Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Mit hohem Selbstgefühl erhob sich der Heitere über den Barbaren, wie
in den Künsten des Friedens, so auch in der des Krieges. -- Und was er-
scheint ihm als das Merkzeichen seiner höheren Cultur im Kriege? Worin
findet er den stylistischen Unterschied zwischen seiner Haltung im Kampf
und der des Barbaren? In der Ordnung und Stille, im Gehorsam und in
der Geschlossenheit. -- Sehr schön schildert diesen Gegensatz Homer:


"Aber nachdem sich geordnet ein jegliches Volk mit den Führern,
Zogen die Troer in Lärm und Geschrei her gleich wie die Vogel:
So wie Geschrei heriönt von Kranichen unter dem Himmel,
Welche, nachdem sie dem Winter entflohn und unendlichem Regen,
Laut mit Geschrei fortziehn an Okeanos strömende Fluten . . .
-- Sie dort wandelten still die muthbeseelten Achaier,
All' im Herzen gefaßt, zu vertheidigen einer den andern") . . .
Also zogen gedrängt die Danaer Haufen an Haufen
Rastlos her in die Schlacht. Es gebot den Seinigen jeder
Völkersürst; still gingen die Andern, jegliche Heerschaar
Ehrfurchtsvoll verstummend den Königen. Keiner gedächt' auch
Solch ein großes Gefolg' hab' einigen Laut in dem Busen."")

Mit diesem stylistischen Unterschiede geht ein anderer Hand in Hand,
der der Kampfart. Der Masseninstinct barbarischer Völker führt sie nicht
zur geschlossenen Form, sondern zum durcheinanderwirbelnden Schwarm.
Nur das Beieinander, nicht das Miteinander kommt ihnen zunächst
zum Bewußtsein. Es ist das die älteste, aber auch die niedrigste Art kriege¬
rischer Schaarung. -- Solch loses Schwarmgefecht mit Pfeil und Bogen war
dem Morgenländer naturgemäß. Schnell anprallend und nicht minder schnell
weichend, so erweisen sich auch in der Jliade diejenigen Helden der Troer,
welche, wie Paris, den echt asiatischen Typus tragen. Es ist der Genius
des alten Nomadenthums, der aus der orientalischen Kampfart spricht. --
Wie anders erscheint das Wesen der Hellenen! Ihre Auffassung prägt sich
deutlich in jenem Worte aus, welches der Feldherr Aenophon dem Sokrates
in den Mund gelegt hat: "Die Ordnung ist das Höchste im Heer; denn





tiger sei für den Krieg. Augenscheinlich jedoch sind beide unerläßlich, weil jede Unternehmung
zuvor reiflich zu überlegen ist, der gefaßte Entschluß aber nur unter Entwicklung hoher That-
kraft glücklich ausgeführt werden kann. Eins von beiden- Entwurf oder Ausführung, allein
ist unzureichend; es müssen beide einander unterstützen."
"Als Cyrus in Asten, als Athener und Sparter in Griechenland, zuerst begannen,
Städte zu belagern und fremde Völker zu unterwerfen, kurz die Eroberung als einen Kriegs-
grund zu betrachten, da wurden die Gefahren und Schwierigkeiten so mannigfaltig und ver¬
wickelt, daß man deutlich erkannte und eingestand, wie nichts wichtiger sei im Kriege als des
Mensche.', geistige Kraft." (Lirllustius: vo ovo.inrirtionv vkMwire.j
-) Zliade, 11t. 1-
Jliade. IV. 427-4^

Mit hohem Selbstgefühl erhob sich der Heitere über den Barbaren, wie
in den Künsten des Friedens, so auch in der des Krieges. — Und was er-
scheint ihm als das Merkzeichen seiner höheren Cultur im Kriege? Worin
findet er den stylistischen Unterschied zwischen seiner Haltung im Kampf
und der des Barbaren? In der Ordnung und Stille, im Gehorsam und in
der Geschlossenheit. — Sehr schön schildert diesen Gegensatz Homer:


„Aber nachdem sich geordnet ein jegliches Volk mit den Führern,
Zogen die Troer in Lärm und Geschrei her gleich wie die Vogel:
So wie Geschrei heriönt von Kranichen unter dem Himmel,
Welche, nachdem sie dem Winter entflohn und unendlichem Regen,
Laut mit Geschrei fortziehn an Okeanos strömende Fluten . . .
— Sie dort wandelten still die muthbeseelten Achaier,
All' im Herzen gefaßt, zu vertheidigen einer den andern") . . .
Also zogen gedrängt die Danaer Haufen an Haufen
Rastlos her in die Schlacht. Es gebot den Seinigen jeder
Völkersürst; still gingen die Andern, jegliche Heerschaar
Ehrfurchtsvoll verstummend den Königen. Keiner gedächt' auch
Solch ein großes Gefolg' hab' einigen Laut in dem Busen."")

Mit diesem stylistischen Unterschiede geht ein anderer Hand in Hand,
der der Kampfart. Der Masseninstinct barbarischer Völker führt sie nicht
zur geschlossenen Form, sondern zum durcheinanderwirbelnden Schwarm.
Nur das Beieinander, nicht das Miteinander kommt ihnen zunächst
zum Bewußtsein. Es ist das die älteste, aber auch die niedrigste Art kriege¬
rischer Schaarung. — Solch loses Schwarmgefecht mit Pfeil und Bogen war
dem Morgenländer naturgemäß. Schnell anprallend und nicht minder schnell
weichend, so erweisen sich auch in der Jliade diejenigen Helden der Troer,
welche, wie Paris, den echt asiatischen Typus tragen. Es ist der Genius
des alten Nomadenthums, der aus der orientalischen Kampfart spricht. —
Wie anders erscheint das Wesen der Hellenen! Ihre Auffassung prägt sich
deutlich in jenem Worte aus, welches der Feldherr Aenophon dem Sokrates
in den Mund gelegt hat: „Die Ordnung ist das Höchste im Heer; denn





tiger sei für den Krieg. Augenscheinlich jedoch sind beide unerläßlich, weil jede Unternehmung
zuvor reiflich zu überlegen ist, der gefaßte Entschluß aber nur unter Entwicklung hoher That-
kraft glücklich ausgeführt werden kann. Eins von beiden- Entwurf oder Ausführung, allein
ist unzureichend; es müssen beide einander unterstützen."
„Als Cyrus in Asten, als Athener und Sparter in Griechenland, zuerst begannen,
Städte zu belagern und fremde Völker zu unterwerfen, kurz die Eroberung als einen Kriegs-
grund zu betrachten, da wurden die Gefahren und Schwierigkeiten so mannigfaltig und ver¬
wickelt, daß man deutlich erkannte und eingestand, wie nichts wichtiger sei im Kriege als des
Mensche.', geistige Kraft." (Lirllustius: vo ovo.inrirtionv vkMwire.j
-) Zliade, 11t. 1-
Jliade. IV. 427-4^
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0253" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130897"/>
          <p xml:id="ID_803"> Mit hohem Selbstgefühl erhob sich der Heitere über den Barbaren, wie<lb/>
in den Künsten des Friedens, so auch in der des Krieges. &#x2014; Und was er-<lb/>
scheint ihm als das Merkzeichen seiner höheren Cultur im Kriege? Worin<lb/>
findet er den stylistischen Unterschied zwischen seiner Haltung im Kampf<lb/>
und der des Barbaren? In der Ordnung und Stille, im Gehorsam und in<lb/>
der Geschlossenheit. &#x2014; Sehr schön schildert diesen Gegensatz Homer:</p><lb/>
          <quote> &#x201E;Aber nachdem sich geordnet ein jegliches Volk mit den Führern,<lb/>
Zogen die Troer in Lärm und Geschrei her gleich wie die Vogel:<lb/>
So wie Geschrei heriönt von Kranichen unter dem Himmel,<lb/>
Welche, nachdem sie dem Winter entflohn und unendlichem Regen,<lb/>
Laut mit Geschrei fortziehn an Okeanos strömende Fluten . . .<lb/>
&#x2014; Sie dort wandelten still die muthbeseelten Achaier,<lb/>
All' im Herzen gefaßt, zu vertheidigen einer den andern") . . .<lb/>
Also zogen gedrängt die Danaer Haufen an Haufen<lb/>
Rastlos her in die Schlacht.  Es gebot den Seinigen jeder<lb/>
Völkersürst; still gingen die Andern, jegliche Heerschaar<lb/>
Ehrfurchtsvoll verstummend den Königen.  Keiner gedächt' auch<lb/>
Solch ein großes Gefolg' hab' einigen Laut in dem Busen."")</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_804" next="#ID_805"> Mit diesem stylistischen Unterschiede geht ein anderer Hand in Hand,<lb/>
der der Kampfart. Der Masseninstinct barbarischer Völker führt sie nicht<lb/>
zur geschlossenen Form, sondern zum durcheinanderwirbelnden Schwarm.<lb/>
Nur das Beieinander, nicht das Miteinander kommt ihnen zunächst<lb/>
zum Bewußtsein. Es ist das die älteste, aber auch die niedrigste Art kriege¬<lb/>
rischer Schaarung. &#x2014; Solch loses Schwarmgefecht mit Pfeil und Bogen war<lb/>
dem Morgenländer naturgemäß. Schnell anprallend und nicht minder schnell<lb/>
weichend, so erweisen sich auch in der Jliade diejenigen Helden der Troer,<lb/>
welche, wie Paris, den echt asiatischen Typus tragen. Es ist der Genius<lb/>
des alten Nomadenthums, der aus der orientalischen Kampfart spricht. &#x2014;<lb/>
Wie anders erscheint das Wesen der Hellenen! Ihre Auffassung prägt sich<lb/>
deutlich in jenem Worte aus, welches der Feldherr Aenophon dem Sokrates<lb/>
in den Mund gelegt hat: &#x201E;Die Ordnung ist das Höchste im Heer; denn</p><lb/>
          <note xml:id="FID_80" prev="#FID_79" place="foot"> tiger sei für den Krieg. Augenscheinlich jedoch sind beide unerläßlich, weil jede Unternehmung<lb/>
zuvor reiflich zu überlegen ist, der gefaßte Entschluß aber nur unter Entwicklung hoher That-<lb/>
kraft glücklich ausgeführt werden kann. Eins von beiden- Entwurf oder Ausführung, allein<lb/>
ist unzureichend; es müssen beide einander unterstützen."</note><lb/>
          <note xml:id="FID_81" place="foot"> &#x201E;Als Cyrus in Asten, als Athener und Sparter in Griechenland, zuerst begannen,<lb/>
Städte zu belagern und fremde Völker zu unterwerfen, kurz die Eroberung als einen Kriegs-<lb/>
grund zu betrachten, da wurden die Gefahren und Schwierigkeiten so mannigfaltig und ver¬<lb/>
wickelt, daß man deutlich erkannte und eingestand, wie nichts wichtiger sei im Kriege als des<lb/>
Mensche.', geistige Kraft." (Lirllustius: vo ovo.inrirtionv vkMwire.j</note><lb/>
          <note xml:id="FID_82" place="foot"> -) Zliade, 11t. 1-</note><lb/>
          <note xml:id="FID_83" place="foot"> Jliade. IV. 427-4^</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0253] Mit hohem Selbstgefühl erhob sich der Heitere über den Barbaren, wie in den Künsten des Friedens, so auch in der des Krieges. — Und was er- scheint ihm als das Merkzeichen seiner höheren Cultur im Kriege? Worin findet er den stylistischen Unterschied zwischen seiner Haltung im Kampf und der des Barbaren? In der Ordnung und Stille, im Gehorsam und in der Geschlossenheit. — Sehr schön schildert diesen Gegensatz Homer: „Aber nachdem sich geordnet ein jegliches Volk mit den Führern, Zogen die Troer in Lärm und Geschrei her gleich wie die Vogel: So wie Geschrei heriönt von Kranichen unter dem Himmel, Welche, nachdem sie dem Winter entflohn und unendlichem Regen, Laut mit Geschrei fortziehn an Okeanos strömende Fluten . . . — Sie dort wandelten still die muthbeseelten Achaier, All' im Herzen gefaßt, zu vertheidigen einer den andern") . . . Also zogen gedrängt die Danaer Haufen an Haufen Rastlos her in die Schlacht. Es gebot den Seinigen jeder Völkersürst; still gingen die Andern, jegliche Heerschaar Ehrfurchtsvoll verstummend den Königen. Keiner gedächt' auch Solch ein großes Gefolg' hab' einigen Laut in dem Busen."") Mit diesem stylistischen Unterschiede geht ein anderer Hand in Hand, der der Kampfart. Der Masseninstinct barbarischer Völker führt sie nicht zur geschlossenen Form, sondern zum durcheinanderwirbelnden Schwarm. Nur das Beieinander, nicht das Miteinander kommt ihnen zunächst zum Bewußtsein. Es ist das die älteste, aber auch die niedrigste Art kriege¬ rischer Schaarung. — Solch loses Schwarmgefecht mit Pfeil und Bogen war dem Morgenländer naturgemäß. Schnell anprallend und nicht minder schnell weichend, so erweisen sich auch in der Jliade diejenigen Helden der Troer, welche, wie Paris, den echt asiatischen Typus tragen. Es ist der Genius des alten Nomadenthums, der aus der orientalischen Kampfart spricht. — Wie anders erscheint das Wesen der Hellenen! Ihre Auffassung prägt sich deutlich in jenem Worte aus, welches der Feldherr Aenophon dem Sokrates in den Mund gelegt hat: „Die Ordnung ist das Höchste im Heer; denn tiger sei für den Krieg. Augenscheinlich jedoch sind beide unerläßlich, weil jede Unternehmung zuvor reiflich zu überlegen ist, der gefaßte Entschluß aber nur unter Entwicklung hoher That- kraft glücklich ausgeführt werden kann. Eins von beiden- Entwurf oder Ausführung, allein ist unzureichend; es müssen beide einander unterstützen." „Als Cyrus in Asten, als Athener und Sparter in Griechenland, zuerst begannen, Städte zu belagern und fremde Völker zu unterwerfen, kurz die Eroberung als einen Kriegs- grund zu betrachten, da wurden die Gefahren und Schwierigkeiten so mannigfaltig und ver¬ wickelt, daß man deutlich erkannte und eingestand, wie nichts wichtiger sei im Kriege als des Mensche.', geistige Kraft." (Lirllustius: vo ovo.inrirtionv vkMwire.j -) Zliade, 11t. 1- Jliade. IV. 427-4^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/253
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/253>, abgerufen am 26.12.2024.