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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Nationalversammlung verwies, die sich von jeder Prätention und jeder per¬
sönlichen Vorliebe fern halten werde. Wenn man mit diesen zweideutigen
Aeußerungen die gewundenen Erklärungen eines realistischen Blattes zu¬
sammenstellt, daß die Einigkeit der Prinzen die einzige feststehende Thatsache,
daß im Uebrigen aber noch kein Beschluß gefaßt sei, und daß die Regierung
sich mit der Sache noch gar nicht befaßt habe, so mußte man den Eindruck
gewinnen, daß von allen Seiten zum Rückzug geblasen werde, und daß vor
Allem der Herzog von Broglie es für zeitgemäß halte, den Kopf aus der
Schlinge zu ziehen, und jede Verantwortlichkeit für ein Unternehmen, das er
doch aufs eifrigste gefördert hatte, abzulehnen. Denn als eine Verleugnung
der Fusionsbestrebungen wurde Broglie's Erklärung allgemein aufgefaßt.
Ein anderer Minister äußerte sich dahin, daß man wenig Hoffnung mehr auf
das Gelingen der Bewegung setze, daß die Fahnenfrage und die constitutionellen
Garantien ein unüberwindliches Hinderniß wären.

Schon tauchte (2. September) die Nachricht auf, die Regierung gehe mit
dem Plan um, Mac Mahon's Vollmacht aus 5 Jahre verlängern zu lassen.
Und daß eine Verlängerung des Marschalls für den Fall des Scheiterns der
Restauration das einzige Rettungsmittel der conservativen Partei war, das
war allerdings schon damals einleuchtend. So verzweifelt lagen die Dinge
indessen doch noch nicht, daß man jetzt schon zu diesem Auskunftsmittel greifen
mußte. Wenn, was sehr wahrscheinlich ist, das erwähnte Gerücht von der
Regierung selbst in Umlauf gesetzt war, so sollte damit vor Allem wohl ein
Druck auf den Grafen Chambord und die äußerste Rechte geübt werden, indem
vor Augen geführt wurde, daß die Conservativen sich noch keineswegs in einer
Zwangslage befanden, die ihm gestattete, ihnen die Bedingungen der Wieder¬
herstellung zu dictiren.

Sehr bedenklich war die Lage der Conservativen indessen in der That,
und die Gefahr, daß ein Abbruch der Verhandlungen den völligen Zerfall
der Majorität und damit den Sieg der Republikaner zur Folge haben würde,
lag nahe genug, um sie zu den äußersten Anstrengungen anzuspornen. Aber
es schien sich Alles gegen die Königsmacher verschworen zu haben. Im
"conservativen" Interesse hatte die Regierung den gewaltigen Aufschwung der
Partei eifrig gefördert. Aus allen Gegenden berichteten die ultramontanen
Blätter von Wundererscheinungen, die fast immer einen stark legitimistischen
und dabei chauvinistischen Charakter zeigten. Ueberall entdeckte man wunder¬
thätige Heiligenbilder, welche die Zielpunkte zahlreicher und von den vornehm¬
sten Damen patronisirter Wallfahrten wurden. Man hoffte von diesen gerade
im Spätsommer besonders schwunghaft betriebenen kirchlichen Manifestationen
nichts Geringeres, als eine Erweckung des royalistischen Bewußtseins in den
unteren Klassen der Bevölkerung, in denen die kaiserliche Legende viel tiefer


Nationalversammlung verwies, die sich von jeder Prätention und jeder per¬
sönlichen Vorliebe fern halten werde. Wenn man mit diesen zweideutigen
Aeußerungen die gewundenen Erklärungen eines realistischen Blattes zu¬
sammenstellt, daß die Einigkeit der Prinzen die einzige feststehende Thatsache,
daß im Uebrigen aber noch kein Beschluß gefaßt sei, und daß die Regierung
sich mit der Sache noch gar nicht befaßt habe, so mußte man den Eindruck
gewinnen, daß von allen Seiten zum Rückzug geblasen werde, und daß vor
Allem der Herzog von Broglie es für zeitgemäß halte, den Kopf aus der
Schlinge zu ziehen, und jede Verantwortlichkeit für ein Unternehmen, das er
doch aufs eifrigste gefördert hatte, abzulehnen. Denn als eine Verleugnung
der Fusionsbestrebungen wurde Broglie's Erklärung allgemein aufgefaßt.
Ein anderer Minister äußerte sich dahin, daß man wenig Hoffnung mehr auf
das Gelingen der Bewegung setze, daß die Fahnenfrage und die constitutionellen
Garantien ein unüberwindliches Hinderniß wären.

Schon tauchte (2. September) die Nachricht auf, die Regierung gehe mit
dem Plan um, Mac Mahon's Vollmacht aus 5 Jahre verlängern zu lassen.
Und daß eine Verlängerung des Marschalls für den Fall des Scheiterns der
Restauration das einzige Rettungsmittel der conservativen Partei war, das
war allerdings schon damals einleuchtend. So verzweifelt lagen die Dinge
indessen doch noch nicht, daß man jetzt schon zu diesem Auskunftsmittel greifen
mußte. Wenn, was sehr wahrscheinlich ist, das erwähnte Gerücht von der
Regierung selbst in Umlauf gesetzt war, so sollte damit vor Allem wohl ein
Druck auf den Grafen Chambord und die äußerste Rechte geübt werden, indem
vor Augen geführt wurde, daß die Conservativen sich noch keineswegs in einer
Zwangslage befanden, die ihm gestattete, ihnen die Bedingungen der Wieder¬
herstellung zu dictiren.

Sehr bedenklich war die Lage der Conservativen indessen in der That,
und die Gefahr, daß ein Abbruch der Verhandlungen den völligen Zerfall
der Majorität und damit den Sieg der Republikaner zur Folge haben würde,
lag nahe genug, um sie zu den äußersten Anstrengungen anzuspornen. Aber
es schien sich Alles gegen die Königsmacher verschworen zu haben. Im
„conservativen" Interesse hatte die Regierung den gewaltigen Aufschwung der
Partei eifrig gefördert. Aus allen Gegenden berichteten die ultramontanen
Blätter von Wundererscheinungen, die fast immer einen stark legitimistischen
und dabei chauvinistischen Charakter zeigten. Ueberall entdeckte man wunder¬
thätige Heiligenbilder, welche die Zielpunkte zahlreicher und von den vornehm¬
sten Damen patronisirter Wallfahrten wurden. Man hoffte von diesen gerade
im Spätsommer besonders schwunghaft betriebenen kirchlichen Manifestationen
nichts Geringeres, als eine Erweckung des royalistischen Bewußtseins in den
unteren Klassen der Bevölkerung, in denen die kaiserliche Legende viel tiefer


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[0418] Nationalversammlung verwies, die sich von jeder Prätention und jeder per¬ sönlichen Vorliebe fern halten werde. Wenn man mit diesen zweideutigen Aeußerungen die gewundenen Erklärungen eines realistischen Blattes zu¬ sammenstellt, daß die Einigkeit der Prinzen die einzige feststehende Thatsache, daß im Uebrigen aber noch kein Beschluß gefaßt sei, und daß die Regierung sich mit der Sache noch gar nicht befaßt habe, so mußte man den Eindruck gewinnen, daß von allen Seiten zum Rückzug geblasen werde, und daß vor Allem der Herzog von Broglie es für zeitgemäß halte, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, und jede Verantwortlichkeit für ein Unternehmen, das er doch aufs eifrigste gefördert hatte, abzulehnen. Denn als eine Verleugnung der Fusionsbestrebungen wurde Broglie's Erklärung allgemein aufgefaßt. Ein anderer Minister äußerte sich dahin, daß man wenig Hoffnung mehr auf das Gelingen der Bewegung setze, daß die Fahnenfrage und die constitutionellen Garantien ein unüberwindliches Hinderniß wären. Schon tauchte (2. September) die Nachricht auf, die Regierung gehe mit dem Plan um, Mac Mahon's Vollmacht aus 5 Jahre verlängern zu lassen. Und daß eine Verlängerung des Marschalls für den Fall des Scheiterns der Restauration das einzige Rettungsmittel der conservativen Partei war, das war allerdings schon damals einleuchtend. So verzweifelt lagen die Dinge indessen doch noch nicht, daß man jetzt schon zu diesem Auskunftsmittel greifen mußte. Wenn, was sehr wahrscheinlich ist, das erwähnte Gerücht von der Regierung selbst in Umlauf gesetzt war, so sollte damit vor Allem wohl ein Druck auf den Grafen Chambord und die äußerste Rechte geübt werden, indem vor Augen geführt wurde, daß die Conservativen sich noch keineswegs in einer Zwangslage befanden, die ihm gestattete, ihnen die Bedingungen der Wieder¬ herstellung zu dictiren. Sehr bedenklich war die Lage der Conservativen indessen in der That, und die Gefahr, daß ein Abbruch der Verhandlungen den völligen Zerfall der Majorität und damit den Sieg der Republikaner zur Folge haben würde, lag nahe genug, um sie zu den äußersten Anstrengungen anzuspornen. Aber es schien sich Alles gegen die Königsmacher verschworen zu haben. Im „conservativen" Interesse hatte die Regierung den gewaltigen Aufschwung der Partei eifrig gefördert. Aus allen Gegenden berichteten die ultramontanen Blätter von Wundererscheinungen, die fast immer einen stark legitimistischen und dabei chauvinistischen Charakter zeigten. Ueberall entdeckte man wunder¬ thätige Heiligenbilder, welche die Zielpunkte zahlreicher und von den vornehm¬ sten Damen patronisirter Wallfahrten wurden. Man hoffte von diesen gerade im Spätsommer besonders schwunghaft betriebenen kirchlichen Manifestationen nichts Geringeres, als eine Erweckung des royalistischen Bewußtseins in den unteren Klassen der Bevölkerung, in denen die kaiserliche Legende viel tiefer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/418>, abgerufen am 25.12.2024.