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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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z. B. von den zahlreichen in Lothringen gewählten Nationalfranzosen erwarten!
Nur das soll damit gesagt sein, daß wir es mit Männern zu thun haben,
welche die Bezirks- und Kreistage nicht zu feindseligen Kundgebungen, sondern
zur ehrlichen Arbeit an dem wahren Wohle ihres Landes benutzen werden.
Es ist mit diesen Wahlen die Grundlage zu einer das ganze Reichsland um¬
fassenden autonomistischen Partei gewonnen. Merkwürdiger Weise hat aber
auch die Gefolgschaft des Herrn Lauts in ihrem Wahlauftreten auf die Auto¬
nomie des Landes das Hauptgewicht gelegt; man kann also gespannt darauf
sein, wie sich die "radikalen" von den "gemäßigten" Autonomisten unterschei¬
den werden. Stehen die Lauts und Genossen erst einmal inmitten der Ge¬
schäfte, so ist uns doch sehr zweifelhaft, ob sie sich als Franzosen nach dem
Herzen Gambetta's bewähren werden. Die eminente Nüchternheit und Ver¬
ständigkeit, welche das Land bei diesem Wahlakte im Allgemeinen bekundet
hat, wird vielleicht schließlich auch aus die frondirenden Bürger der Hauptstadt
ansteckend wirken. Wenn nicht, so steht wenigstens zu hoffen, daß die sterile
Opposition in den Bezirksvertretungen durchaus in der Minderheit bleiben
die Mehrheit aber von dem Geiste erfüllt sein werde, welcher aus folgenden
Dankesworten des in Wasselnheim gewählten Pasquary an seine Wähler
spricht: "Um die Rechte der Bevölkerung auf die Wahrnehmung ihrer Ange¬
legenheiten wieder zu gewinnen, um unsere Autonomie zu erwerben und die
Integrität unseres Landes zu sichern, bedarf es wahrlich eines Anderen, als
eitler Demonstrationen einer retrospektiven Treue; es bedarf der Handlungen und
der Klugheit, und diese verständige Thätigkeit können wir fortan in den eben¬
erwählten Körperschaften ausüben. In ihnen wird die "elsässische Partei" ihr
Banner aufpflanzen müssen, in ihnen wird sie durch eine zugleich würdige,
loyale, feste und versöhnliche Haltung die Reichsregierung vermögen können,
das Elsaß den Elsässern zurückzugeben."

Schade, daß diese Worte eines elsässischen Bezirksvertreters nicht 14 Tage
früher gesprochen wurden; sie würden den Reichstagsdebatten über den Gesetzent¬
wurf betreffend die Einführung der deutschen Reichsverfassung in
Elsaß-Lothringen möglicher Weise einen ganz anderen Inhalt gegeben
haben. Was will das Geschrei der Ultramontanen über verlängerte Dictatur,
ihr sehnsüchtiges Verlangen nach einer definitiven elsaß-lothringischen Landes¬
verfassung, was will die alberne Tirade vom Helotenthum der Bewohner
des Reichslands besagen, wenn ein Vertrauensmann elsäßischer Wähler un¬
umwunden anerkennt, daß es nicht unbestreitbarer Beweise von der verstän¬
digen Haltung des elsaß-lothringischen Volkes bedarf, bevor der Regierung
angesonnen werden kann, das Land sich selbst zu überlassen! Freilich, die
Elsaß-Lothringer betrachten die Otroyirungsbefugniß, welche Kaiser und
Bundesrath für die Zeit, in welcher der Reichstag nicht versammelt ist,


z. B. von den zahlreichen in Lothringen gewählten Nationalfranzosen erwarten!
Nur das soll damit gesagt sein, daß wir es mit Männern zu thun haben,
welche die Bezirks- und Kreistage nicht zu feindseligen Kundgebungen, sondern
zur ehrlichen Arbeit an dem wahren Wohle ihres Landes benutzen werden.
Es ist mit diesen Wahlen die Grundlage zu einer das ganze Reichsland um¬
fassenden autonomistischen Partei gewonnen. Merkwürdiger Weise hat aber
auch die Gefolgschaft des Herrn Lauts in ihrem Wahlauftreten auf die Auto¬
nomie des Landes das Hauptgewicht gelegt; man kann also gespannt darauf
sein, wie sich die „radikalen" von den „gemäßigten" Autonomisten unterschei¬
den werden. Stehen die Lauts und Genossen erst einmal inmitten der Ge¬
schäfte, so ist uns doch sehr zweifelhaft, ob sie sich als Franzosen nach dem
Herzen Gambetta's bewähren werden. Die eminente Nüchternheit und Ver¬
ständigkeit, welche das Land bei diesem Wahlakte im Allgemeinen bekundet
hat, wird vielleicht schließlich auch aus die frondirenden Bürger der Hauptstadt
ansteckend wirken. Wenn nicht, so steht wenigstens zu hoffen, daß die sterile
Opposition in den Bezirksvertretungen durchaus in der Minderheit bleiben
die Mehrheit aber von dem Geiste erfüllt sein werde, welcher aus folgenden
Dankesworten des in Wasselnheim gewählten Pasquary an seine Wähler
spricht: „Um die Rechte der Bevölkerung auf die Wahrnehmung ihrer Ange¬
legenheiten wieder zu gewinnen, um unsere Autonomie zu erwerben und die
Integrität unseres Landes zu sichern, bedarf es wahrlich eines Anderen, als
eitler Demonstrationen einer retrospektiven Treue; es bedarf der Handlungen und
der Klugheit, und diese verständige Thätigkeit können wir fortan in den eben¬
erwählten Körperschaften ausüben. In ihnen wird die „elsässische Partei" ihr
Banner aufpflanzen müssen, in ihnen wird sie durch eine zugleich würdige,
loyale, feste und versöhnliche Haltung die Reichsregierung vermögen können,
das Elsaß den Elsässern zurückzugeben."

Schade, daß diese Worte eines elsässischen Bezirksvertreters nicht 14 Tage
früher gesprochen wurden; sie würden den Reichstagsdebatten über den Gesetzent¬
wurf betreffend die Einführung der deutschen Reichsverfassung in
Elsaß-Lothringen möglicher Weise einen ganz anderen Inhalt gegeben
haben. Was will das Geschrei der Ultramontanen über verlängerte Dictatur,
ihr sehnsüchtiges Verlangen nach einer definitiven elsaß-lothringischen Landes¬
verfassung, was will die alberne Tirade vom Helotenthum der Bewohner
des Reichslands besagen, wenn ein Vertrauensmann elsäßischer Wähler un¬
umwunden anerkennt, daß es nicht unbestreitbarer Beweise von der verstän¬
digen Haltung des elsaß-lothringischen Volkes bedarf, bevor der Regierung
angesonnen werden kann, das Land sich selbst zu überlassen! Freilich, die
Elsaß-Lothringer betrachten die Otroyirungsbefugniß, welche Kaiser und
Bundesrath für die Zeit, in welcher der Reichstag nicht versammelt ist,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/47>, abgerufen am 05.02.2025.