Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.gebraucht wird und in Ranke's Geschichte der Päpste nicht eine Nervengeschwulst Die Regeln, die Sanders im vierten Capitel (S. 22 -- 31) über die An¬ Grenzboten M. 1873. 12
gebraucht wird und in Ranke's Geschichte der Päpste nicht eine Nervengeschwulst Die Regeln, die Sanders im vierten Capitel (S. 22 — 31) über die An¬ Grenzboten M. 1873. 12
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gebraucht wird und in Ranke's Geschichte der Päpste nicht eine Nervengeschwulst
bedeuten kann, darüber wird doch der Mediciner wie der Historiker nicht einen
Augenblick im Zweifel sein. Und wenn auch kein Mensch Schröderdevri-
ent oder Br aun Wiesbaden schreiben wird, was ist gegen Shake¬
speares chwärm erei oder Goetheliteratur einzuwenden? Auch Worte
wie Stillleben, Stammmutter, Brenn messet, Fett tropfen, Klee¬
ernte durch Bindestriche zu trennen liegt keine rechte Nöthigung vor. Anstatt
Schifffahrt will Sanders, im Einklang mit dem bisherigen durchaus zu
billigenden Gebrauche Schiffahrt schreiben, und doch hält er Bett-Tuch
für nothwendig; was ist denn aber ein Bettuch anders? Giebt es denn Tücher
zum Beten? Daß Architekturtheil von jemandem Architekt-Urtheil
gelesen werden könnte, ist wohl auch nur ein Scherz. Denn Sanders weiß
doch, daß man nur von einem A res itektenurthe it reden kann, aber nicht
von einem Fürsthaus, Schützhut, Mondglanz. Was endlich Bildungen be¬
trifft, wie das Jn-Betracht-ziehen, das Außer-Gang-gesetzt-sein
die Kredit-in-Anspruch-Nahme, so sind wir der ketzerischen Ansicht
daß diese Sprachmonstra gar nicht werth sind, daß man sich um sie kümmert.
Nicht wie man sie schreiben, sondern wie man sie ausmärzen soll, das ist die
Frage. Diese ungeheuerlichen Conglomerate schießen neuerdings wie Pilze empor,
und zwar wuchern sie am üppigsten in dem Sandboden des Allerseits und
auf dem schlüpfrigen Erdreich der Journalistik; dort ist es das Streben nach
einem möglichst wichtig und mit bureaukratischer Amtsmiene einhcrtrottenden
Ausdrucke, der sie erzeugt, hier die gedankenlose Hast des Pfennigschreibers,
die nicht die Zeit dazu findet, nach dem naheliegenden einfachen Worte zu
suchen. Alle diese Monstra zeigen sich, sobald man sie genau besieht, sofort
in ihrer ganzen hohlen Ueberflüssigkeit und lassen sich theils durch sehr einfache
und wohlklingende Sätze, theils durch ungemein nahe liegende Synonyma
ersetzen.
Die Regeln, die Sanders im vierten Capitel (S. 22 — 31) über die An¬
wendung des Apostrophs giebt, kann man wiederum nur billigen. Man braucht
gar kein feingebildetes Ohr zusahen, um den Unterschied zwischen hob're und
höre, nah're und nähre, froh'ren und froren herauszuempfinden
Der Vocal klingt in jedem dieser Wortpaare zweimal verschieden, und einem
peinlichen Englishman, der sich dem Deutschen gegenüber auf den unnachahmlichen
Reichthum seines Vocalismus etwas zu Gute thut, könnte man sehr wohl
diese Beispiele als eben so unlösbare Gegenaufgabe vorführen. Auch die Aus¬
sprache von Gras und „bald gras' ich am Neckar", von lieb und „das lieb'
ich nicht" ist eine grundverschiedene, und noch auffälliger tritt die Abweichung
hervor bei Dach's und Dachs, Buch's und „ein Trinkgefäß von Buchs"
(Uhland). In allen solchen Fällen muß man den Apostroph unbedingt als
Grenzboten M. 1873. 12
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