Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wird man bei aller Steigerung offizieller Kirchlichkeit hier antreffen. Die
eigentliche Blüthe dieses Verfalles reifte im Schisma des Jahres 1378.

Da war in Italien Urban VI. zum Papste gewählt, welcher aus der
Unterordnung unter Frankreich das Papstthum freimachen wollte. Aber die
französischen Interessen duldeten diese Wendung nicht: die französischen Car¬
dinäle fielen von Urban ab, erklärten einiger Formfehler halber die geschehene
und eine Zeitlang auch von ihnen anerkannte Wahl für ungültig und er¬
hoben einen französischen Cardinal auf Petri Stuhl. Damit hatte die Kirche
zwei Köpfe. Keiner der beiden wich dem andern; keiner ließ einen Zweifel
an seiner Legitimität zu; keiner konnte ihn zulassen ohne seine ganze Existenz
in Frage zu stellen. Die Nationen Europas spalteten sich bei der Anerken¬
nung und Entscheidung zwischen beiden; und dieser Zustand einer doppelten
päpstlichen Obedienz dauerte mehr als 36 Jahre; er schien sich durch so lange
Praxis befestigen zu sollen: die Möglichkeit mehrerer gleichzeitiger Landes¬
päpste konnte aufgeworfen und discutirt werden. Ja, was für die Papst¬
kirche das bedenklichste war, es hatten einzelne der Nationen zeitweilig sich
ganz von jeder Obedienz losgesagt und autonom ohne einen Papst ihre An¬
gelegenheiten geordnet. In dieser Zeit allgemeiner kirchlicher Verwirrung und
Rathlosigkeit, in der alle bisherigen Ordnungen sich aufzulösen in Gefahr
waren, in dieser Zeit ist die Idee entstanden, durch das Mittel des allgemei¬
nen Conzils der zerrissenen Kirche Heilung und Versöhnung zu bringen und
an die Spitze der allgemeinen Kirche als die höchste Autorität statt des abso¬
luten Papstes das Conzil oder doch wenigstens "Papst und Conzil" zu er¬
heben.

Es war eine durch die Noth diktirte Aushülfe aus jenem Ausnahmezu¬
stand, ein letzter Rettungsversuch aus jener Nothlage, aus der man lange
verzweifelt einen Ausweg zu finden!

Die Entwickelung der mittelalterlichen Kirche hatte mit cousequenter
Logik zur päpstlichen Allmacht geführt: wenn die mittelalterliche Doctrin die
göttliche Einsetzung des Papstthumes und die dogmatische Nothwendigkeit der
kirchlichen Hierarchie, wie sie allmälig geworden war, unwidersprochen gelehrt
hatte, so gipfelten jetzt im 14, Jahrhundert diese Lehren in einer gottähnlichen,
übermenschlichen Erhebung der päpstlichen Würde: geradezu die Stelle Gottes
auf der Erde vertrat der Papst; er hatte keinen Richter über sich; er allein
war das höchste Tribunal auf der Welt, von dem es keine Möglichkeit gab
noch an eines Andern Spruch zu appelliren. Man hatte besondere Formen
entwickelt und aufgestellt, in welchen die Papstwahl vor sich zu gehen hatte:
war aber einmal Jemand von den hergebrachten Wählern zum Papste er¬
klärt, so war er sofort der höchste Souverän der Kirche, der Vicegott auf
Erden. Undenkbar, absurd war es für diese kirchliche Anschauung, daß ein


Grenzboten l. 1874. 22

wird man bei aller Steigerung offizieller Kirchlichkeit hier antreffen. Die
eigentliche Blüthe dieses Verfalles reifte im Schisma des Jahres 1378.

Da war in Italien Urban VI. zum Papste gewählt, welcher aus der
Unterordnung unter Frankreich das Papstthum freimachen wollte. Aber die
französischen Interessen duldeten diese Wendung nicht: die französischen Car¬
dinäle fielen von Urban ab, erklärten einiger Formfehler halber die geschehene
und eine Zeitlang auch von ihnen anerkannte Wahl für ungültig und er¬
hoben einen französischen Cardinal auf Petri Stuhl. Damit hatte die Kirche
zwei Köpfe. Keiner der beiden wich dem andern; keiner ließ einen Zweifel
an seiner Legitimität zu; keiner konnte ihn zulassen ohne seine ganze Existenz
in Frage zu stellen. Die Nationen Europas spalteten sich bei der Anerken¬
nung und Entscheidung zwischen beiden; und dieser Zustand einer doppelten
päpstlichen Obedienz dauerte mehr als 36 Jahre; er schien sich durch so lange
Praxis befestigen zu sollen: die Möglichkeit mehrerer gleichzeitiger Landes¬
päpste konnte aufgeworfen und discutirt werden. Ja, was für die Papst¬
kirche das bedenklichste war, es hatten einzelne der Nationen zeitweilig sich
ganz von jeder Obedienz losgesagt und autonom ohne einen Papst ihre An¬
gelegenheiten geordnet. In dieser Zeit allgemeiner kirchlicher Verwirrung und
Rathlosigkeit, in der alle bisherigen Ordnungen sich aufzulösen in Gefahr
waren, in dieser Zeit ist die Idee entstanden, durch das Mittel des allgemei¬
nen Conzils der zerrissenen Kirche Heilung und Versöhnung zu bringen und
an die Spitze der allgemeinen Kirche als die höchste Autorität statt des abso¬
luten Papstes das Conzil oder doch wenigstens „Papst und Conzil" zu er¬
heben.

Es war eine durch die Noth diktirte Aushülfe aus jenem Ausnahmezu¬
stand, ein letzter Rettungsversuch aus jener Nothlage, aus der man lange
verzweifelt einen Ausweg zu finden!

Die Entwickelung der mittelalterlichen Kirche hatte mit cousequenter
Logik zur päpstlichen Allmacht geführt: wenn die mittelalterliche Doctrin die
göttliche Einsetzung des Papstthumes und die dogmatische Nothwendigkeit der
kirchlichen Hierarchie, wie sie allmälig geworden war, unwidersprochen gelehrt
hatte, so gipfelten jetzt im 14, Jahrhundert diese Lehren in einer gottähnlichen,
übermenschlichen Erhebung der päpstlichen Würde: geradezu die Stelle Gottes
auf der Erde vertrat der Papst; er hatte keinen Richter über sich; er allein
war das höchste Tribunal auf der Welt, von dem es keine Möglichkeit gab
noch an eines Andern Spruch zu appelliren. Man hatte besondere Formen
entwickelt und aufgestellt, in welchen die Papstwahl vor sich zu gehen hatte:
war aber einmal Jemand von den hergebrachten Wählern zum Papste er¬
klärt, so war er sofort der höchste Souverän der Kirche, der Vicegott auf
Erden. Undenkbar, absurd war es für diese kirchliche Anschauung, daß ein


Grenzboten l. 1874. 22
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0175" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130819"/>
          <p xml:id="ID_513" prev="#ID_512"> wird man bei aller Steigerung offizieller Kirchlichkeit hier antreffen. Die<lb/>
eigentliche Blüthe dieses Verfalles reifte im Schisma des Jahres 1378.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_514"> Da war in Italien Urban VI. zum Papste gewählt, welcher aus der<lb/>
Unterordnung unter Frankreich das Papstthum freimachen wollte. Aber die<lb/>
französischen Interessen duldeten diese Wendung nicht: die französischen Car¬<lb/>
dinäle fielen von Urban ab, erklärten einiger Formfehler halber die geschehene<lb/>
und eine Zeitlang auch von ihnen anerkannte Wahl für ungültig und er¬<lb/>
hoben einen französischen Cardinal auf Petri Stuhl. Damit hatte die Kirche<lb/>
zwei Köpfe. Keiner der beiden wich dem andern; keiner ließ einen Zweifel<lb/>
an seiner Legitimität zu; keiner konnte ihn zulassen ohne seine ganze Existenz<lb/>
in Frage zu stellen. Die Nationen Europas spalteten sich bei der Anerken¬<lb/>
nung und Entscheidung zwischen beiden; und dieser Zustand einer doppelten<lb/>
päpstlichen Obedienz dauerte mehr als 36 Jahre; er schien sich durch so lange<lb/>
Praxis befestigen zu sollen: die Möglichkeit mehrerer gleichzeitiger Landes¬<lb/>
päpste konnte aufgeworfen und discutirt werden. Ja, was für die Papst¬<lb/>
kirche das bedenklichste war, es hatten einzelne der Nationen zeitweilig sich<lb/>
ganz von jeder Obedienz losgesagt und autonom ohne einen Papst ihre An¬<lb/>
gelegenheiten geordnet. In dieser Zeit allgemeiner kirchlicher Verwirrung und<lb/>
Rathlosigkeit, in der alle bisherigen Ordnungen sich aufzulösen in Gefahr<lb/>
waren, in dieser Zeit ist die Idee entstanden, durch das Mittel des allgemei¬<lb/>
nen Conzils der zerrissenen Kirche Heilung und Versöhnung zu bringen und<lb/>
an die Spitze der allgemeinen Kirche als die höchste Autorität statt des abso¬<lb/>
luten Papstes das Conzil oder doch wenigstens &#x201E;Papst und Conzil" zu er¬<lb/>
heben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_515"> Es war eine durch die Noth diktirte Aushülfe aus jenem Ausnahmezu¬<lb/>
stand, ein letzter Rettungsversuch aus jener Nothlage, aus der man lange<lb/>
verzweifelt einen Ausweg zu finden!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_516" next="#ID_517"> Die Entwickelung der mittelalterlichen Kirche hatte mit cousequenter<lb/>
Logik zur päpstlichen Allmacht geführt: wenn die mittelalterliche Doctrin die<lb/>
göttliche Einsetzung des Papstthumes und die dogmatische Nothwendigkeit der<lb/>
kirchlichen Hierarchie, wie sie allmälig geworden war, unwidersprochen gelehrt<lb/>
hatte, so gipfelten jetzt im 14, Jahrhundert diese Lehren in einer gottähnlichen,<lb/>
übermenschlichen Erhebung der päpstlichen Würde: geradezu die Stelle Gottes<lb/>
auf der Erde vertrat der Papst; er hatte keinen Richter über sich; er allein<lb/>
war das höchste Tribunal auf der Welt, von dem es keine Möglichkeit gab<lb/>
noch an eines Andern Spruch zu appelliren. Man hatte besondere Formen<lb/>
entwickelt und aufgestellt, in welchen die Papstwahl vor sich zu gehen hatte:<lb/>
war aber einmal Jemand von den hergebrachten Wählern zum Papste er¬<lb/>
klärt, so war er sofort der höchste Souverän der Kirche, der Vicegott auf<lb/>
Erden. Undenkbar, absurd war es für diese kirchliche Anschauung, daß ein</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten l. 1874. 22</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0175] wird man bei aller Steigerung offizieller Kirchlichkeit hier antreffen. Die eigentliche Blüthe dieses Verfalles reifte im Schisma des Jahres 1378. Da war in Italien Urban VI. zum Papste gewählt, welcher aus der Unterordnung unter Frankreich das Papstthum freimachen wollte. Aber die französischen Interessen duldeten diese Wendung nicht: die französischen Car¬ dinäle fielen von Urban ab, erklärten einiger Formfehler halber die geschehene und eine Zeitlang auch von ihnen anerkannte Wahl für ungültig und er¬ hoben einen französischen Cardinal auf Petri Stuhl. Damit hatte die Kirche zwei Köpfe. Keiner der beiden wich dem andern; keiner ließ einen Zweifel an seiner Legitimität zu; keiner konnte ihn zulassen ohne seine ganze Existenz in Frage zu stellen. Die Nationen Europas spalteten sich bei der Anerken¬ nung und Entscheidung zwischen beiden; und dieser Zustand einer doppelten päpstlichen Obedienz dauerte mehr als 36 Jahre; er schien sich durch so lange Praxis befestigen zu sollen: die Möglichkeit mehrerer gleichzeitiger Landes¬ päpste konnte aufgeworfen und discutirt werden. Ja, was für die Papst¬ kirche das bedenklichste war, es hatten einzelne der Nationen zeitweilig sich ganz von jeder Obedienz losgesagt und autonom ohne einen Papst ihre An¬ gelegenheiten geordnet. In dieser Zeit allgemeiner kirchlicher Verwirrung und Rathlosigkeit, in der alle bisherigen Ordnungen sich aufzulösen in Gefahr waren, in dieser Zeit ist die Idee entstanden, durch das Mittel des allgemei¬ nen Conzils der zerrissenen Kirche Heilung und Versöhnung zu bringen und an die Spitze der allgemeinen Kirche als die höchste Autorität statt des abso¬ luten Papstes das Conzil oder doch wenigstens „Papst und Conzil" zu er¬ heben. Es war eine durch die Noth diktirte Aushülfe aus jenem Ausnahmezu¬ stand, ein letzter Rettungsversuch aus jener Nothlage, aus der man lange verzweifelt einen Ausweg zu finden! Die Entwickelung der mittelalterlichen Kirche hatte mit cousequenter Logik zur päpstlichen Allmacht geführt: wenn die mittelalterliche Doctrin die göttliche Einsetzung des Papstthumes und die dogmatische Nothwendigkeit der kirchlichen Hierarchie, wie sie allmälig geworden war, unwidersprochen gelehrt hatte, so gipfelten jetzt im 14, Jahrhundert diese Lehren in einer gottähnlichen, übermenschlichen Erhebung der päpstlichen Würde: geradezu die Stelle Gottes auf der Erde vertrat der Papst; er hatte keinen Richter über sich; er allein war das höchste Tribunal auf der Welt, von dem es keine Möglichkeit gab noch an eines Andern Spruch zu appelliren. Man hatte besondere Formen entwickelt und aufgestellt, in welchen die Papstwahl vor sich zu gehen hatte: war aber einmal Jemand von den hergebrachten Wählern zum Papste er¬ klärt, so war er sofort der höchste Souverän der Kirche, der Vicegott auf Erden. Undenkbar, absurd war es für diese kirchliche Anschauung, daß ein Grenzboten l. 1874. 22

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/175
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/175>, abgerufen am 25.12.2024.