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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Treu und Glauben als der Heiland seines Volkes anerkannt und mit fast
einmüthiger Begeisterung in Nord und Süd verehrt.

Dieser kindliche Vertrauens- und Hoffnungswunsch konnte natürlich nicht
lange vorhalten. Eine erste Ernüchterung aus derselben offenbarte sich im
Spätjahr 1847 zu Genua in Gestalt des von einer ansehnlichen Versammlung
gefaßten Beschlusses, von der piemontesischen Regierung die Vertreibung der
vertrautesten Helfershelfer des Papstthums, der Jesuiten, zu verlangen. Zu
diesem Zwecke wurden Abgeordnete von Genua nach Turin geschickt, wo man
gleichfalls eine Versammlung namhafter Männer zur Unterstützung des An¬
trags der Genueser veranstaltete. AIs Gegner derselben aber trat Cavour
auf, sei es von kirchlichen Bedenken getrieben, sei es in der Meinung, die
günstige Gelegenheit zu einem unmittelbar politischen Vorgehen benutzen zu
sollen. Er schlug vor, die Jesuitenfrage, als eine Sache von geringem Be¬
lange, auf sich beruhen zu lassen, und die Regierung vielmehr um die Ein¬
führung einer Verfassung anzugehen. Unter heftigem Widerspruch der Einen,
welche in einem solchen Antrage wohl nicht mit Unrecht eine abschwächende
Wendung sahen und der Andern, denen derselbe zu weit ging, entstand eine
stürmische Verhandlung, die darauf hinauslief, daß die Versammlung sich ohne
Ergebniß auflöste.

Im December 1847 wurde Cavour Mitbegründer und Redakteur des
Risorgimento, das unter seiner Leitung in den letzten Tagen des Jahres an
die Spitze der Turiner Tagespresse trat. Dem Namen nach bestanden die
alten piemontesischen Preßgesetze, insbesondere auch die Censur noch fort, aber
sie waren wie unter ähnlichen Umstanden im damaligen Deutschland, ein
todter Buchstabe geworden. Dem Risorgimento sicherte überdies die natür¬
liche Mäßigung seines Herausgebers alle Freiheit des Spielraums, dessen
Cavour bedürfte, dem es viel mehr um Belehrung seines Publikums, als um
dessen Aufregung, mehr um Berichtigung als um leidenschaftliche Bekämpfung
der bestehenden Gewalten zu thun war. In ruhigem, etwas schulmeisterlichem
Tone, suchte er dem Leser insbesondere die nothwendigsten politischen Begriffe
beizubringen, die der großen Menge in Italien bis dahin völlig fremd ge¬
blieben, und wenn er sich keinen Anspruch auf den Namen eines gewandten,
beredten, mit sich fortreißenden Zeitungsschreibers warb, so gewann er viel¬
leicht ein desto größeres Verdienst durch die erste Schulung des italienischen
Staatsgeistes. Cäsar Balbo indessen, von dem der erste Weckruf an die ita¬
lienische Nation ergangen, fand den Ton und die Haltung des Risorgimento
gleichwohl so gewagt, daß er sich bald von der Mitredaktion desselben
lossagte.

In den ersten Wochen des Jahres 1848 schwoll der Neuerungsdrang
in ganz Italien zu einer Sturmflut an, welche den absolutistischen Starrsinn


Treu und Glauben als der Heiland seines Volkes anerkannt und mit fast
einmüthiger Begeisterung in Nord und Süd verehrt.

Dieser kindliche Vertrauens- und Hoffnungswunsch konnte natürlich nicht
lange vorhalten. Eine erste Ernüchterung aus derselben offenbarte sich im
Spätjahr 1847 zu Genua in Gestalt des von einer ansehnlichen Versammlung
gefaßten Beschlusses, von der piemontesischen Regierung die Vertreibung der
vertrautesten Helfershelfer des Papstthums, der Jesuiten, zu verlangen. Zu
diesem Zwecke wurden Abgeordnete von Genua nach Turin geschickt, wo man
gleichfalls eine Versammlung namhafter Männer zur Unterstützung des An¬
trags der Genueser veranstaltete. AIs Gegner derselben aber trat Cavour
auf, sei es von kirchlichen Bedenken getrieben, sei es in der Meinung, die
günstige Gelegenheit zu einem unmittelbar politischen Vorgehen benutzen zu
sollen. Er schlug vor, die Jesuitenfrage, als eine Sache von geringem Be¬
lange, auf sich beruhen zu lassen, und die Regierung vielmehr um die Ein¬
führung einer Verfassung anzugehen. Unter heftigem Widerspruch der Einen,
welche in einem solchen Antrage wohl nicht mit Unrecht eine abschwächende
Wendung sahen und der Andern, denen derselbe zu weit ging, entstand eine
stürmische Verhandlung, die darauf hinauslief, daß die Versammlung sich ohne
Ergebniß auflöste.

Im December 1847 wurde Cavour Mitbegründer und Redakteur des
Risorgimento, das unter seiner Leitung in den letzten Tagen des Jahres an
die Spitze der Turiner Tagespresse trat. Dem Namen nach bestanden die
alten piemontesischen Preßgesetze, insbesondere auch die Censur noch fort, aber
sie waren wie unter ähnlichen Umstanden im damaligen Deutschland, ein
todter Buchstabe geworden. Dem Risorgimento sicherte überdies die natür¬
liche Mäßigung seines Herausgebers alle Freiheit des Spielraums, dessen
Cavour bedürfte, dem es viel mehr um Belehrung seines Publikums, als um
dessen Aufregung, mehr um Berichtigung als um leidenschaftliche Bekämpfung
der bestehenden Gewalten zu thun war. In ruhigem, etwas schulmeisterlichem
Tone, suchte er dem Leser insbesondere die nothwendigsten politischen Begriffe
beizubringen, die der großen Menge in Italien bis dahin völlig fremd ge¬
blieben, und wenn er sich keinen Anspruch auf den Namen eines gewandten,
beredten, mit sich fortreißenden Zeitungsschreibers warb, so gewann er viel¬
leicht ein desto größeres Verdienst durch die erste Schulung des italienischen
Staatsgeistes. Cäsar Balbo indessen, von dem der erste Weckruf an die ita¬
lienische Nation ergangen, fand den Ton und die Haltung des Risorgimento
gleichwohl so gewagt, daß er sich bald von der Mitredaktion desselben
lossagte.

In den ersten Wochen des Jahres 1848 schwoll der Neuerungsdrang
in ganz Italien zu einer Sturmflut an, welche den absolutistischen Starrsinn


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[0134] Treu und Glauben als der Heiland seines Volkes anerkannt und mit fast einmüthiger Begeisterung in Nord und Süd verehrt. Dieser kindliche Vertrauens- und Hoffnungswunsch konnte natürlich nicht lange vorhalten. Eine erste Ernüchterung aus derselben offenbarte sich im Spätjahr 1847 zu Genua in Gestalt des von einer ansehnlichen Versammlung gefaßten Beschlusses, von der piemontesischen Regierung die Vertreibung der vertrautesten Helfershelfer des Papstthums, der Jesuiten, zu verlangen. Zu diesem Zwecke wurden Abgeordnete von Genua nach Turin geschickt, wo man gleichfalls eine Versammlung namhafter Männer zur Unterstützung des An¬ trags der Genueser veranstaltete. AIs Gegner derselben aber trat Cavour auf, sei es von kirchlichen Bedenken getrieben, sei es in der Meinung, die günstige Gelegenheit zu einem unmittelbar politischen Vorgehen benutzen zu sollen. Er schlug vor, die Jesuitenfrage, als eine Sache von geringem Be¬ lange, auf sich beruhen zu lassen, und die Regierung vielmehr um die Ein¬ führung einer Verfassung anzugehen. Unter heftigem Widerspruch der Einen, welche in einem solchen Antrage wohl nicht mit Unrecht eine abschwächende Wendung sahen und der Andern, denen derselbe zu weit ging, entstand eine stürmische Verhandlung, die darauf hinauslief, daß die Versammlung sich ohne Ergebniß auflöste. Im December 1847 wurde Cavour Mitbegründer und Redakteur des Risorgimento, das unter seiner Leitung in den letzten Tagen des Jahres an die Spitze der Turiner Tagespresse trat. Dem Namen nach bestanden die alten piemontesischen Preßgesetze, insbesondere auch die Censur noch fort, aber sie waren wie unter ähnlichen Umstanden im damaligen Deutschland, ein todter Buchstabe geworden. Dem Risorgimento sicherte überdies die natür¬ liche Mäßigung seines Herausgebers alle Freiheit des Spielraums, dessen Cavour bedürfte, dem es viel mehr um Belehrung seines Publikums, als um dessen Aufregung, mehr um Berichtigung als um leidenschaftliche Bekämpfung der bestehenden Gewalten zu thun war. In ruhigem, etwas schulmeisterlichem Tone, suchte er dem Leser insbesondere die nothwendigsten politischen Begriffe beizubringen, die der großen Menge in Italien bis dahin völlig fremd ge¬ blieben, und wenn er sich keinen Anspruch auf den Namen eines gewandten, beredten, mit sich fortreißenden Zeitungsschreibers warb, so gewann er viel¬ leicht ein desto größeres Verdienst durch die erste Schulung des italienischen Staatsgeistes. Cäsar Balbo indessen, von dem der erste Weckruf an die ita¬ lienische Nation ergangen, fand den Ton und die Haltung des Risorgimento gleichwohl so gewagt, daß er sich bald von der Mitredaktion desselben lossagte. In den ersten Wochen des Jahres 1848 schwoll der Neuerungsdrang in ganz Italien zu einer Sturmflut an, welche den absolutistischen Starrsinn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/134>, abgerufen am 25.12.2024.