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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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nationalen Partei an, welche in Württemberg auch diesesmal, wie immer seit
1866, ohne Unterscheidung zwischen den innern Parteigegensätzen -- als
"deutsche" oder "nationale" Partei vereint an der Wahlurne erschienen ist,
so daß, da auch die reichsfeindlichen Gegner unter einer Fahne zusammen¬
standen, nirgends eine Stichwahl nothwendig wurde.

So günstig nun auch an sich dieses Resultat erscheint, so bedenklich
standen doch, wie schon die Gesammtzahl der abgegebenen Stimmen beweist,
in verschiedenen Wahlkreisen die Chancen der nationalen Sache, und es ist
aller Grund vorhanden, um die nationale Mehrheit aus ihrer bisherigen
Energielosigkeit, welche namentlich in dem Mangel jedes Parteiorgans
zu Tage tritt, aufzurütteln.

Eine Hauptgefahr lag auch diesesmal wieder in der Eintheilung der
Wahlbezirke, welche wir dem von uns -- so lange er noch lebte -- genügend
characterifirten Minister von Scheurlcn verdanken. Während in Württemberg
die Katholischen nur der Bevölkerung ausmachen, und nur in 2 Wahlbe¬
zirken in compakten Massen zusammen wohnen, im Uebrigen aber in größe¬
ren oder kleineren Gruppen durch die protestantische Mehrheit zerstreut sind,
so daß bei einer natürlichen Eintheilung der Wahlbezirke die katholische Be¬
völkerung nach Abzug jener beiden Wahlkreise nirgends die Ziffer von
20--30"/g überschreiten würde, hatte v. Scheurlen im Jahre 1870, den Ein¬
gebungen der Ultramontanen folgend, mit vielem Raffinement noch 3 weitere
Bezirke so gruppirt, daß daselbst die Katholiken den Protestanten in dem
Durchschnittsverhältniß von ca. 60--90°/<> gegenüber stehen. Hierdurch allein
wurde der Sieg eines weiteren Centrumscandidaten (Bayrhauer) im XIII.
Wahlkreise ermöglicht, während in zwei wetteren Bezirken für diesmal der
Sieg der Ultramontanen nur durch eine glückliche Constellation in der Per¬
sonenfrage beseitigt werden konnte. Betrachten wir nun die Stellung der
einzelnen Parteien zum Wahlkampf näher, so ist zunächst zu constatiren, daß
die sogen. Großdeutsche Partei -- soweit sie nicht mit der ultramonta¬
nen und der Volkspartet identisch ist -- auf jede Kandidatur verzichtete, und
sich darauf beschränkte, ihre Stimme den klerikalen oder volksparteilichen Can-
didaten zuzuwenden: eine Resignation, welche sich bei den theilweise in der
parlamentarischen Laufbahn ergrauten Männern jener Partei zur Genüge
durch die politische Situation und die Parteiverhältnisse im Reichstag er-
klären dürfte. Auch bei der Volkspartei zogen sich die erfahrenen Politiker
von der Arena zurück und überließen den Kampfplatz einer jugendlichen
Garde, welche Herr Sonnemann, wenn auch ohne Erfolg für seine Dienste
engagirt und von Frankfurt aus mit Programmen, Flugblättern und andern
Geistesproducten reich ausstaffirt hatte. Dem entsprach denn auch die ganze
Agitation dieses jüngsten volksparteilichen Nachwuchses. Nicht erst, wie in


nationalen Partei an, welche in Württemberg auch diesesmal, wie immer seit
1866, ohne Unterscheidung zwischen den innern Parteigegensätzen — als
„deutsche" oder „nationale" Partei vereint an der Wahlurne erschienen ist,
so daß, da auch die reichsfeindlichen Gegner unter einer Fahne zusammen¬
standen, nirgends eine Stichwahl nothwendig wurde.

So günstig nun auch an sich dieses Resultat erscheint, so bedenklich
standen doch, wie schon die Gesammtzahl der abgegebenen Stimmen beweist,
in verschiedenen Wahlkreisen die Chancen der nationalen Sache, und es ist
aller Grund vorhanden, um die nationale Mehrheit aus ihrer bisherigen
Energielosigkeit, welche namentlich in dem Mangel jedes Parteiorgans
zu Tage tritt, aufzurütteln.

Eine Hauptgefahr lag auch diesesmal wieder in der Eintheilung der
Wahlbezirke, welche wir dem von uns — so lange er noch lebte — genügend
characterifirten Minister von Scheurlcn verdanken. Während in Württemberg
die Katholischen nur der Bevölkerung ausmachen, und nur in 2 Wahlbe¬
zirken in compakten Massen zusammen wohnen, im Uebrigen aber in größe¬
ren oder kleineren Gruppen durch die protestantische Mehrheit zerstreut sind,
so daß bei einer natürlichen Eintheilung der Wahlbezirke die katholische Be¬
völkerung nach Abzug jener beiden Wahlkreise nirgends die Ziffer von
20—30"/g überschreiten würde, hatte v. Scheurlen im Jahre 1870, den Ein¬
gebungen der Ultramontanen folgend, mit vielem Raffinement noch 3 weitere
Bezirke so gruppirt, daß daselbst die Katholiken den Protestanten in dem
Durchschnittsverhältniß von ca. 60—90°/<> gegenüber stehen. Hierdurch allein
wurde der Sieg eines weiteren Centrumscandidaten (Bayrhauer) im XIII.
Wahlkreise ermöglicht, während in zwei wetteren Bezirken für diesmal der
Sieg der Ultramontanen nur durch eine glückliche Constellation in der Per¬
sonenfrage beseitigt werden konnte. Betrachten wir nun die Stellung der
einzelnen Parteien zum Wahlkampf näher, so ist zunächst zu constatiren, daß
die sogen. Großdeutsche Partei — soweit sie nicht mit der ultramonta¬
nen und der Volkspartet identisch ist — auf jede Kandidatur verzichtete, und
sich darauf beschränkte, ihre Stimme den klerikalen oder volksparteilichen Can-
didaten zuzuwenden: eine Resignation, welche sich bei den theilweise in der
parlamentarischen Laufbahn ergrauten Männern jener Partei zur Genüge
durch die politische Situation und die Parteiverhältnisse im Reichstag er-
klären dürfte. Auch bei der Volkspartei zogen sich die erfahrenen Politiker
von der Arena zurück und überließen den Kampfplatz einer jugendlichen
Garde, welche Herr Sonnemann, wenn auch ohne Erfolg für seine Dienste
engagirt und von Frankfurt aus mit Programmen, Flugblättern und andern
Geistesproducten reich ausstaffirt hatte. Dem entsprach denn auch die ganze
Agitation dieses jüngsten volksparteilichen Nachwuchses. Nicht erst, wie in


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[0269] nationalen Partei an, welche in Württemberg auch diesesmal, wie immer seit 1866, ohne Unterscheidung zwischen den innern Parteigegensätzen — als „deutsche" oder „nationale" Partei vereint an der Wahlurne erschienen ist, so daß, da auch die reichsfeindlichen Gegner unter einer Fahne zusammen¬ standen, nirgends eine Stichwahl nothwendig wurde. So günstig nun auch an sich dieses Resultat erscheint, so bedenklich standen doch, wie schon die Gesammtzahl der abgegebenen Stimmen beweist, in verschiedenen Wahlkreisen die Chancen der nationalen Sache, und es ist aller Grund vorhanden, um die nationale Mehrheit aus ihrer bisherigen Energielosigkeit, welche namentlich in dem Mangel jedes Parteiorgans zu Tage tritt, aufzurütteln. Eine Hauptgefahr lag auch diesesmal wieder in der Eintheilung der Wahlbezirke, welche wir dem von uns — so lange er noch lebte — genügend characterifirten Minister von Scheurlcn verdanken. Während in Württemberg die Katholischen nur der Bevölkerung ausmachen, und nur in 2 Wahlbe¬ zirken in compakten Massen zusammen wohnen, im Uebrigen aber in größe¬ ren oder kleineren Gruppen durch die protestantische Mehrheit zerstreut sind, so daß bei einer natürlichen Eintheilung der Wahlbezirke die katholische Be¬ völkerung nach Abzug jener beiden Wahlkreise nirgends die Ziffer von 20—30"/g überschreiten würde, hatte v. Scheurlen im Jahre 1870, den Ein¬ gebungen der Ultramontanen folgend, mit vielem Raffinement noch 3 weitere Bezirke so gruppirt, daß daselbst die Katholiken den Protestanten in dem Durchschnittsverhältniß von ca. 60—90°/<> gegenüber stehen. Hierdurch allein wurde der Sieg eines weiteren Centrumscandidaten (Bayrhauer) im XIII. Wahlkreise ermöglicht, während in zwei wetteren Bezirken für diesmal der Sieg der Ultramontanen nur durch eine glückliche Constellation in der Per¬ sonenfrage beseitigt werden konnte. Betrachten wir nun die Stellung der einzelnen Parteien zum Wahlkampf näher, so ist zunächst zu constatiren, daß die sogen. Großdeutsche Partei — soweit sie nicht mit der ultramonta¬ nen und der Volkspartet identisch ist — auf jede Kandidatur verzichtete, und sich darauf beschränkte, ihre Stimme den klerikalen oder volksparteilichen Can- didaten zuzuwenden: eine Resignation, welche sich bei den theilweise in der parlamentarischen Laufbahn ergrauten Männern jener Partei zur Genüge durch die politische Situation und die Parteiverhältnisse im Reichstag er- klären dürfte. Auch bei der Volkspartei zogen sich die erfahrenen Politiker von der Arena zurück und überließen den Kampfplatz einer jugendlichen Garde, welche Herr Sonnemann, wenn auch ohne Erfolg für seine Dienste engagirt und von Frankfurt aus mit Programmen, Flugblättern und andern Geistesproducten reich ausstaffirt hatte. Dem entsprach denn auch die ganze Agitation dieses jüngsten volksparteilichen Nachwuchses. Nicht erst, wie in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/269>, abgerufen am 26.06.2024.