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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Niemand wagt, gegen den Strom zu schwimmen, etwas Verführerisches, und
reizt zu Paradoxien. Wenn indessen Herr John Lemoinne jetzt unerwartet
für die Wiederherstellung des Königthums in die Schranken trat, allerdings
des modernen constitutionellen freisinnigen Königthums, so war das jedenfalls
mehr, als eine persönliche Laune des geistreichen Publicisten: es war ein
Zeichen, daß das gebildete Bürgerthum, dessen Wortführer das "Journal des
Debats" stets gewesen war, sich an den Gedanken einer Rückkehr des legiti¬
men Herrschers allmählich gewöhnte, daß es anfing, an die Möglichkeit einer
aufrichtigen Bekehrung des Komme prinoips zu glauben. Ob diese Hoffnung
berechtigt war, darauf kommt es uns vorläufig nicht an, auch die Frage
bleibe an dieser Stelle unerörtert, ob das parlamentarische Königthum Frank¬
reich eine längere Zeit der Ruhe und Erholung in Aussicht stellt. Hier handelt
es sich nur darum, festzustellen, daß in den tonangebenden gebildeten Klassen
eine Umstimmung zu Gunsten des Königthums deutlich und Allen unver¬
kennbar sich vorbereitete.

Der Eindruck der Artikel Lemoinne's war groß. Vergebens bemühten
sich die Republikaner, die Bedeutung derselben durch Angriffe gegen den Ver¬
fasser herabzusetzen, sie konnten es sich selbst nicht verhehlen^ daß Lemoinne's
Ansichten im liberalen Bürgerthum Anklang fanden. Die Ansichten im
rohalistischen Lager waren getheilt. Die Gruppe der streng rechtgläubigen
Legitimisten, die völlig unter klerikalen Einflüsse stehend, sich ihren Roy als
den Ritter Georg dachten, der dem Drachen des Liberalismus das Haupt
ab schlagen und die Sätze des Syllabus zur Richtschnur für seine Regierung
nehmen sollte, diese Fanatiker des reinen Königthums sahen nicht ohne Arg¬
wohn das liberale Bürgerthum sich in den heiligen Bund der Königstreuen
drängen. Die große Mehrzahl der Royalisten aber konnte die ersten Zeichen
einer Aussöhnung der Altliberalen mit dem legitimen Königthum nur mit
Freuden willkommen heißen, von andern Gründen abgesehen, schon in Rück¬
sicht auf die entscheidende Abstimmung in der Nationalversammlung. Man
prahlte zwar, daß man das Königthum wieder herstellen werde, wenn auch
nur die Hälfte der Stimmen plus 1 sich für dasselbe erklärte; aber ganz wohl
fühlte man sich bei dem Gedanken an eine so kümmerliche, mit Mühe und
Noth zusammengebrachte Mehrheit denn doch nicht. Auf eine Achtung gebie¬
tende Stimmenzahl konnte man aber nur rechnen, wenn in der schwankenden
Mittelgruppe eine Abstimmung zu Gunsten des Königthums zum Durchbruch
käme. Auf diese Gruppen aber konnte kaum ein anderes Ereigniß einen größeren
Eindruck machen, als die Thatsache, daß in dem "Journal des Debats", das
seinen alten Ruf als Organ der gebildeten Klassen noch immer behauptet
hatte, eine Stimme für Wiederherstellung des Bourbonischen Königthums
sich vernehmen ließ. Wenn das wetterkundige Blatt, allerdings zunächst auch


Niemand wagt, gegen den Strom zu schwimmen, etwas Verführerisches, und
reizt zu Paradoxien. Wenn indessen Herr John Lemoinne jetzt unerwartet
für die Wiederherstellung des Königthums in die Schranken trat, allerdings
des modernen constitutionellen freisinnigen Königthums, so war das jedenfalls
mehr, als eine persönliche Laune des geistreichen Publicisten: es war ein
Zeichen, daß das gebildete Bürgerthum, dessen Wortführer das „Journal des
Debats" stets gewesen war, sich an den Gedanken einer Rückkehr des legiti¬
men Herrschers allmählich gewöhnte, daß es anfing, an die Möglichkeit einer
aufrichtigen Bekehrung des Komme prinoips zu glauben. Ob diese Hoffnung
berechtigt war, darauf kommt es uns vorläufig nicht an, auch die Frage
bleibe an dieser Stelle unerörtert, ob das parlamentarische Königthum Frank¬
reich eine längere Zeit der Ruhe und Erholung in Aussicht stellt. Hier handelt
es sich nur darum, festzustellen, daß in den tonangebenden gebildeten Klassen
eine Umstimmung zu Gunsten des Königthums deutlich und Allen unver¬
kennbar sich vorbereitete.

Der Eindruck der Artikel Lemoinne's war groß. Vergebens bemühten
sich die Republikaner, die Bedeutung derselben durch Angriffe gegen den Ver¬
fasser herabzusetzen, sie konnten es sich selbst nicht verhehlen^ daß Lemoinne's
Ansichten im liberalen Bürgerthum Anklang fanden. Die Ansichten im
rohalistischen Lager waren getheilt. Die Gruppe der streng rechtgläubigen
Legitimisten, die völlig unter klerikalen Einflüsse stehend, sich ihren Roy als
den Ritter Georg dachten, der dem Drachen des Liberalismus das Haupt
ab schlagen und die Sätze des Syllabus zur Richtschnur für seine Regierung
nehmen sollte, diese Fanatiker des reinen Königthums sahen nicht ohne Arg¬
wohn das liberale Bürgerthum sich in den heiligen Bund der Königstreuen
drängen. Die große Mehrzahl der Royalisten aber konnte die ersten Zeichen
einer Aussöhnung der Altliberalen mit dem legitimen Königthum nur mit
Freuden willkommen heißen, von andern Gründen abgesehen, schon in Rück¬
sicht auf die entscheidende Abstimmung in der Nationalversammlung. Man
prahlte zwar, daß man das Königthum wieder herstellen werde, wenn auch
nur die Hälfte der Stimmen plus 1 sich für dasselbe erklärte; aber ganz wohl
fühlte man sich bei dem Gedanken an eine so kümmerliche, mit Mühe und
Noth zusammengebrachte Mehrheit denn doch nicht. Auf eine Achtung gebie¬
tende Stimmenzahl konnte man aber nur rechnen, wenn in der schwankenden
Mittelgruppe eine Abstimmung zu Gunsten des Königthums zum Durchbruch
käme. Auf diese Gruppen aber konnte kaum ein anderes Ereigniß einen größeren
Eindruck machen, als die Thatsache, daß in dem „Journal des Debats", das
seinen alten Ruf als Organ der gebildeten Klassen noch immer behauptet
hatte, eine Stimme für Wiederherstellung des Bourbonischen Königthums
sich vernehmen ließ. Wenn das wetterkundige Blatt, allerdings zunächst auch


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[0416] Niemand wagt, gegen den Strom zu schwimmen, etwas Verführerisches, und reizt zu Paradoxien. Wenn indessen Herr John Lemoinne jetzt unerwartet für die Wiederherstellung des Königthums in die Schranken trat, allerdings des modernen constitutionellen freisinnigen Königthums, so war das jedenfalls mehr, als eine persönliche Laune des geistreichen Publicisten: es war ein Zeichen, daß das gebildete Bürgerthum, dessen Wortführer das „Journal des Debats" stets gewesen war, sich an den Gedanken einer Rückkehr des legiti¬ men Herrschers allmählich gewöhnte, daß es anfing, an die Möglichkeit einer aufrichtigen Bekehrung des Komme prinoips zu glauben. Ob diese Hoffnung berechtigt war, darauf kommt es uns vorläufig nicht an, auch die Frage bleibe an dieser Stelle unerörtert, ob das parlamentarische Königthum Frank¬ reich eine längere Zeit der Ruhe und Erholung in Aussicht stellt. Hier handelt es sich nur darum, festzustellen, daß in den tonangebenden gebildeten Klassen eine Umstimmung zu Gunsten des Königthums deutlich und Allen unver¬ kennbar sich vorbereitete. Der Eindruck der Artikel Lemoinne's war groß. Vergebens bemühten sich die Republikaner, die Bedeutung derselben durch Angriffe gegen den Ver¬ fasser herabzusetzen, sie konnten es sich selbst nicht verhehlen^ daß Lemoinne's Ansichten im liberalen Bürgerthum Anklang fanden. Die Ansichten im rohalistischen Lager waren getheilt. Die Gruppe der streng rechtgläubigen Legitimisten, die völlig unter klerikalen Einflüsse stehend, sich ihren Roy als den Ritter Georg dachten, der dem Drachen des Liberalismus das Haupt ab schlagen und die Sätze des Syllabus zur Richtschnur für seine Regierung nehmen sollte, diese Fanatiker des reinen Königthums sahen nicht ohne Arg¬ wohn das liberale Bürgerthum sich in den heiligen Bund der Königstreuen drängen. Die große Mehrzahl der Royalisten aber konnte die ersten Zeichen einer Aussöhnung der Altliberalen mit dem legitimen Königthum nur mit Freuden willkommen heißen, von andern Gründen abgesehen, schon in Rück¬ sicht auf die entscheidende Abstimmung in der Nationalversammlung. Man prahlte zwar, daß man das Königthum wieder herstellen werde, wenn auch nur die Hälfte der Stimmen plus 1 sich für dasselbe erklärte; aber ganz wohl fühlte man sich bei dem Gedanken an eine so kümmerliche, mit Mühe und Noth zusammengebrachte Mehrheit denn doch nicht. Auf eine Achtung gebie¬ tende Stimmenzahl konnte man aber nur rechnen, wenn in der schwankenden Mittelgruppe eine Abstimmung zu Gunsten des Königthums zum Durchbruch käme. Auf diese Gruppen aber konnte kaum ein anderes Ereigniß einen größeren Eindruck machen, als die Thatsache, daß in dem „Journal des Debats", das seinen alten Ruf als Organ der gebildeten Klassen noch immer behauptet hatte, eine Stimme für Wiederherstellung des Bourbonischen Königthums sich vernehmen ließ. Wenn das wetterkundige Blatt, allerdings zunächst auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/416>, abgerufen am 29.08.2024.