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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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und zu denen sich auch die von Frohsdorf beeinflußten Zeitungen bekannten,
hatten durch die Beschlüsse des vaticanischen Concils ihre förmliche kirchliche
Bestätigung und Weihe erhalten. Das Haupt der katholischen Kirche war
noch einmal mit dem Anspruch aufgetreten, alle weltliche Obrigkeit sich zu
unterwerfen, und den Staaten die Grundsätze vorzuschreiben, nach denen sie
ihre Angelegenheiten zu ordnen hätten, die Grenzen zu bezeichnen, innerhalb
deren ihre Gesetzgebung sich bewegen dürfe. Alle Grundsätze des neuen
Staatsrechts, wie es sich in allen Culturstaaten entwickelt hatte, waren
förmlich verdammt worden. Gleichzeitig war in der Kirche selbst die bischöf¬
liche Gewalt durch die Erklärung der päpstlichen Unfehlbarkeit völlig dem
Belieben der Curie unterworfen worden; der Papst hatte durch die vatica¬
nischen Beschlüsse sich das Recht zuertheilen lassen, persönlich in bindender
Weise über Glaubenssachen zu entscheiden; was er aber Alles unter Glau¬
benssachen inbegriff, das war eben in dem Syllabus klar zu Tage getreten.

Und zu diesem Staatsideal mit seiner unversöhnlichen Feindschaft gegen
den politischen Geist der Gegenwart, dem die Kirche feierlich ihre Weihe er¬
theilt hatte, dessen Anerkennung sie von allen Gläubigen forderte, hatte sich
der Graf von Chambord ganz offen bekannt! Ja, noch mehr, seine Organe
machten durchaus kein Hehl daraus, daß es die höchste Aufgabe des legiti¬
men Königs von Frankreich sei, den Staat des Syllabus nicht nur in Frank¬
reich einzuführen, sondern die Macht des wiedergewonnenen Frankreichs der
Curie zur Verfügung zu stellen, um alle Länder dem vaticanischen Staatsbe¬
griff zu unterwerfen. Das königliche Frankreich war in der Vorstellung der
reinen Legitimtsten ein Werkzeug der hierarchischen Propaganda, der weltliche
Arm der Kirche, berufen, den Ansprüchen derselben in der ganzen Christen¬
heit zum Triumphe zu helfen, und zum Lohn für diese Dienste selbst den
höchsten Rang unter den Staaten Europas einzunehmen.

So war also die weiße Fahne, sowohl nach der Ansicht der Franzosen,
wie auch im Sinne des Grafen Chambord selbst in der That nicht nur das
Symbol des Erbkönigthums, sondern auch einer Weltanschauung, die mit
den bestehenden Zuständen im schärfsten Gegensatze stand. Welche furchtbaren
Folgen mußte aber der bloße Versuch, die Ergebnisse einer mehr als achtzig¬
jähriger Entwickelung rückgängig zu machen, mit sich führen? Und so lange
der Graf an seinem Banner festhielt, mußte man auch gewärtig sein, daß
er sich mit dem Gedanken trage, diesen Versuch wenigstens innerhalb gewisser
Grenzen zu wagen: hielt er sich doch selbst seiner innersten Ueberzeugung
nach nur für das Werkzeug der Ideen, die fünfzig Jahre lang von den
Wortführern der Klerikalen mit zäher Ausdauer und oft mit blendendem Geist
und bestrickender Sophistik entwickelt, endlich im Syllabus als geheiligte Nor¬
men für das Staatsleben, als bindende Vorschrift für alle weltliche Obrigkeit


und zu denen sich auch die von Frohsdorf beeinflußten Zeitungen bekannten,
hatten durch die Beschlüsse des vaticanischen Concils ihre förmliche kirchliche
Bestätigung und Weihe erhalten. Das Haupt der katholischen Kirche war
noch einmal mit dem Anspruch aufgetreten, alle weltliche Obrigkeit sich zu
unterwerfen, und den Staaten die Grundsätze vorzuschreiben, nach denen sie
ihre Angelegenheiten zu ordnen hätten, die Grenzen zu bezeichnen, innerhalb
deren ihre Gesetzgebung sich bewegen dürfe. Alle Grundsätze des neuen
Staatsrechts, wie es sich in allen Culturstaaten entwickelt hatte, waren
förmlich verdammt worden. Gleichzeitig war in der Kirche selbst die bischöf¬
liche Gewalt durch die Erklärung der päpstlichen Unfehlbarkeit völlig dem
Belieben der Curie unterworfen worden; der Papst hatte durch die vatica¬
nischen Beschlüsse sich das Recht zuertheilen lassen, persönlich in bindender
Weise über Glaubenssachen zu entscheiden; was er aber Alles unter Glau¬
benssachen inbegriff, das war eben in dem Syllabus klar zu Tage getreten.

Und zu diesem Staatsideal mit seiner unversöhnlichen Feindschaft gegen
den politischen Geist der Gegenwart, dem die Kirche feierlich ihre Weihe er¬
theilt hatte, dessen Anerkennung sie von allen Gläubigen forderte, hatte sich
der Graf von Chambord ganz offen bekannt! Ja, noch mehr, seine Organe
machten durchaus kein Hehl daraus, daß es die höchste Aufgabe des legiti¬
men Königs von Frankreich sei, den Staat des Syllabus nicht nur in Frank¬
reich einzuführen, sondern die Macht des wiedergewonnenen Frankreichs der
Curie zur Verfügung zu stellen, um alle Länder dem vaticanischen Staatsbe¬
griff zu unterwerfen. Das königliche Frankreich war in der Vorstellung der
reinen Legitimtsten ein Werkzeug der hierarchischen Propaganda, der weltliche
Arm der Kirche, berufen, den Ansprüchen derselben in der ganzen Christen¬
heit zum Triumphe zu helfen, und zum Lohn für diese Dienste selbst den
höchsten Rang unter den Staaten Europas einzunehmen.

So war also die weiße Fahne, sowohl nach der Ansicht der Franzosen,
wie auch im Sinne des Grafen Chambord selbst in der That nicht nur das
Symbol des Erbkönigthums, sondern auch einer Weltanschauung, die mit
den bestehenden Zuständen im schärfsten Gegensatze stand. Welche furchtbaren
Folgen mußte aber der bloße Versuch, die Ergebnisse einer mehr als achtzig¬
jähriger Entwickelung rückgängig zu machen, mit sich führen? Und so lange
der Graf an seinem Banner festhielt, mußte man auch gewärtig sein, daß
er sich mit dem Gedanken trage, diesen Versuch wenigstens innerhalb gewisser
Grenzen zu wagen: hielt er sich doch selbst seiner innersten Ueberzeugung
nach nur für das Werkzeug der Ideen, die fünfzig Jahre lang von den
Wortführern der Klerikalen mit zäher Ausdauer und oft mit blendendem Geist
und bestrickender Sophistik entwickelt, endlich im Syllabus als geheiligte Nor¬
men für das Staatsleben, als bindende Vorschrift für alle weltliche Obrigkeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/409>, abgerufen am 25.12.2024.