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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Frankfurt, von der Stichwahl, sondern von Anfang an war das Programm
unserer volksparteilichen Candidaten ganz identisch mit demjenigen der Social¬
demokratie. Kampf gegen alle jene thatsächlichen Vorzüge, welche Bildung
und Vermögen in jedem civilisirten Staat nothwendig einräumen. Hündische
Schmeichelei gegenüber den niedrigsten Leidenschaften der Hefe der Bevölkerung,
Herabwürdigung alles Hohen und Ehrwürdigen war diesmal die Losung der
Volkspartei, welche auch in dem "Beobachter" (einem seit der Redaction des
Herrn Franz .Laver v. Hassenkamp immer tiefer finkenden Blatt, das wie wir
hören, dem Eingehen nahe ist, wenn es nicht noch rechtzeitig von der Cen-
trumsfraetion auf den Beinen erhalten wird) natürlich energische Unterstützung
fand. Socialdemokraten und Volkspartei standen dieserhalb auch in sämmt¬
lichen Wahlkreisen Schwabens wie ein Mann zusammen. Der dritte im
Bund aber waren die Ultramontanen. Und zwar bestand ein von der Ger¬
mania selbst öffentlich proclamirtes Uebereinkommen, nach welchem, wo ein
ultramontaner Candidat auftrat, jene beiden Parteien unbedingt für letzteren
und umgekehrt die Katholiken für die socialdemokratischen und volkspartei¬
lichen Candidaten zu stimmen sich verpflichteten. So stimmten denn z. B.
im Eßlinger Bezirk die katholischen Orte einstimmig für den Socialdemo¬
kraten Demmler in Schwerin, in Gmünd die vermögliche Bevölkerung der
katholischen Landorte für den socialdemokratischen Arbeiter Burckardt, während
in der Bischofsstadt Rottenburg, in Tübingen und Neutlingen (im VI. Wahlkreis,
woselbst der Kampf am heftigsten war) der ganze Katholicismus für den Kan¬
didaten der Volkspartei eintrat, einen kaum der Universität entwachsenen Anwalt,
der sich die besonders ehrenhafte Aufgabe gestellt hatte, die angesehensten Männer
der deutschen Nation in der niedrigsten Weise in den Koth zu ziehen, und
dem Capital der Bildung offen den Krieg zu erklären. Hatte nun auch das
württembergische Ministerium (von persönlicher Ranküne einzelner Minister und
ihrer Untergebenen natürlich abgesehen!) sich officiell dem Wahlkampf gegen¬
über passiv verhalten, so ist doch das neueste Verhalten der ultramontanen
Partei in unserem Land ganz besonders geeignet, die bisherige Politik der
württembergischen Regierung in der Kirchenfrage zu charakterisiren, und das¬
jenige zu bestätigen, was die Grenzboten in den letzten Jahren über diese
Politik bei verschiedenen Gelegenheiten berichtet haben.

Man hatte bis in die letzten Wochen der katholischen Partei von Seiten
der Regierung geschmeichelt, in der sonderbaren Meinung, dadurch den Kampf,
der seit dem Augenblicke, wo das Reich den Krieg zu Gunsten des Papstes
abgelehnt hatte, im übrigen Deutschland ausgebrochen war, von den schwarz¬
rothen Gränzpfählen abhalten zu können. Was hatte man nicht alles gethan!
Zweimal in kurzer Aufeinanderfolge wurden die Gehalte sämmtlicher katho¬
lischen Geistlichen von Staatswegen bedeutend erhöht, obgleich diesen Cüliba-


Frankfurt, von der Stichwahl, sondern von Anfang an war das Programm
unserer volksparteilichen Candidaten ganz identisch mit demjenigen der Social¬
demokratie. Kampf gegen alle jene thatsächlichen Vorzüge, welche Bildung
und Vermögen in jedem civilisirten Staat nothwendig einräumen. Hündische
Schmeichelei gegenüber den niedrigsten Leidenschaften der Hefe der Bevölkerung,
Herabwürdigung alles Hohen und Ehrwürdigen war diesmal die Losung der
Volkspartei, welche auch in dem „Beobachter" (einem seit der Redaction des
Herrn Franz .Laver v. Hassenkamp immer tiefer finkenden Blatt, das wie wir
hören, dem Eingehen nahe ist, wenn es nicht noch rechtzeitig von der Cen-
trumsfraetion auf den Beinen erhalten wird) natürlich energische Unterstützung
fand. Socialdemokraten und Volkspartei standen dieserhalb auch in sämmt¬
lichen Wahlkreisen Schwabens wie ein Mann zusammen. Der dritte im
Bund aber waren die Ultramontanen. Und zwar bestand ein von der Ger¬
mania selbst öffentlich proclamirtes Uebereinkommen, nach welchem, wo ein
ultramontaner Candidat auftrat, jene beiden Parteien unbedingt für letzteren
und umgekehrt die Katholiken für die socialdemokratischen und volkspartei¬
lichen Candidaten zu stimmen sich verpflichteten. So stimmten denn z. B.
im Eßlinger Bezirk die katholischen Orte einstimmig für den Socialdemo¬
kraten Demmler in Schwerin, in Gmünd die vermögliche Bevölkerung der
katholischen Landorte für den socialdemokratischen Arbeiter Burckardt, während
in der Bischofsstadt Rottenburg, in Tübingen und Neutlingen (im VI. Wahlkreis,
woselbst der Kampf am heftigsten war) der ganze Katholicismus für den Kan¬
didaten der Volkspartei eintrat, einen kaum der Universität entwachsenen Anwalt,
der sich die besonders ehrenhafte Aufgabe gestellt hatte, die angesehensten Männer
der deutschen Nation in der niedrigsten Weise in den Koth zu ziehen, und
dem Capital der Bildung offen den Krieg zu erklären. Hatte nun auch das
württembergische Ministerium (von persönlicher Ranküne einzelner Minister und
ihrer Untergebenen natürlich abgesehen!) sich officiell dem Wahlkampf gegen¬
über passiv verhalten, so ist doch das neueste Verhalten der ultramontanen
Partei in unserem Land ganz besonders geeignet, die bisherige Politik der
württembergischen Regierung in der Kirchenfrage zu charakterisiren, und das¬
jenige zu bestätigen, was die Grenzboten in den letzten Jahren über diese
Politik bei verschiedenen Gelegenheiten berichtet haben.

Man hatte bis in die letzten Wochen der katholischen Partei von Seiten
der Regierung geschmeichelt, in der sonderbaren Meinung, dadurch den Kampf,
der seit dem Augenblicke, wo das Reich den Krieg zu Gunsten des Papstes
abgelehnt hatte, im übrigen Deutschland ausgebrochen war, von den schwarz¬
rothen Gränzpfählen abhalten zu können. Was hatte man nicht alles gethan!
Zweimal in kurzer Aufeinanderfolge wurden die Gehalte sämmtlicher katho¬
lischen Geistlichen von Staatswegen bedeutend erhöht, obgleich diesen Cüliba-


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[0270] Frankfurt, von der Stichwahl, sondern von Anfang an war das Programm unserer volksparteilichen Candidaten ganz identisch mit demjenigen der Social¬ demokratie. Kampf gegen alle jene thatsächlichen Vorzüge, welche Bildung und Vermögen in jedem civilisirten Staat nothwendig einräumen. Hündische Schmeichelei gegenüber den niedrigsten Leidenschaften der Hefe der Bevölkerung, Herabwürdigung alles Hohen und Ehrwürdigen war diesmal die Losung der Volkspartei, welche auch in dem „Beobachter" (einem seit der Redaction des Herrn Franz .Laver v. Hassenkamp immer tiefer finkenden Blatt, das wie wir hören, dem Eingehen nahe ist, wenn es nicht noch rechtzeitig von der Cen- trumsfraetion auf den Beinen erhalten wird) natürlich energische Unterstützung fand. Socialdemokraten und Volkspartei standen dieserhalb auch in sämmt¬ lichen Wahlkreisen Schwabens wie ein Mann zusammen. Der dritte im Bund aber waren die Ultramontanen. Und zwar bestand ein von der Ger¬ mania selbst öffentlich proclamirtes Uebereinkommen, nach welchem, wo ein ultramontaner Candidat auftrat, jene beiden Parteien unbedingt für letzteren und umgekehrt die Katholiken für die socialdemokratischen und volkspartei¬ lichen Candidaten zu stimmen sich verpflichteten. So stimmten denn z. B. im Eßlinger Bezirk die katholischen Orte einstimmig für den Socialdemo¬ kraten Demmler in Schwerin, in Gmünd die vermögliche Bevölkerung der katholischen Landorte für den socialdemokratischen Arbeiter Burckardt, während in der Bischofsstadt Rottenburg, in Tübingen und Neutlingen (im VI. Wahlkreis, woselbst der Kampf am heftigsten war) der ganze Katholicismus für den Kan¬ didaten der Volkspartei eintrat, einen kaum der Universität entwachsenen Anwalt, der sich die besonders ehrenhafte Aufgabe gestellt hatte, die angesehensten Männer der deutschen Nation in der niedrigsten Weise in den Koth zu ziehen, und dem Capital der Bildung offen den Krieg zu erklären. Hatte nun auch das württembergische Ministerium (von persönlicher Ranküne einzelner Minister und ihrer Untergebenen natürlich abgesehen!) sich officiell dem Wahlkampf gegen¬ über passiv verhalten, so ist doch das neueste Verhalten der ultramontanen Partei in unserem Land ganz besonders geeignet, die bisherige Politik der württembergischen Regierung in der Kirchenfrage zu charakterisiren, und das¬ jenige zu bestätigen, was die Grenzboten in den letzten Jahren über diese Politik bei verschiedenen Gelegenheiten berichtet haben. Man hatte bis in die letzten Wochen der katholischen Partei von Seiten der Regierung geschmeichelt, in der sonderbaren Meinung, dadurch den Kampf, der seit dem Augenblicke, wo das Reich den Krieg zu Gunsten des Papstes abgelehnt hatte, im übrigen Deutschland ausgebrochen war, von den schwarz¬ rothen Gränzpfählen abhalten zu können. Was hatte man nicht alles gethan! Zweimal in kurzer Aufeinanderfolge wurden die Gehalte sämmtlicher katho¬ lischen Geistlichen von Staatswegen bedeutend erhöht, obgleich diesen Cüliba-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/270>, abgerufen am 25.12.2024.