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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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sehr dick, desgleichen die Wände, die letzteren haben viereckige Löcher, welche
Fenster vorstellen. In einiger Entfernung haben diese Hütten ein pelziges
Aussehen, wie wenn sie von Bärenfellen gemacht wären. Drinnen ist es
sehr kühl und angenehm. Die Flagge des Königs flatterte von einer dieser
Hütten, und Seine Majestät war vermuthlich darin. Er besitzt das ganze
Land hierherum und verbringt an schwülen Tagen häusig seine Zeit hier mit
Faulenzen. Der Ort heißt deshalb "der Hain des Königs".

Nahe dabei ist eine interessante Ruine -- die dürftigen Reste eines alten
Heidentempels -- ein Ort, wo Menschenopfer gebracht wurden in jenen ver¬
gangnen Tagen, in denen das einfache Naturkind, nachdem es vor schwerer
Versuchung einen Augenblick der Sünde nachgegeben, seinen Irrthum aner¬
kannte und mit edler Offenheit herzutrat und seine Großmutter als Sühn¬
opfer darbot -- in jenen alten Tagen, wo der unglückliche Sünder fort¬
fahren konnte, sein Gewissen zu säubern und zeitweilig sich glücklich zu füh¬
len, so lange seine Verwandtschaft reichte -- lange, lange bevor die Mis-
sionäre, tausend Entbehrungen nicht achtend, herkamen und sie bleibend elend
machten, indem sie ihnen erzählten, was für ein schöner und segensvoller
Ort der Himmel und wie es fast unmöglich ist, in ihn zu gelangen, und dem
armen Eingebornen zeigten, was für ein trauriger Ort die Hölle ist, und
wie unnöthig freigebig die Gelegenheiten geschaffen sind, dahin zu kommen,
ihm zeigten, wie er in seiner Unwissenheit hingegangen und all seine Sippe
albern und zwecklos vertrödelt, ihm zeigten, was für eine Wonne es ist,
den ganzen Tag für fünfzig Cents zu arbeiten, um Nahrung für den näch¬
sten Morgen damit kaufen zu können, was für eine Wonne, verglichen mit
der Vergangenheit, wo man sich mit einem Fischzug sein Mittagsbrod ge¬
wann, einen ewigen Sommer im Schatten verträumte und von der Fülle
aß. für deren Beschaffung niemand als Mutter Natur arbeitete. Wie betrü¬
bend ist es, wenn man denkt, daß Massen von Menschen auf dieser schönen
Insel in ihr Grab gestiegen sind ohne zu wissen, daß es eine Hölle giebt!

Dieser alte Tempel war von rauhen Lavablöcken erbaut und einfach eine
dachlose Einzäunung, hundertundreißig Fuß lang und siebzig Fuß breit --
nichts als nackte Mauern, sehr dick, aber nicht viel höher als von Manns¬
höhe. Sie werden, wenn man sie ungestört läßt, ohne Zweifel ewig dauern.
Ihre drei Altäre und anderes geheiligtes Zubehör sind schon seit Jahren zer¬
bröckelt und verschwunden. Es heißt, daß in alten Zeiten Tausende mersch,
licher Wesen hier in Gegenwart nackter und heulender Wilden hingeschlachtet
worden sind. Wenn diese stummen Felsblöcke sprechen könnten, was für Bil¬
der könnten sie beschreiben von gefesselten Opfern, die sich unter dem Messer
winden, von dichtgedrängten Menschenleibern, die mit grimmigen, von Opfer-


sehr dick, desgleichen die Wände, die letzteren haben viereckige Löcher, welche
Fenster vorstellen. In einiger Entfernung haben diese Hütten ein pelziges
Aussehen, wie wenn sie von Bärenfellen gemacht wären. Drinnen ist es
sehr kühl und angenehm. Die Flagge des Königs flatterte von einer dieser
Hütten, und Seine Majestät war vermuthlich darin. Er besitzt das ganze
Land hierherum und verbringt an schwülen Tagen häusig seine Zeit hier mit
Faulenzen. Der Ort heißt deshalb „der Hain des Königs".

Nahe dabei ist eine interessante Ruine — die dürftigen Reste eines alten
Heidentempels — ein Ort, wo Menschenopfer gebracht wurden in jenen ver¬
gangnen Tagen, in denen das einfache Naturkind, nachdem es vor schwerer
Versuchung einen Augenblick der Sünde nachgegeben, seinen Irrthum aner¬
kannte und mit edler Offenheit herzutrat und seine Großmutter als Sühn¬
opfer darbot — in jenen alten Tagen, wo der unglückliche Sünder fort¬
fahren konnte, sein Gewissen zu säubern und zeitweilig sich glücklich zu füh¬
len, so lange seine Verwandtschaft reichte — lange, lange bevor die Mis-
sionäre, tausend Entbehrungen nicht achtend, herkamen und sie bleibend elend
machten, indem sie ihnen erzählten, was für ein schöner und segensvoller
Ort der Himmel und wie es fast unmöglich ist, in ihn zu gelangen, und dem
armen Eingebornen zeigten, was für ein trauriger Ort die Hölle ist, und
wie unnöthig freigebig die Gelegenheiten geschaffen sind, dahin zu kommen,
ihm zeigten, wie er in seiner Unwissenheit hingegangen und all seine Sippe
albern und zwecklos vertrödelt, ihm zeigten, was für eine Wonne es ist,
den ganzen Tag für fünfzig Cents zu arbeiten, um Nahrung für den näch¬
sten Morgen damit kaufen zu können, was für eine Wonne, verglichen mit
der Vergangenheit, wo man sich mit einem Fischzug sein Mittagsbrod ge¬
wann, einen ewigen Sommer im Schatten verträumte und von der Fülle
aß. für deren Beschaffung niemand als Mutter Natur arbeitete. Wie betrü¬
bend ist es, wenn man denkt, daß Massen von Menschen auf dieser schönen
Insel in ihr Grab gestiegen sind ohne zu wissen, daß es eine Hölle giebt!

Dieser alte Tempel war von rauhen Lavablöcken erbaut und einfach eine
dachlose Einzäunung, hundertundreißig Fuß lang und siebzig Fuß breit —
nichts als nackte Mauern, sehr dick, aber nicht viel höher als von Manns¬
höhe. Sie werden, wenn man sie ungestört läßt, ohne Zweifel ewig dauern.
Ihre drei Altäre und anderes geheiligtes Zubehör sind schon seit Jahren zer¬
bröckelt und verschwunden. Es heißt, daß in alten Zeiten Tausende mersch,
licher Wesen hier in Gegenwart nackter und heulender Wilden hingeschlachtet
worden sind. Wenn diese stummen Felsblöcke sprechen könnten, was für Bil¬
der könnten sie beschreiben von gefesselten Opfern, die sich unter dem Messer
winden, von dichtgedrängten Menschenleibern, die mit grimmigen, von Opfer-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/70>, abgerufen am 06.02.2025.