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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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und die Bedeutung und Legitimation des Gesammtconziles in die Vertretung
der einzelnen Gemeinden durch conziliare Deputirte gesetzt hätte.*) Die,
wenn ich so sagen darf, rationalistische Erörterungsweise Marfil's, die auf
allgemeine Vernunftgründe und Zweckmäßigkeitsrücksichten ihr System auf¬
baute, bildet zur kirchlichen Tradition des Mittelalters einen prinzipiellen, un¬
versöhnlichen Gegensatz: sie ist in der That ein geistesverwandter Vorläufer
moderner Betrachtungsweisen und moderner Ideen.

Auf seine Zeit hatte mit diesen Sätzen Marftl noch kaum einen Einfluß:
wenn er mit seiner Hervorhebung des staatlichen Prinzipes gegen die kirch¬
lichen Uebergriffe aus großen Beifall der Zeitgenossen stieß und große Wir¬
kung unter ihnen hervorbrachte, seine eigentlich kirchlichen Neuerungen wurden
doch wenig beachtet; und selbst in den Reformbewegungen des Is. Jahrhun¬
derts darf man seiner Nachwirkung eine allzugroße Bedeutung nicht bei¬
messen: von anderen Prämissen sind im Grunde doch die episcopalistischen
Theoretiker ausgegangen.

Die Angriffe Marfil's und Ockam's und der anderen ihnen verwandten
Schriftsteller haben das Fundament der Kirche nicht erschüttert. Der päpst¬
liche Absolutismus hat siegreich das Feld behauptet. Trotz des Abhängigkeits¬
verhältnisses der Päpste, die in Avignon residirten, von dem französischen
Königthume unterlag ihre Befugniß theoretisch keiner Minderung; höchstens
in der Praxis machten in einzelnen Ländern die Regierungen Anstalt, Antheil
und Einfluß bei der Kirchenregierung dem einzelnen Staate zu sichern. Auf
derartige faktische Arrangements, auf derartige praktische Modifikationen seines
theoretischen Absolutismus ist übrigens zu jeder Zeit das Papstthum einer
energischen und consequenten Regierung gegenüber ohne Gewissensbedenken
und ohne unüberwindliche Schwierigkeiten eingegangen. Das Papstthum
steift sich niemals darauf, mit dem Kopfe durch eine Mauer zu rennen, --
wenn es nur erst die Ueberzeugung gewonnen hat, daß ihm eine wirklich feste
Mauer gegenübersteht. Bis zu diesem Augenblicke unnachgiebig, fügt es sich
dann immer in die Thatsachen, die es nicht zu ändern vermag.

Man kann dieser Papstkirche des ausgehenden Mittelalters, besonders des
14. Jahrhunderts, vielleicht allerlei nachrühmen: das aber kann kein Mensch
von ihr sagen, daß religiöse Ideen und Interessen in ihr eine besondere Dar¬
stellung gefunden. Nein, von welcher Seite auch man dies Bild ansehe, eine
fühlbare Abnahme der religiösen Elemente wird man bei aller äußerlichen
Pracht, eine immer mehr um sich greifende Verweltlichung des kirchlichen Lebens



') Vergl. die scharfsinnige Beweisführung von Frommann, Geschichte und Kritik des va¬
tikanischen Conziles von 1869 u. 1870 (Gotha 1872) S, 286 ff.

und die Bedeutung und Legitimation des Gesammtconziles in die Vertretung
der einzelnen Gemeinden durch conziliare Deputirte gesetzt hätte.*) Die,
wenn ich so sagen darf, rationalistische Erörterungsweise Marfil's, die auf
allgemeine Vernunftgründe und Zweckmäßigkeitsrücksichten ihr System auf¬
baute, bildet zur kirchlichen Tradition des Mittelalters einen prinzipiellen, un¬
versöhnlichen Gegensatz: sie ist in der That ein geistesverwandter Vorläufer
moderner Betrachtungsweisen und moderner Ideen.

Auf seine Zeit hatte mit diesen Sätzen Marftl noch kaum einen Einfluß:
wenn er mit seiner Hervorhebung des staatlichen Prinzipes gegen die kirch¬
lichen Uebergriffe aus großen Beifall der Zeitgenossen stieß und große Wir¬
kung unter ihnen hervorbrachte, seine eigentlich kirchlichen Neuerungen wurden
doch wenig beachtet; und selbst in den Reformbewegungen des Is. Jahrhun¬
derts darf man seiner Nachwirkung eine allzugroße Bedeutung nicht bei¬
messen: von anderen Prämissen sind im Grunde doch die episcopalistischen
Theoretiker ausgegangen.

Die Angriffe Marfil's und Ockam's und der anderen ihnen verwandten
Schriftsteller haben das Fundament der Kirche nicht erschüttert. Der päpst¬
liche Absolutismus hat siegreich das Feld behauptet. Trotz des Abhängigkeits¬
verhältnisses der Päpste, die in Avignon residirten, von dem französischen
Königthume unterlag ihre Befugniß theoretisch keiner Minderung; höchstens
in der Praxis machten in einzelnen Ländern die Regierungen Anstalt, Antheil
und Einfluß bei der Kirchenregierung dem einzelnen Staate zu sichern. Auf
derartige faktische Arrangements, auf derartige praktische Modifikationen seines
theoretischen Absolutismus ist übrigens zu jeder Zeit das Papstthum einer
energischen und consequenten Regierung gegenüber ohne Gewissensbedenken
und ohne unüberwindliche Schwierigkeiten eingegangen. Das Papstthum
steift sich niemals darauf, mit dem Kopfe durch eine Mauer zu rennen, —
wenn es nur erst die Ueberzeugung gewonnen hat, daß ihm eine wirklich feste
Mauer gegenübersteht. Bis zu diesem Augenblicke unnachgiebig, fügt es sich
dann immer in die Thatsachen, die es nicht zu ändern vermag.

Man kann dieser Papstkirche des ausgehenden Mittelalters, besonders des
14. Jahrhunderts, vielleicht allerlei nachrühmen: das aber kann kein Mensch
von ihr sagen, daß religiöse Ideen und Interessen in ihr eine besondere Dar¬
stellung gefunden. Nein, von welcher Seite auch man dies Bild ansehe, eine
fühlbare Abnahme der religiösen Elemente wird man bei aller äußerlichen
Pracht, eine immer mehr um sich greifende Verweltlichung des kirchlichen Lebens



') Vergl. die scharfsinnige Beweisführung von Frommann, Geschichte und Kritik des va¬
tikanischen Conziles von 1869 u. 1870 (Gotha 1872) S, 286 ff.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/174>, abgerufen am 25.12.2024.