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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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lieben Oberhaupte Guizot -- denn Royer Collard trat bereits von der Lei¬
tung der von ihm gegründeten Partei zurück -- er indessen als ein unbe¬
kannter Neuling nicht die Aufnahme fand, die ihn ermuthigt hätte, die per¬
sönliche Bekanntschaft mit dem damals wichtigsten der Staatsmänner Frank¬
reichs weiter zu pflegen. Seine im besten Sinne des Worts aristokratische
Natur und Bildung hinderte ihn übrigens nicht, sich nach den in Paris
empfangenen Eindrücken kaltblütig dahin auszusprechen, daß Frankreich, und-
wie er meinte, die zeitgenössische Welt überhaupt, sich mehr und mehr einer
demokratischen Zukunft zuwende und daß insbesondere der Adel seine histo¬
rische Rolle für immer ausgespielt habe. Gleichwohl blieb Cavour ein warmer
Freund der Regierung Ludwig Philipp's und Frankreichs, dessen Volk er
von jeher für das erste der Welt gehalten, und von dessen Einfluß vorzugs¬
weise er das Heil Italiens erwartete, eine Ansicht, welche auch nach seinem
von Paris unternommenen Ausfluge nach London für dies Mal unverändert
geblieben zu sein scheint.

Bei späteren Reisen in derselben Richtung jedoch suchte Cavour in Paris
vorzugsweise die Genüsse des Verkehrs in der vornehmen Welt, während er
in England sich mit großem Eifer darauf verlegte, zu lernen. Ackerbau und
Gewerbswesen, Finanzkunst und Volkswirthschaft in England wurden zu¬
gleich Gegenstände seiner eben so scharfen wie unermüdlichen Beobachtung,
und wenn er unter den Franzosen die Freuden des Lebens in vollen Zügen
genossen, so kehrte er aus der Mitte der Engländer sehr bereicherten Geistes
in die Heimat zurück. Je mehr er Großbritannien kennen lernte, desto höher
stieg seine Achtung vor dessen Volke und vor den öffentlichen Zuständen, die
sich dasselbe trotz seiner schwerfälligen Verfassung zu schaffen gewußt, er konnte
von den britischen Staatsmännern, namentlich einem Pitt, Canning, Peel mit
Bewunderung sprechen und wurde nach dem Vorbilde Cobden's zum ent¬
schlossenen Bekenner des Freihandels, welchem er den bevorstehenden Sieg in
England und demnächst in der ganzen Welt als eins der segenreichsten Er¬
eignisse der Zukunft voraussagte. Großbritannien galt ihm von jetzt an
überhaupt als der Vortrab des Fortschritts der Menschheit, und in dem an¬
geborenen Freiheitsdrangs wie in der anerzogenen Mäßigung des angelsächsi¬
schen Volksgeistes erkannte er die sichere Bürgschaft gegen lähmenden Still¬
stand wie gegen zerstörende Ueberstürzung der politischen Entwickelung.

In der gegen die Mitte der vierziger Jahre zu höchster Glut angefach¬
ten Repealfrage, nahm Cavour sehr lebhaft Partei für die Aufrechterhal¬
tung der britisch-irischen Union. Er dachte, im grellen Widerspruch mit der
öffentlichen Meinung Frankreichs und fast des ganzen Festlandes, gering von
O'Connell, war der Meinung, daß dessen Angriffskraft und Muth nur so


lieben Oberhaupte Guizot — denn Royer Collard trat bereits von der Lei¬
tung der von ihm gegründeten Partei zurück — er indessen als ein unbe¬
kannter Neuling nicht die Aufnahme fand, die ihn ermuthigt hätte, die per¬
sönliche Bekanntschaft mit dem damals wichtigsten der Staatsmänner Frank¬
reichs weiter zu pflegen. Seine im besten Sinne des Worts aristokratische
Natur und Bildung hinderte ihn übrigens nicht, sich nach den in Paris
empfangenen Eindrücken kaltblütig dahin auszusprechen, daß Frankreich, und-
wie er meinte, die zeitgenössische Welt überhaupt, sich mehr und mehr einer
demokratischen Zukunft zuwende und daß insbesondere der Adel seine histo¬
rische Rolle für immer ausgespielt habe. Gleichwohl blieb Cavour ein warmer
Freund der Regierung Ludwig Philipp's und Frankreichs, dessen Volk er
von jeher für das erste der Welt gehalten, und von dessen Einfluß vorzugs¬
weise er das Heil Italiens erwartete, eine Ansicht, welche auch nach seinem
von Paris unternommenen Ausfluge nach London für dies Mal unverändert
geblieben zu sein scheint.

Bei späteren Reisen in derselben Richtung jedoch suchte Cavour in Paris
vorzugsweise die Genüsse des Verkehrs in der vornehmen Welt, während er
in England sich mit großem Eifer darauf verlegte, zu lernen. Ackerbau und
Gewerbswesen, Finanzkunst und Volkswirthschaft in England wurden zu¬
gleich Gegenstände seiner eben so scharfen wie unermüdlichen Beobachtung,
und wenn er unter den Franzosen die Freuden des Lebens in vollen Zügen
genossen, so kehrte er aus der Mitte der Engländer sehr bereicherten Geistes
in die Heimat zurück. Je mehr er Großbritannien kennen lernte, desto höher
stieg seine Achtung vor dessen Volke und vor den öffentlichen Zuständen, die
sich dasselbe trotz seiner schwerfälligen Verfassung zu schaffen gewußt, er konnte
von den britischen Staatsmännern, namentlich einem Pitt, Canning, Peel mit
Bewunderung sprechen und wurde nach dem Vorbilde Cobden's zum ent¬
schlossenen Bekenner des Freihandels, welchem er den bevorstehenden Sieg in
England und demnächst in der ganzen Welt als eins der segenreichsten Er¬
eignisse der Zukunft voraussagte. Großbritannien galt ihm von jetzt an
überhaupt als der Vortrab des Fortschritts der Menschheit, und in dem an¬
geborenen Freiheitsdrangs wie in der anerzogenen Mäßigung des angelsächsi¬
schen Volksgeistes erkannte er die sichere Bürgschaft gegen lähmenden Still¬
stand wie gegen zerstörende Ueberstürzung der politischen Entwickelung.

In der gegen die Mitte der vierziger Jahre zu höchster Glut angefach¬
ten Repealfrage, nahm Cavour sehr lebhaft Partei für die Aufrechterhal¬
tung der britisch-irischen Union. Er dachte, im grellen Widerspruch mit der
öffentlichen Meinung Frankreichs und fast des ganzen Festlandes, gering von
O'Connell, war der Meinung, daß dessen Angriffskraft und Muth nur so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/132>, abgerufen am 26.08.2024.