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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Andre Zeiten andre Uänlie.

Es fällt bei uns keinem vernünftigen Menschen ein zu glauben, unsere
Jesuiten und Fransquillons wollen sich je zum Bessern bekehren, und Recht
und Wahrheit für Recht und Wahrheit gelten lassen, so sehr sie sich auch
Mühe geben, dieses an geeigneter Stelle von sich glauben zu machen. Wer
die Ehrenmänner kennt, der weiß, daß sie eben da am gefährlichsten sind, wo
sie am harmlosesten und unschuldigsten scheinen möchten. Bessere Mienen und
Maskenträger gibt's auf der weiten Erde nicht, als diese Leute. Ist eine
Maske verbraucht und abgetragen, flugs greifen sie nach einer andern, und
ehe sich's der gemeine Mann versieht, stehen ganz andere Gestalten vor seinen
Augen auf der politischen Bühne da, und immer in den Masken, welche,
wie sie wissen, den Gimpeln im Zuschauerraume am besten zusagen für den
Augenblick. Heute lassen sie sich, weil das eben in ihren Kram paßt, vom
gemeinen Haufen "Preuß" nennen, während sie unter der Hand für die grim¬
migsten Feinde Deutschlands Ränke schmieden; morgen dagegen schwören sie
in den öffentlichen Blättern Stein und Bein, sogar auf ihr "Ehrenwort", sie
wollen nichts mit dem "Preuß" gemein haben, und "nach Berlin" könne sie
keine Gewalt im Himmel und auf Erden zwingen. Einmal nämlich handelt
es sich darum, Deutschland Sand in die Augen streuen, ein andermal wollen
sie das Stimmvieh im eigenen Lande hinters Licht führen. Immer unter
der passenden Maske. -- Doch Gottlob! Die Zeiten, wo diese politischen
Kissurs in unserm armen, vielbetrogenen Lande Regen und Sonnenschein
machten, sind vorbei. Bei Sadowa und bei Sedan haben auch sie die wohl¬
verdiente Schlappe erhalten. Seitdem sind sie ganz aus dem Concept gekom¬
men. Sie haben sogar in ihrem jähen Schrecken die Masken fallen lassen,
und ehe sie sich wieder besonnen, dieselben aufgehoben und wieder vorgebunden
hatten, war ihr wahres Gesicht dem Zuschauer blosgestellt! --

Doch sofort griffen die schlauen Gestalten zu andern Masken. Nun woll¬
ten sie um keinen Preis mehr "Preußen" und "Vaterlandsverräther" sein
wie gestern. Es lebe die Neutralität! Hoch unsere Nationalität und unsere
Selbständigkeit! -- hieß es nun. Sie wußten, daß auch der "Preuß" ihnen
hinter die Maske gesehen hatte, und sie nun auf den Fingern kannte. Zu
welchem Heiligen sich also wenden? Ihr bester Trost, ihr sicherster Hort von
ehemals, Frankreich, lag elendiglich darnieder und konnte sich selbst nicht
helfen, geschweige denn seinen guten, lieben Freunden im Auslande. Auch
Belgien, mit dessen faulen und ansteckenden Elementen sie von jeher so viel
geliebäugelt hatten, stand da an Händen und Füßen gebunden. Ihre einzige


Andre Zeiten andre Uänlie.

Es fällt bei uns keinem vernünftigen Menschen ein zu glauben, unsere
Jesuiten und Fransquillons wollen sich je zum Bessern bekehren, und Recht
und Wahrheit für Recht und Wahrheit gelten lassen, so sehr sie sich auch
Mühe geben, dieses an geeigneter Stelle von sich glauben zu machen. Wer
die Ehrenmänner kennt, der weiß, daß sie eben da am gefährlichsten sind, wo
sie am harmlosesten und unschuldigsten scheinen möchten. Bessere Mienen und
Maskenträger gibt's auf der weiten Erde nicht, als diese Leute. Ist eine
Maske verbraucht und abgetragen, flugs greifen sie nach einer andern, und
ehe sich's der gemeine Mann versieht, stehen ganz andere Gestalten vor seinen
Augen auf der politischen Bühne da, und immer in den Masken, welche,
wie sie wissen, den Gimpeln im Zuschauerraume am besten zusagen für den
Augenblick. Heute lassen sie sich, weil das eben in ihren Kram paßt, vom
gemeinen Haufen „Preuß" nennen, während sie unter der Hand für die grim¬
migsten Feinde Deutschlands Ränke schmieden; morgen dagegen schwören sie
in den öffentlichen Blättern Stein und Bein, sogar auf ihr „Ehrenwort", sie
wollen nichts mit dem „Preuß" gemein haben, und „nach Berlin" könne sie
keine Gewalt im Himmel und auf Erden zwingen. Einmal nämlich handelt
es sich darum, Deutschland Sand in die Augen streuen, ein andermal wollen
sie das Stimmvieh im eigenen Lande hinters Licht führen. Immer unter
der passenden Maske. — Doch Gottlob! Die Zeiten, wo diese politischen
Kissurs in unserm armen, vielbetrogenen Lande Regen und Sonnenschein
machten, sind vorbei. Bei Sadowa und bei Sedan haben auch sie die wohl¬
verdiente Schlappe erhalten. Seitdem sind sie ganz aus dem Concept gekom¬
men. Sie haben sogar in ihrem jähen Schrecken die Masken fallen lassen,
und ehe sie sich wieder besonnen, dieselben aufgehoben und wieder vorgebunden
hatten, war ihr wahres Gesicht dem Zuschauer blosgestellt! —

Doch sofort griffen die schlauen Gestalten zu andern Masken. Nun woll¬
ten sie um keinen Preis mehr „Preußen" und „Vaterlandsverräther" sein
wie gestern. Es lebe die Neutralität! Hoch unsere Nationalität und unsere
Selbständigkeit! — hieß es nun. Sie wußten, daß auch der „Preuß" ihnen
hinter die Maske gesehen hatte, und sie nun auf den Fingern kannte. Zu
welchem Heiligen sich also wenden? Ihr bester Trost, ihr sicherster Hort von
ehemals, Frankreich, lag elendiglich darnieder und konnte sich selbst nicht
helfen, geschweige denn seinen guten, lieben Freunden im Auslande. Auch
Belgien, mit dessen faulen und ansteckenden Elementen sie von jeher so viel
geliebäugelt hatten, stand da an Händen und Füßen gebunden. Ihre einzige


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[0402] Andre Zeiten andre Uänlie. Es fällt bei uns keinem vernünftigen Menschen ein zu glauben, unsere Jesuiten und Fransquillons wollen sich je zum Bessern bekehren, und Recht und Wahrheit für Recht und Wahrheit gelten lassen, so sehr sie sich auch Mühe geben, dieses an geeigneter Stelle von sich glauben zu machen. Wer die Ehrenmänner kennt, der weiß, daß sie eben da am gefährlichsten sind, wo sie am harmlosesten und unschuldigsten scheinen möchten. Bessere Mienen und Maskenträger gibt's auf der weiten Erde nicht, als diese Leute. Ist eine Maske verbraucht und abgetragen, flugs greifen sie nach einer andern, und ehe sich's der gemeine Mann versieht, stehen ganz andere Gestalten vor seinen Augen auf der politischen Bühne da, und immer in den Masken, welche, wie sie wissen, den Gimpeln im Zuschauerraume am besten zusagen für den Augenblick. Heute lassen sie sich, weil das eben in ihren Kram paßt, vom gemeinen Haufen „Preuß" nennen, während sie unter der Hand für die grim¬ migsten Feinde Deutschlands Ränke schmieden; morgen dagegen schwören sie in den öffentlichen Blättern Stein und Bein, sogar auf ihr „Ehrenwort", sie wollen nichts mit dem „Preuß" gemein haben, und „nach Berlin" könne sie keine Gewalt im Himmel und auf Erden zwingen. Einmal nämlich handelt es sich darum, Deutschland Sand in die Augen streuen, ein andermal wollen sie das Stimmvieh im eigenen Lande hinters Licht führen. Immer unter der passenden Maske. — Doch Gottlob! Die Zeiten, wo diese politischen Kissurs in unserm armen, vielbetrogenen Lande Regen und Sonnenschein machten, sind vorbei. Bei Sadowa und bei Sedan haben auch sie die wohl¬ verdiente Schlappe erhalten. Seitdem sind sie ganz aus dem Concept gekom¬ men. Sie haben sogar in ihrem jähen Schrecken die Masken fallen lassen, und ehe sie sich wieder besonnen, dieselben aufgehoben und wieder vorgebunden hatten, war ihr wahres Gesicht dem Zuschauer blosgestellt! — Doch sofort griffen die schlauen Gestalten zu andern Masken. Nun woll¬ ten sie um keinen Preis mehr „Preußen" und „Vaterlandsverräther" sein wie gestern. Es lebe die Neutralität! Hoch unsere Nationalität und unsere Selbständigkeit! — hieß es nun. Sie wußten, daß auch der „Preuß" ihnen hinter die Maske gesehen hatte, und sie nun auf den Fingern kannte. Zu welchem Heiligen sich also wenden? Ihr bester Trost, ihr sicherster Hort von ehemals, Frankreich, lag elendiglich darnieder und konnte sich selbst nicht helfen, geschweige denn seinen guten, lieben Freunden im Auslande. Auch Belgien, mit dessen faulen und ansteckenden Elementen sie von jeher so viel geliebäugelt hatten, stand da an Händen und Füßen gebunden. Ihre einzige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/402>, abgerufen am 25.12.2024.