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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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zu lesen stand, in der Druckerei der amtlichen "Straßburger Zeitung" herze,
stellt worden war.

Von Interesse ist die Frage, wie sich die ultramontane Partei in dem
Wahlkampfe verhalten hat. Auffallenderweise hat sie eine umfassende Agitation
offenbar nicht betrieben. Nur in einzelnen Kantonen scheint sie selbständig auf¬
getreten zu sein und hat in der That in einigen Kreistagswahlen gesiegt.
Eine Hauptdcmonstration setzte sie in der Umgegend von Mülhausen in Scene,
indem sie den Superior des Nedemptoristenklosters von Rüdisheim, Reuber,
und den ausgewiesenen Generalviear Rapp auf den Schild erhebt. Ob sie
damit durchdringt, steht im Augenblick, da wir schreiben, noch dahin,*) Im
Uebrigen wird die Enthaltungspredigt der Liga wol von keiner Partei besser
befolgt worden sein, als von der klerikalen. In Straßburg wird vielfach
von einer Coalition der Ultramontanen und Radikalen gesprochen, welche den
letzteren zum Siege verholfen hätte; wir glauben nicht, daß die Anhänger des
Herrn Lauts von dieser Seite eine nennenswerthe Unterstützung erhalten
haben. Legt man die Zahlen der Gemeinderathswahlen von 1871, bei welchen
sich Liberale und Ultramontane gegenüberstanden, zu Grunde, so wäre es,
angesichts der in der liberalen Partei eingetretenen Spaltung, den Ultramon¬
tanen ein Leichtes gewesen, ihre eigenen Candidaten durchzusetzen. Gro߬
müthige Verzichtleistung auf den eigenen Bortheil zu Gunsten einer anderen
Partei haben sich aber die römischen Heerschaaren schwerlich jemals zu Schulden
kommen lassen. Das Wahrscheinlichste bleibt also immer, daß sie sich im All-
gemeinen der Wahl enthalten haben. Warum, ist freilich schwer zu sagen.
Schienen ihnen die unpolitischen Körperschaften der Bezirks- und Kreisver¬
tretungen nicht das geeignete Feld für ihre Thätigkeit? Oder fühlten sie sich
wirklich zu schwach? Eine Möglichkeit wäre immerhin, daß ihre Reihen
momentan bedenklich gelichtet waren. Bekanntlich soll nach dem Wahlgesetz
vom 24. Januar d. I. das Wahlrecht aller Elsaß-Lothringer, welche für die
französische Nationalität optirt haben, aber nicht ausgewandert sind, so lange
ruhen, bis sie ihre Optionserklärung vor dem Kreisdirektor ausdrücklich
zurückgenommen haben. Nun erinnert man sich aber, daß gerade in den
katholischen Distrikten der Agitationsschwindel im Sinne einer deutschfeindlichen
Demonstration mit ganz besonderer Emphase betrieben wurde.' Leicht möglich,
daß infolgedessen eine nicht unwesentliche Anzahl der klerikalen Männer in
den diesjährigen Wahllisten gestrichen war.

Einerlei indeß, wie dem sei, Thatsache bleibt, daß die Gewählten in
ihrer ganz überwiegenden Mehrzahl als der "gemäßigten Partei" angehörig
betrachtet werden dürfen. Freilich ist dieß "gemäßigt" noch keineswegs gleich¬
bedeutend mit "deutschfreundlich". Wie könnte man eine solche Stimmung



D. Red.

zu lesen stand, in der Druckerei der amtlichen „Straßburger Zeitung" herze,
stellt worden war.

Von Interesse ist die Frage, wie sich die ultramontane Partei in dem
Wahlkampfe verhalten hat. Auffallenderweise hat sie eine umfassende Agitation
offenbar nicht betrieben. Nur in einzelnen Kantonen scheint sie selbständig auf¬
getreten zu sein und hat in der That in einigen Kreistagswahlen gesiegt.
Eine Hauptdcmonstration setzte sie in der Umgegend von Mülhausen in Scene,
indem sie den Superior des Nedemptoristenklosters von Rüdisheim, Reuber,
und den ausgewiesenen Generalviear Rapp auf den Schild erhebt. Ob sie
damit durchdringt, steht im Augenblick, da wir schreiben, noch dahin,*) Im
Uebrigen wird die Enthaltungspredigt der Liga wol von keiner Partei besser
befolgt worden sein, als von der klerikalen. In Straßburg wird vielfach
von einer Coalition der Ultramontanen und Radikalen gesprochen, welche den
letzteren zum Siege verholfen hätte; wir glauben nicht, daß die Anhänger des
Herrn Lauts von dieser Seite eine nennenswerthe Unterstützung erhalten
haben. Legt man die Zahlen der Gemeinderathswahlen von 1871, bei welchen
sich Liberale und Ultramontane gegenüberstanden, zu Grunde, so wäre es,
angesichts der in der liberalen Partei eingetretenen Spaltung, den Ultramon¬
tanen ein Leichtes gewesen, ihre eigenen Candidaten durchzusetzen. Gro߬
müthige Verzichtleistung auf den eigenen Bortheil zu Gunsten einer anderen
Partei haben sich aber die römischen Heerschaaren schwerlich jemals zu Schulden
kommen lassen. Das Wahrscheinlichste bleibt also immer, daß sie sich im All-
gemeinen der Wahl enthalten haben. Warum, ist freilich schwer zu sagen.
Schienen ihnen die unpolitischen Körperschaften der Bezirks- und Kreisver¬
tretungen nicht das geeignete Feld für ihre Thätigkeit? Oder fühlten sie sich
wirklich zu schwach? Eine Möglichkeit wäre immerhin, daß ihre Reihen
momentan bedenklich gelichtet waren. Bekanntlich soll nach dem Wahlgesetz
vom 24. Januar d. I. das Wahlrecht aller Elsaß-Lothringer, welche für die
französische Nationalität optirt haben, aber nicht ausgewandert sind, so lange
ruhen, bis sie ihre Optionserklärung vor dem Kreisdirektor ausdrücklich
zurückgenommen haben. Nun erinnert man sich aber, daß gerade in den
katholischen Distrikten der Agitationsschwindel im Sinne einer deutschfeindlichen
Demonstration mit ganz besonderer Emphase betrieben wurde.' Leicht möglich,
daß infolgedessen eine nicht unwesentliche Anzahl der klerikalen Männer in
den diesjährigen Wahllisten gestrichen war.

Einerlei indeß, wie dem sei, Thatsache bleibt, daß die Gewählten in
ihrer ganz überwiegenden Mehrzahl als der „gemäßigten Partei" angehörig
betrachtet werden dürfen. Freilich ist dieß „gemäßigt" noch keineswegs gleich¬
bedeutend mit „deutschfreundlich". Wie könnte man eine solche Stimmung



D. Red.
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[0046] zu lesen stand, in der Druckerei der amtlichen „Straßburger Zeitung" herze, stellt worden war. Von Interesse ist die Frage, wie sich die ultramontane Partei in dem Wahlkampfe verhalten hat. Auffallenderweise hat sie eine umfassende Agitation offenbar nicht betrieben. Nur in einzelnen Kantonen scheint sie selbständig auf¬ getreten zu sein und hat in der That in einigen Kreistagswahlen gesiegt. Eine Hauptdcmonstration setzte sie in der Umgegend von Mülhausen in Scene, indem sie den Superior des Nedemptoristenklosters von Rüdisheim, Reuber, und den ausgewiesenen Generalviear Rapp auf den Schild erhebt. Ob sie damit durchdringt, steht im Augenblick, da wir schreiben, noch dahin,*) Im Uebrigen wird die Enthaltungspredigt der Liga wol von keiner Partei besser befolgt worden sein, als von der klerikalen. In Straßburg wird vielfach von einer Coalition der Ultramontanen und Radikalen gesprochen, welche den letzteren zum Siege verholfen hätte; wir glauben nicht, daß die Anhänger des Herrn Lauts von dieser Seite eine nennenswerthe Unterstützung erhalten haben. Legt man die Zahlen der Gemeinderathswahlen von 1871, bei welchen sich Liberale und Ultramontane gegenüberstanden, zu Grunde, so wäre es, angesichts der in der liberalen Partei eingetretenen Spaltung, den Ultramon¬ tanen ein Leichtes gewesen, ihre eigenen Candidaten durchzusetzen. Gro߬ müthige Verzichtleistung auf den eigenen Bortheil zu Gunsten einer anderen Partei haben sich aber die römischen Heerschaaren schwerlich jemals zu Schulden kommen lassen. Das Wahrscheinlichste bleibt also immer, daß sie sich im All- gemeinen der Wahl enthalten haben. Warum, ist freilich schwer zu sagen. Schienen ihnen die unpolitischen Körperschaften der Bezirks- und Kreisver¬ tretungen nicht das geeignete Feld für ihre Thätigkeit? Oder fühlten sie sich wirklich zu schwach? Eine Möglichkeit wäre immerhin, daß ihre Reihen momentan bedenklich gelichtet waren. Bekanntlich soll nach dem Wahlgesetz vom 24. Januar d. I. das Wahlrecht aller Elsaß-Lothringer, welche für die französische Nationalität optirt haben, aber nicht ausgewandert sind, so lange ruhen, bis sie ihre Optionserklärung vor dem Kreisdirektor ausdrücklich zurückgenommen haben. Nun erinnert man sich aber, daß gerade in den katholischen Distrikten der Agitationsschwindel im Sinne einer deutschfeindlichen Demonstration mit ganz besonderer Emphase betrieben wurde.' Leicht möglich, daß infolgedessen eine nicht unwesentliche Anzahl der klerikalen Männer in den diesjährigen Wahllisten gestrichen war. Einerlei indeß, wie dem sei, Thatsache bleibt, daß die Gewählten in ihrer ganz überwiegenden Mehrzahl als der „gemäßigten Partei" angehörig betrachtet werden dürfen. Freilich ist dieß „gemäßigt" noch keineswegs gleich¬ bedeutend mit „deutschfreundlich". Wie könnte man eine solche Stimmung D. Red.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/46>, abgerufen am 05.02.2025.