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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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der in seinen pomphaften Kriegsberichten zeigt*), wie groß er in der Kunst
war, aus Nichts Etwas zu machen, der legt doch zugleich die ganze innere
Faulheit des byzantinischen Kriegswesens dar und lehrt, daß das Asiatcn-
thum in den Heeren des sinkenden Ostroms herrscht. Dies orientalische
Wesen aber erscheint in den alten uns wohlbekannten Formen: im Leben als
banales Ceremonie! und geistloser Luxus, in den schönen Künsten als launen¬
hafte Pracht, in der Kriegskunst als unverhältnißmäßige Vermehrung der
Reiterei, als Überhandnehmen der Fernwaffen an Stelle der blanken Waffen
und als vordringliches Auftreten der Kriegsmaschinen, der Katapulten und
Ballisten und des griechischen Feuers, um durch diese artilleristischen Surrogate
Tapferkeit und echte Kunst zu ersetzen.

Ganz anders geartet als dies überreife morgenländische Barbarenthum
ist jene gesunde Frische und Rohheit, die in Folge der Völkerwanderung das
lateinische Abendland durchsetzte. Die Kriegsverfassung, welche sich unter dem
Einfluß der germanischen Eroberer herausbildete, das Vasallenheer, das
Feudalsystem, ist eine der wunderbarsten Erscheinungen der Weltgeschichte
schon dadurch, daß sie die fast alleinige Grundlage der Staatsverfassung
war, und wer sich der stylistischen Eigenthümlichkeit dieser Volks- und kriegs¬
historischen Gestaltung mit Einem Blicke deutlich bewußt werden will, der
fasse das höchste Ergebniß der schönen Kunst des Mittelalters ins Auge:
den gothischen Dom. -- Wie dieser statt der Mauer, die doch bisher
als unerläßliche Grundbedingung jedes Baues galt, vereinzelte Pfeilerbündel
anordnet, wie er die alte feste Balken- oder Gewölbedecke auflöst in ein Netz
von Rippen und Gurten, die gleich den Pfeilern nur durch leichte Füllung
miteinander verbunden sind, gradeso verneint auch der mittelalterliche Feu¬
dalismus die uralte Einheitsgestalt des Staats- und Heeresbaues und zerlegt
ihn in eine Unzahl freier selbständiger Einzelglieder. Und wie die Gothik
den Horizontalismus, das alte Urprinzip der Architektur, verleugnet und
durch den Vertikaltsmus zu ersetzen strebt**), so entwickelt sich auch der Bau
des Feudalismus von der breiten Basis der letzten Hörigen und Hintersassen
aus mit unerhörter Consequenz nach oben, um endlich in der Königskrone
zu gipfeln. Aber die mathematische Consequenz der Construction geht in der
gothischen Kunst wie im Feudalstaat und im Vasallenheere mit phantastischer
Willkür in den Einzelheiten auf das Sonderbarste Hand in Hand. Jede
dieser schlanken Fialen, die zu Hunderten die Strebepfeiler schmücken, ist eine
Individualität für sich und zugleich nach genau demselben Gesetze construirt




') Geschichte des vandalischcn, persischen und gothischen Krieges. (Vergl. die Gesammt-
ausgabe von Dindorf. Bonn 1833--38.)
") Vergl. "übte: Geschichte der Architektur. Lpzg. Is7V.

der in seinen pomphaften Kriegsberichten zeigt*), wie groß er in der Kunst
war, aus Nichts Etwas zu machen, der legt doch zugleich die ganze innere
Faulheit des byzantinischen Kriegswesens dar und lehrt, daß das Asiatcn-
thum in den Heeren des sinkenden Ostroms herrscht. Dies orientalische
Wesen aber erscheint in den alten uns wohlbekannten Formen: im Leben als
banales Ceremonie! und geistloser Luxus, in den schönen Künsten als launen¬
hafte Pracht, in der Kriegskunst als unverhältnißmäßige Vermehrung der
Reiterei, als Überhandnehmen der Fernwaffen an Stelle der blanken Waffen
und als vordringliches Auftreten der Kriegsmaschinen, der Katapulten und
Ballisten und des griechischen Feuers, um durch diese artilleristischen Surrogate
Tapferkeit und echte Kunst zu ersetzen.

Ganz anders geartet als dies überreife morgenländische Barbarenthum
ist jene gesunde Frische und Rohheit, die in Folge der Völkerwanderung das
lateinische Abendland durchsetzte. Die Kriegsverfassung, welche sich unter dem
Einfluß der germanischen Eroberer herausbildete, das Vasallenheer, das
Feudalsystem, ist eine der wunderbarsten Erscheinungen der Weltgeschichte
schon dadurch, daß sie die fast alleinige Grundlage der Staatsverfassung
war, und wer sich der stylistischen Eigenthümlichkeit dieser Volks- und kriegs¬
historischen Gestaltung mit Einem Blicke deutlich bewußt werden will, der
fasse das höchste Ergebniß der schönen Kunst des Mittelalters ins Auge:
den gothischen Dom. — Wie dieser statt der Mauer, die doch bisher
als unerläßliche Grundbedingung jedes Baues galt, vereinzelte Pfeilerbündel
anordnet, wie er die alte feste Balken- oder Gewölbedecke auflöst in ein Netz
von Rippen und Gurten, die gleich den Pfeilern nur durch leichte Füllung
miteinander verbunden sind, gradeso verneint auch der mittelalterliche Feu¬
dalismus die uralte Einheitsgestalt des Staats- und Heeresbaues und zerlegt
ihn in eine Unzahl freier selbständiger Einzelglieder. Und wie die Gothik
den Horizontalismus, das alte Urprinzip der Architektur, verleugnet und
durch den Vertikaltsmus zu ersetzen strebt**), so entwickelt sich auch der Bau
des Feudalismus von der breiten Basis der letzten Hörigen und Hintersassen
aus mit unerhörter Consequenz nach oben, um endlich in der Königskrone
zu gipfeln. Aber die mathematische Consequenz der Construction geht in der
gothischen Kunst wie im Feudalstaat und im Vasallenheere mit phantastischer
Willkür in den Einzelheiten auf das Sonderbarste Hand in Hand. Jede
dieser schlanken Fialen, die zu Hunderten die Strebepfeiler schmücken, ist eine
Individualität für sich und zugleich nach genau demselben Gesetze construirt




') Geschichte des vandalischcn, persischen und gothischen Krieges. (Vergl. die Gesammt-
ausgabe von Dindorf. Bonn 1833—38.)
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[0256] der in seinen pomphaften Kriegsberichten zeigt*), wie groß er in der Kunst war, aus Nichts Etwas zu machen, der legt doch zugleich die ganze innere Faulheit des byzantinischen Kriegswesens dar und lehrt, daß das Asiatcn- thum in den Heeren des sinkenden Ostroms herrscht. Dies orientalische Wesen aber erscheint in den alten uns wohlbekannten Formen: im Leben als banales Ceremonie! und geistloser Luxus, in den schönen Künsten als launen¬ hafte Pracht, in der Kriegskunst als unverhältnißmäßige Vermehrung der Reiterei, als Überhandnehmen der Fernwaffen an Stelle der blanken Waffen und als vordringliches Auftreten der Kriegsmaschinen, der Katapulten und Ballisten und des griechischen Feuers, um durch diese artilleristischen Surrogate Tapferkeit und echte Kunst zu ersetzen. Ganz anders geartet als dies überreife morgenländische Barbarenthum ist jene gesunde Frische und Rohheit, die in Folge der Völkerwanderung das lateinische Abendland durchsetzte. Die Kriegsverfassung, welche sich unter dem Einfluß der germanischen Eroberer herausbildete, das Vasallenheer, das Feudalsystem, ist eine der wunderbarsten Erscheinungen der Weltgeschichte schon dadurch, daß sie die fast alleinige Grundlage der Staatsverfassung war, und wer sich der stylistischen Eigenthümlichkeit dieser Volks- und kriegs¬ historischen Gestaltung mit Einem Blicke deutlich bewußt werden will, der fasse das höchste Ergebniß der schönen Kunst des Mittelalters ins Auge: den gothischen Dom. — Wie dieser statt der Mauer, die doch bisher als unerläßliche Grundbedingung jedes Baues galt, vereinzelte Pfeilerbündel anordnet, wie er die alte feste Balken- oder Gewölbedecke auflöst in ein Netz von Rippen und Gurten, die gleich den Pfeilern nur durch leichte Füllung miteinander verbunden sind, gradeso verneint auch der mittelalterliche Feu¬ dalismus die uralte Einheitsgestalt des Staats- und Heeresbaues und zerlegt ihn in eine Unzahl freier selbständiger Einzelglieder. Und wie die Gothik den Horizontalismus, das alte Urprinzip der Architektur, verleugnet und durch den Vertikaltsmus zu ersetzen strebt**), so entwickelt sich auch der Bau des Feudalismus von der breiten Basis der letzten Hörigen und Hintersassen aus mit unerhörter Consequenz nach oben, um endlich in der Königskrone zu gipfeln. Aber die mathematische Consequenz der Construction geht in der gothischen Kunst wie im Feudalstaat und im Vasallenheere mit phantastischer Willkür in den Einzelheiten auf das Sonderbarste Hand in Hand. Jede dieser schlanken Fialen, die zu Hunderten die Strebepfeiler schmücken, ist eine Individualität für sich und zugleich nach genau demselben Gesetze construirt ') Geschichte des vandalischcn, persischen und gothischen Krieges. (Vergl. die Gesammt- ausgabe von Dindorf. Bonn 1833—38.) ") Vergl. «übte: Geschichte der Architektur. Lpzg. Is7V.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/256>, abgerufen am 25.12.2024.