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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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man vermag dies ohne sie ebensowenig zu gebrauchen, wie man in einem
wild durcheinander geworfenen Haufen von Steinen, Holz und Ziegeln woh¬
nen kann." *) -- In der That, wer sich jemals den Charakter der griechischen
Architektur deutlich gemacht, der hat auch ein Bild der griechischen Tak¬
tik; denn wunderbar entspricht die rechtwinklige Strenge des dorischen Styls
der Anordnung der hellenischen Phalanx. Die großen einfachen Formen, das
feste Gefügt, die klare übersichtliche Symmetrie sind beiden gemein. --- Wenn
das längliche Rechteck der schwergewaffneten Hopliten, dicht geschlossen, dröh¬
nenden Tritts zum Angriff schritt, die Speere gefällt und die des ersten Glie¬
des vor der Front gekreuzt -- war es nicht, als wandle ein dorisches Tem¬
pelhaus daher, eins jener festgefugten Marmorvierecke, deren Säulen ja auch
einzeln in stolzer Kraft emporstreben wie jene hellumschienten Hopliten, doch
auch wie diese innig verbunden sind durch das Gesetz der Gleichheit, wie diese
nur den Einen Zweck aussprechen, dem Ganzen zu dienen und die mächtige
Einheit darzuthun. Griechische Dichter selbst empfanden die Aehnltchkeit der
Phalcmr mit ihren festgefugten Bauwerken. Homer, der seine Bilder sonst
fast ausschließlich der Natur entnimmt, schildert doch das von des Achilleus
Rede begeisterte Myrmidonenheer eben durch jenen Vergleich**):


Enger noch schlossen die Reihen, nachdem sie vernommen den König.
Wie wenn die Mauer ein Mann fest fügt aus gedrängten Steinen
Einem erhabenen Hause, der Macht der Stürme zu Mehrer:
Also fügten sich Helm und genabelte Schild' aneinander,
Tartsch' an Tartsche gelehnt, an Helm Helm, Krieger an Krieger,
Und die umflatterten Helme der nickenden rührten geengt sich
Mit hellschimmernden Zacken: so dicht war beisammen die Heerschaar.

Nicht zufällig also ist es, wenn ich die Kriegskunst vor Allem der Bau-
kunst vergleiche. Der Kriegskunst gleich hangt auch die Architektur auf das
Genaueste mit dem Leben des Staates zusammen und dient wie jene dem
öffentlichen Nutzen; in der Jortification berühren sich beide Künste unmittel¬
bar, und gerade im Wesen der Baukunst prägen sich die stylistischen Merk¬
male der Zeiten am deutlichsten und am dauerhaftesten aus.

Darum dürfen wir uns jenes Vergleiches mit der Architektur auch da er¬
innern, wo es gilt, sich den Unterschied klar zu machen, der zwischen dem
Style der griechischen Taktik und der der Römer besteht. -- Die römische
Kunst trägt einen universalen Charakter. -- Die Formation der Legion mit
ihren drei hintereinanderstehenden Treffen, deren jedes wieder in sich gegliedert
ist in zehn durch Intervalle getrennte Manipel -- diese Formation gewährt




Apomnemoneumata. (AlömoraKilw Sooratis.)
") Ilias, XVl. 212--218.

man vermag dies ohne sie ebensowenig zu gebrauchen, wie man in einem
wild durcheinander geworfenen Haufen von Steinen, Holz und Ziegeln woh¬
nen kann." *) -- In der That, wer sich jemals den Charakter der griechischen
Architektur deutlich gemacht, der hat auch ein Bild der griechischen Tak¬
tik; denn wunderbar entspricht die rechtwinklige Strenge des dorischen Styls
der Anordnung der hellenischen Phalanx. Die großen einfachen Formen, das
feste Gefügt, die klare übersichtliche Symmetrie sind beiden gemein. -— Wenn
das längliche Rechteck der schwergewaffneten Hopliten, dicht geschlossen, dröh¬
nenden Tritts zum Angriff schritt, die Speere gefällt und die des ersten Glie¬
des vor der Front gekreuzt — war es nicht, als wandle ein dorisches Tem¬
pelhaus daher, eins jener festgefugten Marmorvierecke, deren Säulen ja auch
einzeln in stolzer Kraft emporstreben wie jene hellumschienten Hopliten, doch
auch wie diese innig verbunden sind durch das Gesetz der Gleichheit, wie diese
nur den Einen Zweck aussprechen, dem Ganzen zu dienen und die mächtige
Einheit darzuthun. Griechische Dichter selbst empfanden die Aehnltchkeit der
Phalcmr mit ihren festgefugten Bauwerken. Homer, der seine Bilder sonst
fast ausschließlich der Natur entnimmt, schildert doch das von des Achilleus
Rede begeisterte Myrmidonenheer eben durch jenen Vergleich**):


Enger noch schlossen die Reihen, nachdem sie vernommen den König.
Wie wenn die Mauer ein Mann fest fügt aus gedrängten Steinen
Einem erhabenen Hause, der Macht der Stürme zu Mehrer:
Also fügten sich Helm und genabelte Schild' aneinander,
Tartsch' an Tartsche gelehnt, an Helm Helm, Krieger an Krieger,
Und die umflatterten Helme der nickenden rührten geengt sich
Mit hellschimmernden Zacken: so dicht war beisammen die Heerschaar.

Nicht zufällig also ist es, wenn ich die Kriegskunst vor Allem der Bau-
kunst vergleiche. Der Kriegskunst gleich hangt auch die Architektur auf das
Genaueste mit dem Leben des Staates zusammen und dient wie jene dem
öffentlichen Nutzen; in der Jortification berühren sich beide Künste unmittel¬
bar, und gerade im Wesen der Baukunst prägen sich die stylistischen Merk¬
male der Zeiten am deutlichsten und am dauerhaftesten aus.

Darum dürfen wir uns jenes Vergleiches mit der Architektur auch da er¬
innern, wo es gilt, sich den Unterschied klar zu machen, der zwischen dem
Style der griechischen Taktik und der der Römer besteht. — Die römische
Kunst trägt einen universalen Charakter. — Die Formation der Legion mit
ihren drei hintereinanderstehenden Treffen, deren jedes wieder in sich gegliedert
ist in zehn durch Intervalle getrennte Manipel — diese Formation gewährt




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") Ilias, XVl. 212—218.
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[0254] man vermag dies ohne sie ebensowenig zu gebrauchen, wie man in einem wild durcheinander geworfenen Haufen von Steinen, Holz und Ziegeln woh¬ nen kann." *) -- In der That, wer sich jemals den Charakter der griechischen Architektur deutlich gemacht, der hat auch ein Bild der griechischen Tak¬ tik; denn wunderbar entspricht die rechtwinklige Strenge des dorischen Styls der Anordnung der hellenischen Phalanx. Die großen einfachen Formen, das feste Gefügt, die klare übersichtliche Symmetrie sind beiden gemein. -— Wenn das längliche Rechteck der schwergewaffneten Hopliten, dicht geschlossen, dröh¬ nenden Tritts zum Angriff schritt, die Speere gefällt und die des ersten Glie¬ des vor der Front gekreuzt — war es nicht, als wandle ein dorisches Tem¬ pelhaus daher, eins jener festgefugten Marmorvierecke, deren Säulen ja auch einzeln in stolzer Kraft emporstreben wie jene hellumschienten Hopliten, doch auch wie diese innig verbunden sind durch das Gesetz der Gleichheit, wie diese nur den Einen Zweck aussprechen, dem Ganzen zu dienen und die mächtige Einheit darzuthun. Griechische Dichter selbst empfanden die Aehnltchkeit der Phalcmr mit ihren festgefugten Bauwerken. Homer, der seine Bilder sonst fast ausschließlich der Natur entnimmt, schildert doch das von des Achilleus Rede begeisterte Myrmidonenheer eben durch jenen Vergleich**): Enger noch schlossen die Reihen, nachdem sie vernommen den König. Wie wenn die Mauer ein Mann fest fügt aus gedrängten Steinen Einem erhabenen Hause, der Macht der Stürme zu Mehrer: Also fügten sich Helm und genabelte Schild' aneinander, Tartsch' an Tartsche gelehnt, an Helm Helm, Krieger an Krieger, Und die umflatterten Helme der nickenden rührten geengt sich Mit hellschimmernden Zacken: so dicht war beisammen die Heerschaar. Nicht zufällig also ist es, wenn ich die Kriegskunst vor Allem der Bau- kunst vergleiche. Der Kriegskunst gleich hangt auch die Architektur auf das Genaueste mit dem Leben des Staates zusammen und dient wie jene dem öffentlichen Nutzen; in der Jortification berühren sich beide Künste unmittel¬ bar, und gerade im Wesen der Baukunst prägen sich die stylistischen Merk¬ male der Zeiten am deutlichsten und am dauerhaftesten aus. Darum dürfen wir uns jenes Vergleiches mit der Architektur auch da er¬ innern, wo es gilt, sich den Unterschied klar zu machen, der zwischen dem Style der griechischen Taktik und der der Römer besteht. — Die römische Kunst trägt einen universalen Charakter. — Die Formation der Legion mit ihren drei hintereinanderstehenden Treffen, deren jedes wieder in sich gegliedert ist in zehn durch Intervalle getrennte Manipel — diese Formation gewährt Apomnemoneumata. (AlömoraKilw Sooratis.) ") Ilias, XVl. 212—218.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/254>, abgerufen am 26.12.2024.