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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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weit reiche wie die scheinbare Schwäche und Zaghaftigkeit seiner Gegner und
sagte ein klägliches, ja fast lächerliches Ende seiner Rolle voraus.

Die Freihandels- und die irische Frage gaben Cavour den Stoff zu den
ersten schriftstellerischen Arbeiten, welche er theils in selbständigen Heften, theils
in einer angesehenen Genfer Monatsschrift, der LidIi<Me<iue Universelle,
veröffentlichte.

Die schmucklose rein sachliche Sprache dieser Aufsätze, der klare nüchterne
Gedankeninhalt derselben, ihre kräftige Beweisführung bezeugten die Unbe¬
fangenheit, den Ernst, die Aufrichtigkeit des Verfassers, während dessen poli¬
tischer Scharfsinn sich durch das bald darauf erfolgte Zutreffen seiner den
Ereignissen vorgreifenden Urtheile bewährte.

Nach achtmonatlichen Aufenthalte in der freien Luft Frankreichs und
Englands nach der Heimat zurückgekehrt, empfand er den Druck der öffent¬
lichen Verhältnisse in Piemont so peinlich, daß er sich im eigenen Vaterlande
in einer "intellektuellen Hölle" zu befinden glaubte, "denn hier," fügte er hinzu,
"gelten Kenntniß und Wissenschaft Derer, welche die Güte haben uns zu be¬
herrschen, für höllische Dinge. -- Das heiße ich die Wohlthaten einer väter¬
lichen Regierung zu genießen!"

Um sich vom Genusse dieser Wohlthaten zu zerstreuen, setzte Cavour in
den Mußestunden, welche er seiner wirthschaftlichen Thätigkeit abgewinnen
konnte, seine schriftstellerischen Arbeiten fort, die sich jetzt mehr und mehr den
Aufgaben seines piemontesischen und italienischen Patriotismus zuwendeten.
So in einem Aufsatze über die Eisenbahnen, deren Bedeutung als Bindemittel
der verschiedenen italienischen Landschaften er, zum großen Aergerniß der
Machthaber und ihres Anhanges, mit besonderer Betonung hervorhob.

Die Zeit war bereits angebrochen, wo solche Stimmen Verständniß und
Widerhall im italienischen Volksgeiste fanden, wo ein Cäsar Balbo denselben
mit starker Wirkung zu großen nationalen Hoffnungen aufrufen konnte, wo
ein neuer Papst seine Herrschaft mit der Kundgebung liberaler Gesinnungen
und schüchternen Versuchen des Einlenkens in constitutionelle Bahnen an¬
treten zu müssen glaubte. Die anfänglichen Maßregeln der Negierung Pius
IX. öffneten dem frischen Luftzuge, welcher seit Mitte der vierziger Jahre
durch die europäische Gedankenwelt ging, alle Thüren und Thore Italiens.
Das noch gestern tief verhaßte Papstthum sollte nach der Meinung des heu¬
tigen Tages Errettung aus den Leiden bringen, welche geschichtliches Mißge¬
schick und insbesondere der Stuhl Petre selbst, seit vielen Jahrhunderten über
das Land gebracht und alle Träume einer großen und glücklichen Zukunft
des italienischen Patriotismus verwirklichen. Der sachliche Inhalt dieser Er-
Wartungen freilich blieb der öffentlichen Vorstellung eben so dunkel, wie die
Art und Weise ihrer Verwirklichung, aber gleichviel, Pius IX. wurde auf


weit reiche wie die scheinbare Schwäche und Zaghaftigkeit seiner Gegner und
sagte ein klägliches, ja fast lächerliches Ende seiner Rolle voraus.

Die Freihandels- und die irische Frage gaben Cavour den Stoff zu den
ersten schriftstellerischen Arbeiten, welche er theils in selbständigen Heften, theils
in einer angesehenen Genfer Monatsschrift, der LidIi<Me<iue Universelle,
veröffentlichte.

Die schmucklose rein sachliche Sprache dieser Aufsätze, der klare nüchterne
Gedankeninhalt derselben, ihre kräftige Beweisführung bezeugten die Unbe¬
fangenheit, den Ernst, die Aufrichtigkeit des Verfassers, während dessen poli¬
tischer Scharfsinn sich durch das bald darauf erfolgte Zutreffen seiner den
Ereignissen vorgreifenden Urtheile bewährte.

Nach achtmonatlichen Aufenthalte in der freien Luft Frankreichs und
Englands nach der Heimat zurückgekehrt, empfand er den Druck der öffent¬
lichen Verhältnisse in Piemont so peinlich, daß er sich im eigenen Vaterlande
in einer „intellektuellen Hölle" zu befinden glaubte, „denn hier," fügte er hinzu,
„gelten Kenntniß und Wissenschaft Derer, welche die Güte haben uns zu be¬
herrschen, für höllische Dinge. — Das heiße ich die Wohlthaten einer väter¬
lichen Regierung zu genießen!"

Um sich vom Genusse dieser Wohlthaten zu zerstreuen, setzte Cavour in
den Mußestunden, welche er seiner wirthschaftlichen Thätigkeit abgewinnen
konnte, seine schriftstellerischen Arbeiten fort, die sich jetzt mehr und mehr den
Aufgaben seines piemontesischen und italienischen Patriotismus zuwendeten.
So in einem Aufsatze über die Eisenbahnen, deren Bedeutung als Bindemittel
der verschiedenen italienischen Landschaften er, zum großen Aergerniß der
Machthaber und ihres Anhanges, mit besonderer Betonung hervorhob.

Die Zeit war bereits angebrochen, wo solche Stimmen Verständniß und
Widerhall im italienischen Volksgeiste fanden, wo ein Cäsar Balbo denselben
mit starker Wirkung zu großen nationalen Hoffnungen aufrufen konnte, wo
ein neuer Papst seine Herrschaft mit der Kundgebung liberaler Gesinnungen
und schüchternen Versuchen des Einlenkens in constitutionelle Bahnen an¬
treten zu müssen glaubte. Die anfänglichen Maßregeln der Negierung Pius
IX. öffneten dem frischen Luftzuge, welcher seit Mitte der vierziger Jahre
durch die europäische Gedankenwelt ging, alle Thüren und Thore Italiens.
Das noch gestern tief verhaßte Papstthum sollte nach der Meinung des heu¬
tigen Tages Errettung aus den Leiden bringen, welche geschichtliches Mißge¬
schick und insbesondere der Stuhl Petre selbst, seit vielen Jahrhunderten über
das Land gebracht und alle Träume einer großen und glücklichen Zukunft
des italienischen Patriotismus verwirklichen. Der sachliche Inhalt dieser Er-
Wartungen freilich blieb der öffentlichen Vorstellung eben so dunkel, wie die
Art und Weise ihrer Verwirklichung, aber gleichviel, Pius IX. wurde auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/133>, abgerufen am 26.08.2024.