen
dieses Hauses nachdrücklich gegen den Verdacht in Schutz, als ob sie die Um¬
triebe ihrer Anhänger begünstigten. Nichts desto weniger mußte der Argwohn
gegen die Partei auf die Familie zurückfallen, zumal da es nicht unbemerkt
bleiben konnte, daß der ehrgeizige Herzog von Aumale eine gewisse Zurück¬
haltung den monarchischen Bestrebungen gegenüber zur Schau trug. War
der Argwohn begründet, so befand sich der Frohsdorfer Hof allerdings in
einer peinlichen Lage. Gab er unbedingt nach, so konnte ihm das als eine
Bekehrung zum Orleanismus ausgelegt werden; zeigte er sich aber allen Vor¬
stellungen unzugänglich, so blieb den Anhängern der constttutionellen Monarchie
Nichts übrig, als von Neuem die selbständige orleanistische Candidatur auf¬
zustellen: ein Schritt, der dann seine Rechtfertigung in der thatsächlich er¬
wiesenen Unmöglichkeit, den rechtmäßigen König zurückzuberufen, gefunden
hätte. Man mußte also laviren. Der Graf richtete an einen Freund ein
zur Veröffentlichung gerichtetes Schreiben, in welchem er erklärte, er werde
keine der Pflichten außer Acht lassen, welche ihm seine Stellung und die
Rücksicht auf Frankreich auferlegte. War das ein Absagebrief oder eine Er¬
munterung, die Verhandlungen fortzusetzen? An Zweideutigkeit wetteiferte
mit diesem Orakelwort eine Tischrede Broglie's, in welcher derselbe in Betreff
der vorliegenden politischen Probleme auf die Entschließungen der souveränen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/417>, abgerufen am 29.08.2024.