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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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an und für sich schon die Möglichkeit ganz anders gearteter und viel reicherer
Evolutionen als das Eine tiefe Treffen der Phalanx. -- Und damit ist die
Vielseitigkeit der Legion noch nicht einmal erschöpft. In die drei Treffen ist
die Mannschaft vielmehr nach Dienstalter und Kriegstüchtigkeit eingetheilt
und verschiedenartig bewaffnet, so daß ein Ineinandergreifen verschiedener Ele¬
mente und eine Steigerung statthat. Auf diese Weise ergab sich eine ganz
neue taktische Grundgestalt, die so sehr dem römischen Wesen entsprach, daß
Begetius meinte, die Legion scheine von einem Gott erfunden zu sein. --
Die Phalanx entbehrt noch der organischen Gliederung; sie ist ein einaktiges
Schauspiel, ganz wie der schöne griechische Tempel;^) die Legion bietet da¬
gegen drei Akte in dramatischer Steigerung dar, ja wenn wir die jugendlichen
Kampfgenossen in Anschlag bringen, welche leichtbewaffnet als Veliten vor
ihr herschwärmten, so fehlt auch das Vorspiel nicht. Vor Allem jedoch unter¬
scheidet die Legion sich von der Phalanx dadurch, daß der Zusammenhalt
ihrer einzelnen Theile durch ein höheres statisches Gesetz bedingt wird als
durch das einfache Nebeneinandertreten und Miteinanderaushalten wie es im
Bau der Phalanx und dem des griechischen Steinbalken-Hauses herrscht.

Und zwar äußert sich jenes höhere Gesetz in der selbständigen Gestaltung
aller einzelnen Theile bei ihrer durchgängigen Beziehung auf ein und den¬
selben Schwer- und Mittelpunkt, und durch diese eonstructionelle Neu¬
erfindung, durch dies Ineinandergreifen der taktischen Theile stellt sich die
Anordnung der Legion unmittelbar in Parallele zu der wichtigsten und frucht¬
barsten Erfindung, welche die Baukunst den Römern verdankt: nämlich zum
Gewölbebau! Wie dieser für die Architektur, so wird die Legion für die
Kriegskunst ein neues unentbehrliches Grundelement. Gewölbebau und Le¬
gionsstellung bieten eine den Griechen unbekannte Mannigfaltigkeit, gewähren
eine unberechenbare Fülle neuer Motive und gestatten die Entfaltung einer
überaus großartigen Raum- und Massenentwicklung', wie sie weder Phalanx
noch Steinbalken-Bau ermöglichten, wie sie jedoch für die weltgeschichtlichen
Aufgaben des Römerthums unerläßlich war. -- Mit Phalanx und Legion
hatte sich die Kriegskunst ihre großen für immer giltigen Grundformen ge¬
schlossener Kampfart ein für allemal geschaffen, geradeso wie die Baukunst
im Architravbau und im Gewölbebau.

Wenn man die Werke der sinkenden Kunst des Alterthums betrachtet,
so fällt es auf, wie der Mangel an Ideen, an Klarheit der Anordnung, an
Haltung und Kraft, ersetzt werden soll durch Ueberladung, durch Schnörkel
und Schwall -- kurz durch Barbarismen. -- Ganz dasselbe Schauspiel ge-
währen auch Heerwesen und Taktik jener Zeit. Prokop von Cäsarea z. B.,



') Vergl. Lcmcke: Aesthetik. Leipzig, 1865.
Ävenzbotm I. 1S74,

an und für sich schon die Möglichkeit ganz anders gearteter und viel reicherer
Evolutionen als das Eine tiefe Treffen der Phalanx. — Und damit ist die
Vielseitigkeit der Legion noch nicht einmal erschöpft. In die drei Treffen ist
die Mannschaft vielmehr nach Dienstalter und Kriegstüchtigkeit eingetheilt
und verschiedenartig bewaffnet, so daß ein Ineinandergreifen verschiedener Ele¬
mente und eine Steigerung statthat. Auf diese Weise ergab sich eine ganz
neue taktische Grundgestalt, die so sehr dem römischen Wesen entsprach, daß
Begetius meinte, die Legion scheine von einem Gott erfunden zu sein. —
Die Phalanx entbehrt noch der organischen Gliederung; sie ist ein einaktiges
Schauspiel, ganz wie der schöne griechische Tempel;^) die Legion bietet da¬
gegen drei Akte in dramatischer Steigerung dar, ja wenn wir die jugendlichen
Kampfgenossen in Anschlag bringen, welche leichtbewaffnet als Veliten vor
ihr herschwärmten, so fehlt auch das Vorspiel nicht. Vor Allem jedoch unter¬
scheidet die Legion sich von der Phalanx dadurch, daß der Zusammenhalt
ihrer einzelnen Theile durch ein höheres statisches Gesetz bedingt wird als
durch das einfache Nebeneinandertreten und Miteinanderaushalten wie es im
Bau der Phalanx und dem des griechischen Steinbalken-Hauses herrscht.

Und zwar äußert sich jenes höhere Gesetz in der selbständigen Gestaltung
aller einzelnen Theile bei ihrer durchgängigen Beziehung auf ein und den¬
selben Schwer- und Mittelpunkt, und durch diese eonstructionelle Neu¬
erfindung, durch dies Ineinandergreifen der taktischen Theile stellt sich die
Anordnung der Legion unmittelbar in Parallele zu der wichtigsten und frucht¬
barsten Erfindung, welche die Baukunst den Römern verdankt: nämlich zum
Gewölbebau! Wie dieser für die Architektur, so wird die Legion für die
Kriegskunst ein neues unentbehrliches Grundelement. Gewölbebau und Le¬
gionsstellung bieten eine den Griechen unbekannte Mannigfaltigkeit, gewähren
eine unberechenbare Fülle neuer Motive und gestatten die Entfaltung einer
überaus großartigen Raum- und Massenentwicklung', wie sie weder Phalanx
noch Steinbalken-Bau ermöglichten, wie sie jedoch für die weltgeschichtlichen
Aufgaben des Römerthums unerläßlich war. — Mit Phalanx und Legion
hatte sich die Kriegskunst ihre großen für immer giltigen Grundformen ge¬
schlossener Kampfart ein für allemal geschaffen, geradeso wie die Baukunst
im Architravbau und im Gewölbebau.

Wenn man die Werke der sinkenden Kunst des Alterthums betrachtet,
so fällt es auf, wie der Mangel an Ideen, an Klarheit der Anordnung, an
Haltung und Kraft, ersetzt werden soll durch Ueberladung, durch Schnörkel
und Schwall — kurz durch Barbarismen. — Ganz dasselbe Schauspiel ge-
währen auch Heerwesen und Taktik jener Zeit. Prokop von Cäsarea z. B.,



') Vergl. Lcmcke: Aesthetik. Leipzig, 1865.
Ävenzbotm I. 1S74,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/255>, abgerufen am 26.12.2024.