Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.wie wir wiederholen, niemals eine Anschauung, sondern durch die von dem Wenden wir uns zu Wagner's Dichtung. Wir stoßen hier von Schritt Grenzboten III. 1873. 63
wie wir wiederholen, niemals eine Anschauung, sondern durch die von dem Wenden wir uns zu Wagner's Dichtung. Wir stoßen hier von Schritt Grenzboten III. 1873. 63
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wie wir wiederholen, niemals eine Anschauung, sondern durch die von dem
logischen Urtheil normirte Phantasie, die unter dieser Norm, nach deren ver¬
schiedener Entwicklung, den sinnlichen Stoff zum Gegenstand bildet. Die
innere Anschauung unterscheidet sich nun von der äußeren, sofern sie nicht de¬
ren einfache Reproduktion, also bloße Erinnerung ist, durch ein weit freieres
Gebahren mit dem sinnlichen Stoff. Daher kann die Dichtung der innerlich
bildenden Phantasie Dinge zumuthen, welche der zum Theil an die äußere Anschau¬
ung gebundenen Phantasie niemals zugemuthet werden können; daher muß Vieles,
was für die innere Phantasie ergreifend und imponirend ist, für die äußere An¬
schauung abstoßend oder lächerlich werden. Denn was bei der Uebertragung der
inneren Phantasie in die äußere Anschauung unternommen wird, sofern die
erstere von dem ihr eignen Recht Gebrauch gemacht hat, ist das Gebahren der
Phantasie mit der äußerlich angeschauter Sinnlichkeit, als wäre sie nur inner¬
lich angeschaut. Das Ergebniß ist jener Widerspruch, auf welchem das Lä¬
cherliche beruht. Die innere Phantasie bringt nicht nur auf dem Gebiet der
Poesie Wirkungen hervor, die, wenn man die Phantasie- beim Wort nehmen
wollte und die entsprechende sinnliche Erscheinung hervorrufen, das furchtbarste
Gegentheil der ersten Wirkung erzeugen würden. Viele Wunder des religiösen
Glaubens beruhen auf dem eigenthümlichen Gesetz der inneren Phantasie.
Wenden wir uns zu Wagner's Dichtung. Wir stoßen hier von Schritt
zu Schritt auf Vorgänge, deren Wirkung großartig ist auf die innere Phan¬
tasie, unmöglich auf die an äußere Anschauung gebundene Phantasie. Wir
wollen das Rheingold, dessen Vorgänge sich zum Theil im Rhein abspielen,
woselbst wir erst unter dem Rhein festen Boden fühlen, ganz übergehen.
Wir wollen uns gleich zur Walküre und zu den folgenden Dramen wenden.
Zwei Helden, die im Gewittersturm auf einem Bergjoch kämpfen, sind eine
großartige Vorstellung für die innere Phantasie. Aber für die samische An¬
schauung, und wenn wir sie durch die kostbarsten, best berechneten Mittel
hergestellt denken! Wie sollen wir an die Höhe eines Theaterberges glauben,
wie soll uns eine Gewitterwolke auf dem Theater Schrecken erregen! Die
reine Phantasie stellt uns wohl ein Bergjoch vor, zugleich mit der Breite,
um riesigen Heldengestalten heftig ausschreitende Bewegungen zu gestatten,
und zugleich von der Schmale, die Gefahr ihres Herabstürzens befürchten zu
lassen. Die innere Phantasie sieht zugleich von rechts und von links, von
oben und von unten. Es war eigentlich das Gesetz der inneren Phantasie,
welches Lessing in seinem Laokoon aufstellte, um den Unterschied der Malerei
und der Poesie zu begründen. Die innere Phantasie leistet alle jene Wunder,
weil sie successiv verfährt. Man darf nun aber ja nicht glauben, die samische
Darstellung könne in derselben Weise successiv verfahren wie die innere Phan¬
tasie, etwa weil die erstere ebenfalls ein Nacheinander zeitlich vorführt. Wenn
Grenzboten III. 1873. 63
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