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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Papst einer Prüfung seiner Rechtstitel sich unterwerfen sollte: es existirte keine
Behörde in der Welt, die zu einer derartigen Untersuchung und Rechtsprechung
irgendwie einen Auftrag oder irgendwelche Befugnisse gehabt hätte. Ja, in
früherer Zeit, da war dies anders gewesen; da hatte der neue Papst von
seinem Herren, dem Kaiser, eine Anerkennung sich zu holen gehabt, ehe er
als Papst fungiren konnte. Diese Zeiten aber waren längst vorüber-, in
der damaligen Lage wäre es lächerlich erschienen, darauf zurückgehen zu wollen.

Beim Ausbruch des Schisma hatte in der That die Kirche sich in eine
Sackgasse festgefahren, aus der die kirchliche Praxis und die kirchliche Doctrin
auf legalem Wege nicht herauszukommen wußten.

Und wenn wir jene allmächtige und unbeschränkte Gewaltenfülle des
Papstthums, das historische Resultat der mittelalterlichen Entwickelung, wie
ich glaube, mit Recht auch als das logische Ergebniß aus den Prinzipien der
mittelalterlichen Kirche bezeichnet haben, so werden wir nun das weitere Ur¬
theil hier auszusprechen kein Bedenken tragen: in der Thatsache jenes Schisma
hat diese mittelalterliche Logik der Kirche sich selbst aä g-dsuräum geführt.

Es blieb nichts anderes übrig, als daß man von den bisherigen Prin¬
zipien der Kirche selbst ein Stück preisgab und durch Einführung eines neuen
Gedankens aus der damaligen Situation die Kirche zu erlösen versuchte. Ge¬
lang es nicht einen außerordentlichen und neuen Weg der Rettung zu ent¬
decken, so stand man vor der Auflösung der kirchlichen Einheit, vor einem Zu¬
sammensturze des mittelalterlichen Kirchenwesens überhaupt. Aus unvorher¬
gesehener Noth mußten unvorhergesehene Mittel helfen: wenigstens einen
Versuch galt es zu wagen.

Gerade die kirchlichen Geister waren während des Schisma voll von Be¬
sorgnissen und Klagen; gerade sie mühten sich ab mit der Lösung und Ent¬
wirrung der 1378 heraufbeschworenen Verwickelung. Man war darauf aus:
durch gütliche Zureden die beiden Päpste zu freiwilliger Entsagung zu be¬
wegen. Man erörterte auch, falls der Papst ein motorischer Ketzer geworden,
dann dürfe die Kirche von ihm abfallen; nun aber enthalte die Behauptung
der Papstwürde seitens desjenigen, der nicht Papst sei, eine Ketzerei, und so¬
mit würde die Lossagung von diesen Papstprätendenten ein Weg zur Heilung
des Schisma sein können. Alle diese Mittel aber führten faktisch nicht zum
Ziele. Da eben tauchte eine andere Gedankenreihe empor; sie ging aus von
der Thatsache, daß man sich in ausncchmsweiser Nothlage befinde, in einer
Lage, die durch eine unpassende Ausübung des Wahlrechtes der Cardinäle
geschaffen; nun sei ursprünglich bei der gesammten Kirche die Befugniß ge¬
wesen, ihr Haupt sich zu bestellen: das Wahlrecht der Cardinäle sei nichts
weiter als eine Delegation des der Gesammtkirche zugestandenen Rechtes, und
unfraglich sei die Kirche befugt, wenn die Cardinäle Mißbrauch mit der ihnen


Papst einer Prüfung seiner Rechtstitel sich unterwerfen sollte: es existirte keine
Behörde in der Welt, die zu einer derartigen Untersuchung und Rechtsprechung
irgendwie einen Auftrag oder irgendwelche Befugnisse gehabt hätte. Ja, in
früherer Zeit, da war dies anders gewesen; da hatte der neue Papst von
seinem Herren, dem Kaiser, eine Anerkennung sich zu holen gehabt, ehe er
als Papst fungiren konnte. Diese Zeiten aber waren längst vorüber-, in
der damaligen Lage wäre es lächerlich erschienen, darauf zurückgehen zu wollen.

Beim Ausbruch des Schisma hatte in der That die Kirche sich in eine
Sackgasse festgefahren, aus der die kirchliche Praxis und die kirchliche Doctrin
auf legalem Wege nicht herauszukommen wußten.

Und wenn wir jene allmächtige und unbeschränkte Gewaltenfülle des
Papstthums, das historische Resultat der mittelalterlichen Entwickelung, wie
ich glaube, mit Recht auch als das logische Ergebniß aus den Prinzipien der
mittelalterlichen Kirche bezeichnet haben, so werden wir nun das weitere Ur¬
theil hier auszusprechen kein Bedenken tragen: in der Thatsache jenes Schisma
hat diese mittelalterliche Logik der Kirche sich selbst aä g-dsuräum geführt.

Es blieb nichts anderes übrig, als daß man von den bisherigen Prin¬
zipien der Kirche selbst ein Stück preisgab und durch Einführung eines neuen
Gedankens aus der damaligen Situation die Kirche zu erlösen versuchte. Ge¬
lang es nicht einen außerordentlichen und neuen Weg der Rettung zu ent¬
decken, so stand man vor der Auflösung der kirchlichen Einheit, vor einem Zu¬
sammensturze des mittelalterlichen Kirchenwesens überhaupt. Aus unvorher¬
gesehener Noth mußten unvorhergesehene Mittel helfen: wenigstens einen
Versuch galt es zu wagen.

Gerade die kirchlichen Geister waren während des Schisma voll von Be¬
sorgnissen und Klagen; gerade sie mühten sich ab mit der Lösung und Ent¬
wirrung der 1378 heraufbeschworenen Verwickelung. Man war darauf aus:
durch gütliche Zureden die beiden Päpste zu freiwilliger Entsagung zu be¬
wegen. Man erörterte auch, falls der Papst ein motorischer Ketzer geworden,
dann dürfe die Kirche von ihm abfallen; nun aber enthalte die Behauptung
der Papstwürde seitens desjenigen, der nicht Papst sei, eine Ketzerei, und so¬
mit würde die Lossagung von diesen Papstprätendenten ein Weg zur Heilung
des Schisma sein können. Alle diese Mittel aber führten faktisch nicht zum
Ziele. Da eben tauchte eine andere Gedankenreihe empor; sie ging aus von
der Thatsache, daß man sich in ausncchmsweiser Nothlage befinde, in einer
Lage, die durch eine unpassende Ausübung des Wahlrechtes der Cardinäle
geschaffen; nun sei ursprünglich bei der gesammten Kirche die Befugniß ge¬
wesen, ihr Haupt sich zu bestellen: das Wahlrecht der Cardinäle sei nichts
weiter als eine Delegation des der Gesammtkirche zugestandenen Rechtes, und
unfraglich sei die Kirche befugt, wenn die Cardinäle Mißbrauch mit der ihnen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/176>, abgerufen am 25.12.2024.